Rund 7500 Flüchtlinge harren allein in Nordgriechenland bei Eiseskälte in Zelten ohne Heizung und warmes Wasser aus. Gut die Hälfte von ihnen will nach Deutschland oder anderswo nach Europa, wo bereits Familienangehörige auf sie warten. Doch die Zusammenführungen laufen schleppend.
«Mein Herz fühlt sich an wie tot. Ich kann nichts mehr fühlen», sagt eine junge Frau aus Syrien. Sie sitzt auf dem Boden eines Containerhauses im Flüchtlingslager Lagadikia, etwa 40 Kilometer westlich von Thessaloniki. Die kahlen Wände sind grau-weiss, das Licht grell. Die Frau hält ihr kleines Kind im Arm, ihr 11-jähriger Sohn spielt draussen. Ab und zu rüttelt sie wie unter Hypnose sanft an einem Spielzeug, um ihr Baby zum Lächeln zu bringen.
Seit ein paar Tagen erst haben sie und ihre Kinder ein festes Dach über dem Kopf, nachdem sie zehn Monate in Zelten ausharren mussten: vier Monate im Grenzort Idomeni und sechs im Lager. «Die Grenze wurde im März 2016 geschlossen, und wir alle dachten, sie würde in zwei Monaten wieder öffnen. Jeden Tag haben wir darauf gewartet», sagt sie.
Die zarte Frau aus Aleppo ist seit anderthalb Jahren allein mit ihren zwei Kindern auf der Flucht. Ihr Mann ist schon in Deutschland und hat bereits Asylstatus bekommen. Vor ein paar Tagen ist er nach Nordgriechenland gereist, um endlich seine Familie zu sehen.
Das erste Familienporträt: Der Vater hat in Deutschland Asylstatus erhalten, sein jüngstes Kind sieht er bei einem Besuch im Flüchtlingslager in Griechenland zum ersten Mal. (Bild: Salinia Stroux, n-ost)
Die Frau zeigt sehnsüchtig auf das Display ihres Smartphones, auf dem Vater, Mutter und Baby zu sehen sind. Er hat sein Jüngstes jetzt zum ersten Mal gesehen, denn ihre Wege haben sich vor der Geburt getrennt. Nun befürchtet die Frau, dass es noch Monate dauern könnte, bis die Familie wieder zusammen leben wird. Erst im vergangenen Juli gelang es ihr, sich für die Familienzusammenführung vorab zu registrieren. Der offizielle Termin der Registrierung sollte irgendwann in diesen Tagen sein.
Die Registrierung dauert Monate
Die späte Registrierung der Anträge lange nach der Schliessung der Balkanroute im vergangenen März hat die Zusammenführung Tausender Familien massiv verzögert. Zuerst warteten die Flüchtlinge auf die Öffnung der Grenze. Dann verzögerte sich die Registrierung, weil sie die überforderten griechischen Asylbehörden in Athen wegen blockierter Skype-Verbindungen nicht kontaktieren konnten. Zu einer weiteren Verzögerung führte die Vor-Registrierung in den Lagern, die dazu diente, alle undokumentierten Flüchtlinge vorläufig zu erfassen und mit Papieren auszustatten.
Durch diesen neuen Verfahrensschritt wurden zwar innerhalb von drei Monaten die Daten Tausender Flüchtlinge erfasst, aber die Termine für eine komplette Registrierung wurden erst ab September nach und nach vergeben. Einige können ihre Anträge deswegen erst im März 2017 voll registrieren lassen.
2733 Anträge auf Familienzusammenführung nach Dublin-III-Verordnung seien 2016 bis einschliesslich Ende November in Griechenland gestellt worden, so die Asylbehörde. Nur 289 Antragsteller konnten bisher zu ihren Verwandten innerhalb der EU. Mit Abstand die meisten Gesuche richteten sich an Deutschland, gefolgt von Schweden und Österreich.
Viel Geld fliesst, aber nicht alles kommt an
Die Sozialarbeiterin Efi Gelastopoulou vom griechischen Flüchtlingsrat in Thessaloniki betont, wie wichtig es sei, dass die Familienzusammenführungen schneller funktionieren: «Wenn die Staaten nicht versuchen, die Familien zu vereinen, kann dies schlimme Folgen haben, sowohl für die Erwachsenen als auch für die minderjährigen Familienmitglieder.»
Seit der Schliessung der Balkanroute stauen sich Tausende Neuanträge von in Griechenland festsitzenden Flüchtlingen bei der griechischen Asylbehörde. Doch auch die deutsche Seite schöpft alle Fristen des Verfahrens maximal aus.
Auf einer verlassenen Landstrasse vor Vagiohori, einem der berüchtigtesten Zeltlager in der Nähe von Thessaloniki, steht ein Mann aus Syrien am Strassenrand. Auf seinem Kopf trägt er eine Stirnlampe. Er versucht verzweifelt, seinen 12-jährigen Sohn in Deutschland anzurufen. Das Kind ist dort allein mit seiner kranken Grossmutter. Seine Mutter und die anderen drei Kinder der Familie sind noch in Syrien.
Nur mit Mühe bewahrt der müde Mann beim Sprechen die Fassung. Seit mehreren Tagen hat er nicht geduscht, weil es kein warmes Wasser gibt im Lager. Auch keine Heizung. Millionen Euro sind für die Ausstattung der Lager an die griechische Regierung, den UNO-Flüchtlingsrat und andere Organisationen geflossen, doch das Geld scheint nicht immer bei den Flüchtlingen anzukommen – vor allem nicht rechtzeitig. Hilfsorganisationen werfen dem UNO-Flüchtlingsrat und der EU vor, die Gelder nicht richtig verwaltet und die Lager nicht rechtzeitig winterfest gemacht zu haben.
Ausharren bis Juli
Noch Anfang Januar versicherte der stellvertretende griechische Migrationsminister Giannis Mouzalas, dass mit nur wenigen Ausnahmen alle Lager beheizt und für den Winter ausgerüstet seien. Helfer in Nordgriechenland prangern jedoch an, dass es weiterhin Lager gibt, in denen es entweder keine Heizungen gibt oder diese nicht funktionieren. Und immer noch müssen Flüchtlinge in Zelten schlafen – unter freiem Himmel oder in zugigen, eiskalten Hallen.
Der Antrag des syrischen Vaters auf Familienzusammenführung wurde erst in diesem Januar registriert. Er wird also frühestens im Juli oder August seinen Sohn in Deutschland in die Arme schliessen können. Einmal hat er bereits versucht, mit Schleppern weiterzukommen, wurde aber an der serbisch-ungarischen Grenze festgenommen und wieder nach Griechenland abgeschoben.
Aufgeben will er aber nicht. «Ich muss nach Deutschland zu meinem Sohn. Er braucht mich», sagt er.