Für viele Ukrainerinnen ist der kleine Grenzverkehr mit Rumänien eine Überlebensstrategie. Doch seitdem die Regierung in Bukarest den Krieg gegen die Schmuggler erklärte, gibt es Ärger und Schikanen. Florita macht den Weg über die Grenze trotzdem.
So richtig kenne sie Rumänien gar nicht, jenseits des Grenzgebiets sei sie noch nie gereist, sagt Florița. Die 50-jährige Frau mit den traurigen blauen Augen macht die Inventur in ihrem Notizbuch: Vier Flaschen Sonnenblumenöl à zehn Liter, drei Tüten mit jeweils 15 Kilo Zucker, fünf Packungen Kulis, blau, rot und schwarz, Nudeln, Klopapier, Rosinen, Rattengift, Plastiksäcke und Kürbiskerne zum Knabbern.
Von letzteren ist nicht viel übrig geblieben, die verkaufen sich immer gut. Was die Kunden diesmal nicht gekauft haben, geht nächste Woche über die raue Theke aus Holzbrettern. Florița notiert alles sorgfältig auf Rumänisch – mit kyrillischen Buchstaben. Auf dem Wochenmarkt in Vicov hat sie ihre Stammkundschaft und sie ist, ähnlich wie die anderen Ukrainerinnen, sehr beliebt.
Geboren ist die Frau in Storoschynez, einer Kleinstadt rund 20 Kilometer nördlich der Grenze, wo sie bis heute lebt. Doch zu Hause spricht sie immer noch Rumänisch, «wie die Grosseltern halt». Als die Rote Armee 1940, nach dem Hitler-Stalin-Pakt die nördliche Bukowina besetzte, stieg Florițas Oma mit ihrem Hab und Gut und den Kindern in den Pferdewagen und floh rasch gen Süden. Aber es war schon zu spät. Die sowjetischen Soldaten hatten kurz vor Vicov die neue Grenze bereits gesperrt. Florițas Opa, der sich einen Tag früher auf den Weg machte, baute sich ein neues Leben in Rumänien auf. Seine Frau und Familie mussten in der Sowjetunion bleiben.
Hier die Ukraine, da Rumänien: Bukowina – das Buchenland – nennt sich der historische Grenzraum. Der Wechsel zwischen den Ländern ist für Florita zur Überlebensstrategie geworden. (Bild: George Popescu)
«Nach der Schule, in den 1980er-Jahren machte ich in Czernowitz eine Ausbildung zur Friseurin», erinnert sich die Frau, als sie in der Morgenkälte Kaffee aus einem Plastikbecher schlürft. Zurück in Storoschynez fand sie einen Mann und eine Stelle in einem staatlichen Friseurladen, der nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion privatisiert wurde, aber die Löhne der Mitarbeiter nur unregelmässig zahlt. «Es gab früher viele Fabriken in Storoschynez, für Milchprodukte, für Konserven. Heute gibt es nichts mehr. Und die Leute lassen sich in der Familie die Haare schneiden, deswegen sehen sie so ungepflegt aus», stellt sie fest und verzieht dabei eine angewiderte Miene. Ihr Sohn und ihre Schwiegertochter konnten noch keine Arbeit finden, sie muss sie und deren zwei Kinder unterhalten. Ebenso wie ihren alten Vater, der vor Kurzem pflegebedürftig geworden ist.
Jedes Wochenende 100 Kilometer Umweg
Weil im Friseurladen die Kunden und Lohnzahlungen auf sich warten lassen, kann Florița kommen und gehen, wann sie will. Mittwochs fährt sie in die Oblast-Hauptstadt Tscherniwzi, das einst multikulturelle Czernowitz von Herrn Zwilling und Frau Zuckermann, und kauft dort die Produkte, die sie am Wochenende ihren Kunden auf der rumänischen Seite der Grenze anbietet. Freitags um vier Uhr früh steigt sie, zusammen mit fünf anderen Frauen, in den Kleinbus, den ein Nachbar in Deutschland gebraucht gekauft hatte.
Früher, als der Grenzübergang in Vicov noch offen war, dauerte es nicht so lange. Doch nach dem EU-Beitritt Rumäniens musste das Land seine Grenzen mit Nicht-EU-Staaten wie der Ukraine auf den neusten Sicherheitsstand bringen. Aber das Geld fehlte, vor allem wegen der Wirtschaftskrise und der Sparmassnahmen. Ergebnis: Florița und ihre Kolleginnen müssen jedes Wochenende einen 100-Kilometer-Umweg fahren und ihr Mann, der auf der ukrainischen Seite des heute geschlossenen Grenzübergangs Pässe kontrollierte, wurde entlassen.
Auch die Kontrollen durch die rumänischen Beamten wurden viel strenger. In den letzten Jahren erklärten die Politiker in Bukarest dem Schmuggel und der kleinen Steuerhinterziehung auf den Märkten mehrmals den totalen Krieg. Für Florița, die deshalb ihren Nachnamen nicht abgedruckt sehen will, bedeutet das immer neue «Erhöhungen der Schmiergelder» an der Grenze und diverse Schikanen durch die Dorfpolizei in Vicov.
Florița fühlt sich weder Rumänien noch der Ukraine so richtig zugehörig. Sie möchte vor allem in Ruhe gelassen werden
Mittlerweile hat sie als Rumänischstämmige «zum Glück den Pass bekommen», den sie diesseits der Grenze stolz zeigt. Sonst hätte sie, wie viele andere, ewig vor dem rumänischen Konsulat in Czernowitz auf ein Visum warten müssen, das wegen «kleiner Steuerhinterziehung» entzogen werden könnte. In der Ukraine wiederum könnte ihr der neue Pass zum Verhängnis werden, denn das Land verbietet die doppelte Staatsangehörigkeit.
Florița fühlt sich weder Rumänien noch der Ukraine so richtig zugehörig. Sie möchte vielmehr, wie sie sagt, in Ruhe gelassen werden und sich unbehelligt auf dem Markt etwas dazuverdienen. Rund 150 Euro macht sie an einem Wochenende, das ist ungefähr so viel wie ihr Monatslohn, wenn der Friseurladen zahlt. Die Dorfbewohnerinnen in Vicov sehen das genauso. Für sie sind der Zucker und die Streichhölzer aus der Ukraine eine günstige Alternative zu den meistens westeuropäischen Supermarktprodukten, die in den letzten Jahren oft unbezahlbar geworden sind.
Frisches Gemüse und Posten der Grenzpolizei
Der andauernde Konflikt in der östlichen Ukraine hat viele Bürger im ganzen Land noch tiefer in die Armut getrieben und die wirtschaftlichen Reformen, die die EU und der IWF von dem maroden Staat verlangen, haben ihrerseits hohe soziale Kosten. In Russland können die Westukrainer nicht mehr arbeiten, auch wenn sie es wollten. In die EU dürfen sie wiederum ohne Visum nicht einreisen.
Florița empfindet dies als ungerecht, aber «sich immer beschweren hilft nichts». Jeder müsse klarkommen, sich notfalls einen anderen Pass besorgen oder halt Schwefelhölzer verkaufen. Es ist ein kalter Tag mit blauem Himmel in Vicov. Die Luft riecht nach frischem Gemüse und Herbst. Von den Hügeln sieht man, auf der anderen Seite der Hauptstrasse, die Posten der Grenzpolizei.