Wer Flüchtlinge bei sich zu Hause aufnehmen will, braucht auf jeden Fall eins: Geduld. Und er sollte sich überlegen, worauf er sich einlässt.
Es fing an mit einem Tweet. «ICH NEHME SOFORT FLÜCHTLINGE BEI MIR AUF!», stand in der Timeline auf Twitter. In Grossbuchstaben. Mit Ausrufezeichen.
Man vertwittert ja so einiges. Aber ob man es dann wirklich ernst meint, ist eine andere Sache. In diesem Fall womöglich schon. «Natürlich, das würde ich jederzeit machen», bekräftigte der Absender des Tweets am Telefon. Mit Namen und Bild in den Medien auftauchen möchte er aber lieber nicht.
Handeln statt reden
Flüchtlinge aufnehmen, den Gedanken hatten in den letzten Wochen und Monaten vermutlich einige. Wegen der Flüchtlingspolitik, die nach mancher Ansicht eher eine Flüchtlingsverhinderungs-Politik ist. Oder weil man den Flüchtlingen helfen will, die bei uns oft weit ab vom Schuss in Asylzentren oder Wohnheimen untergebracht sind. An Orten, wo der Alltag für die Asylsuchenden trist sein muss, weil es kaum etwas zu tun, kaum Ablenkung gibt. Integration ist da kaum möglich.
«Platz ist genug», denken sich einige. Sie wollen handeln statt reden. Zum Beispiel die beiden Deutschen Mareike Geiling und Jonas Kakosche. Sie haben selbst einen Migranten aufgenommen und gemeinsam die Initiative «Flüchtlinge willkommen» gegründet. Diese organisiert und begleitet die Platzierung von Flüchtlingen in Wohngemeinschaften. Mittlerweile hat die Initiative auch einen Ableger in Österreich und seit November 20 Flüchtlinge in private Unterkünfte vermittelt, die Hälfte davon in WGs. Bisher haben sich insgesamt 500 Haushalte gemeldet.
Der Dienstweg zum neuen Mitbewohner
20 auf 500, das klingt erst einmal nach wenig. Das liegt aber vermutlich daran, dass die private Platzierung von Flüchtlingen, wie das im Amtsdeutsch heisst, eine komplexe Angelegenheit ist.
Wer einen oder mehrere Menschen aufnehmen will, auf den kommen einige Herausforderungen zu. Bürokratische natürlich. Und auch persönliche. Ein, zwei Zimmer frei zu haben reicht nicht aus – das dürfte den meisten klar sein.
Wäre meine Wohnung geeignet? Und wie komme ich überhaupt mit einem Flüchtling in Kontakt, der vielleicht bei mir einziehen könnte? Wer solche Fragen hat, wendet sich vermutlich zunächst an die zuständige Sozialbehörde. Hier stösst man allerdings auf einige Widerstände.
Basel-Stadt: Derzeit kein Bedarf
Im Kanton Basel-Stadt wird das Thema Privatunterbringung zentral von der Sozialhilfe Basel bearbeitet. Einige Angebote sind bereits eingegangen. «Die Idee ist bei uns auf jeden Fall angekommen, bedarf aber einer Vorbereitung», sagt Renata Gäumann von der Basler Asylkoordination.
Privatunterbringungen gab es in Basel bisher noch keine. «Was schlicht daran liegt, dass die passenden Abläufe noch nicht definiert sind», sagt Gäumann. Solange keine Not am Mann ist, will man sich da Zeit lassen. Bisher sehe man private Angebote eher als Überlauf. Die bisherigen Plätze reichten aus. «Aktuell haben wir keinen dringlichen Bedarf», stellt Gäumann fest. Und zudem sei es für eine Behörde sehr aufwendig, jedes einzelne Angebot zu prüfen.
Aargau: Es ist kompliziert
Anders läuft das im Kanton Aargau ab. «Das Zusammenbringen von Privatpersonen, die Flüchtlinge aufnehmen, und diesen selber ist nicht unsere Sache», sagt Balz Bruder, Mediensprecher des Departements Gesundheit und Soziales. Wer hier anfragt, wird an die Flüchtlingshilfe Schweiz verwiesen.
Nach einem geeigneten Kandidaten umsehen muss sich dann allerdings wieder der Kanton, erklärt Stefan Frey, Mediensprecher der Schweizer Flüchtlingshilfe. Denn der Kanton betreibt die Flüchtlingsunterkünfte und weiss daher, wer infrage kommen könnte. Die administrative Zuständigkeit liege weiterhin beim Aargauer Sozialdepartement. Die Schweizer Flüchtlingshilfe sehe sich lediglich als Mittler und Vertreter der privaten Anbieter.
Doch wer kommt als Anbieter überhaupt infrage?
Laut Frey sind Zimmer mit separatem WC und Bad oder Einliegerwohnungen sehr gesucht, die für mindestens ein halbes Jahr vermietet werden. Ohne ein gewisses Mass an Privatsphäre gehe es kaum, wolle man längerfristig miteinander auskommen, sagt Frey. Wichtig sei zudem, dass auch der Vermieter als Person geeignet sei. Ein vermittelter Flüchtling soll schliesslich nicht bereits nach wenigen Wochen wieder ausziehen müssen oder vom Regen in die Traufe geraten.
Grosse persönliche Herausforderung
Bei aller Hilfsbereitschaft: Mit Menschen aus einem anderen Kulturkreis zusammenleben, das kann anstrengend sein. Worauf also lässt man sich als Anbieter eines Zimmers ein?
Patrizia Bertschi, Präsidentin des Netzwerks Asyl Aargau, gibt zu bedenken, dass Unterschiede im Bildungsniveau, verschiedene Wunschvorstellungen auf beiden Seiten oder auch finanzielle Gegensätze das Verhältnis stark belasten können. «Und da wäre noch die Frage der Dankbarkeit, die der Gastgeber vielleicht erwartet.»
«Einen Flüchtling aufzunehmen braucht auf jeden Fall eine gewisse persönliche Reife.»
Wenn der «Überlebensmodus» abgeschaltet sei und Ruhe einkehre, müssten viele Flüchtlinge ihre Erlebnisse erst einmal verdauen, bestätigt Bertschi. Auch Familien würden sich dann eher in sich selbst zurückziehen. Mit so einem Mitbewohner, der nach einer sehr anstrengenden Lebensphase zunächst wenig Interesse an der neuen Heimat zeigt, rechneten viele nicht.
Trotz solcher Schwierigkeiten ist Bertschi überzeugt: «Wenn die richtigen Menschen aufeinandertreffen, können Gast wie Gastgeber enorm profitieren.» Dennoch rät sie den meisten Anfragenden ab: «Einen Flüchtling aufzunehmen braucht auf jeden Fall eine gewisse persönliche Reife, viele Leute sind damit überfordert.»
Zögernde Haltung bei Experten
Erfolgreich privat untergebracht hat das Netzwerk Asyl bisher vor allem Lernende. «Die kennen das Schweizer System schon, haben eine feste Tagesstruktur und der Aufenthalt ist begrenzt auf die Zeit bis zum Abschluss der Ausbildung», erklärt Bertschi.
Bei der Schweizer Flüchtlingshilfe sieht man das anders. Gerade Flüchtlinge, die noch nicht lange im Land seien, könnten von einer schnellen sozialen Einbindung am meisten profitieren, ist Stefan Frey überzeugt. Landeten sie erst einmal in den Sozialsystemen, werde es zunehmend schwerer, Menschen erfolgreich zu integrieren.
«Mittelfristig lohnt sich die Privatplatzierung sowohl zeitlich wie finanziell.»
«Man kann aufs Positive oder aufs Negative schauen bei der privaten Unterbringung», findet er. «Natürlich kommen nicht alle und alles infrage. Man muss eine seriöse Vorabklärung machen. Mittelfristig lohnt sich die Privatplatzierung sowohl zeitlich wie finanziell.» Schwierigkeiten im sozialen und persönlichen Bereich könne man mit einer zwar aufwendigen, aber sinnvollen Begleitstruktur begegnen. Die eher zögernde Haltung der meisten Schweizer Fachleute erklärt Frey so: «Kollektive Strukturen sind für Verwaltungen natürlich einfacher zu handhaben.»
Wer Flüchtlingen in der Schweiz helfen will, dem rät Patrizia Bertschi, sich anderweitig zu engagieren. Etwa mit einer Flüchtlingspatenschaft. Solch eine Beziehung sei nicht ganz so eng, trotzdem könne man auf diese Art Flüchtlinge enorm unterstützen. Beim Deutschlernen, in den alltäglichen Kleinigkeiten oder beim Kennenlernen der Kultur. Und bestimmt auch, indem man sie bei Behördengängen unterstützt.