Stefan Schmidt, Kapitän von Beruf, rettete 37 Flüchtlinge und wurde deswegen verhaftet. Seither setzt er sich leidenschaftlich für Flüchtlinge und ihre Rechte ein und tourt mit Vorträgen durch Europa – auch durch die Schweiz.
Während andere in seinem Alter den Ruhestand geniessen, setzt sich Stefan Schmidt unermüdlich für Flüchtlinge ein. Anfang November war der 70-Jährige in der Schweiz zu Gast, wo er vor allem vor kirchlichem Publikum referierte – mit dem Ziel, Toleranz und Nächstenliebe gegenüber Flüchtlingen zu wecken anstatt Angst und Abwehr.
Seine Botschaft stiess auf offene Ohren: «Wenn man Dinge liest, und sie dann einer Öffentlichkeit zugänglich machen will, ist es schwierig, das Wesentliche rüberzubringen», sagt Schmidt, «ich habe den Vorteil, dass ich ziemlich viel selbst erlebt habe.» Und tatsächlich: Seine persönliche Schilderung davon, wie sein Engagement für Flüchtlinge begann, berührt.
Im Jahr 2004 wurde Schmidts Leben völlig auf den Kopf gestellt. Nach einer langjährigen Berufskarriere als Frachtschiffkapitän und Lehrer fragte ihn sein Freund Elias Bierdel, der einen gemeinnützigen Verein leitete, ob er mit ihm ein Schiff umbauen und damit nach Westafrika fahren wolle, um Hilfsgüter zu verteilen. «Ich sprang sofort auf die Idee an», sagt Schmidt, «nach vielen Jahren gewöhnlicher Arbeit fand ich es eine schöne Vorstellung, einmal etwas zu tun, das nichts mit Geld zu tun hat.»
Fürs Retten verhaftet
Als sie auf dem Rückweg von Liberia waren, entdeckten sie ein Gummiboot mit 37 Afrikanern, die auf dem Weg nach Europa vom Kurs abgekommen waren und schon seit mehreren Tagen auf dem offenen Meer trieben. Als Schmidt und seine Besatzung diese Menschen retteten, wurden sie aber nicht als Helden gefeiert – dem Schiff wurde der Zugang zum italienischen Hafen verwehrt. Als sie nach einigen Tagen trotzdem anlegten, wurden Bierdel und Schmidt wegen Beihilfe zur Flucht verhaftet, fast alle geretteten Schiffsflüchtlinge sofort abgeschoben.
Bierdel und Schmidt gründeten als Reaktion auf dieses Erlebnis einen neuen Verein: «Borderline Europe – Menschenrechte ohne Grenzen». In erster Linie betreibt dieser seit 2007 eine Informationsplattform, um auf die Situation von Flüchtlingen aufmerksam zu machen.
Immer wieder werden Schmidt und seine Kollegen auch ganz konkret aktiv. Zum Beispiel haben sie tunesische Fischer, die ebenfalls wegen Beihilfe zur Flucht angeklagt wurden, während dem Rechtsverfahren unterstützt. Zudem verklagten sie zweimal die italienische Regierung, als deren Küstenwache offensichtlich Flüchtlingen im Meer beim Sterben zuschaute und bewusst auf jegliche Hilfestellung verzichtete. «Das wird vom Staatsanwalt natürlich nicht verfolgt», sagt Schmidt, «trotzdem ist es wichtig, dass das manchmal jemand macht.»
Dabei komme der Betreuung und Bildung von Kindern und Jugendlichen eine Schlüsselfunktion zu. Die Altersgruppe der unter 15-Jährigen macht immerhin 30 Prozent aller in Deutschland aufgenommenen Flüchtlinge aus. Nach der Ankunft würden Flüchtlingskinder sich etwa zwei Wochen lang erholen, danach aber gleich die Schule besuchen. Bisher konnte dies noch gewährleistet werden: «Um allen den Schulbesuch zu ermöglichen, mussten viele pensionierte Lehrer zurückgeholt werden. Allein Schleswig-Holstein will nun 200 neue Lehrer einstellen.»
Auch punkto Schulraum sei nun Improvisation gefordert. So stehen auf einem grossen Platz in Lübeck, auf dem sonst zweimal jährlich das mit der Basler Herbstmesse vergleichbare «Volksfest» stattfindet, nun neue Wohncontainer für 1200 Flüchtlinge. Auf dem Areal hat es auch zwei grosse Container für Kindergarten und Schule. Das Unterrichten stelle die Lehrpersonen vor ganz neue Herausforderungen: «Viele Schüler müssen erst einmal alphabetisiert werden. Als zweites steht dann Deutschunterricht auf dem Programm.» Eigentlich müssten Lehrpersonen für diese Bereiche speziell ausgebildet sein, in dieser turbulenten Zeit ist dies nicht immer möglich.
Flüchtlingskinder als «grosser Schatz»
Momentan setzt sich Schmidt in seinem Bundesland dafür ein, dass die Flüchtlinge nicht nur bis 17, sondern im Extremfall bis zum Alter von über 20 Jahren die Schule besuchen dürfen: «Wir wollen gleiche Chancen für alle. Wenn jemand drei Jahre lang auf der Flucht war, hat der nichts gelernt und war zu Hause vielleicht nur vier Jahre in der Schule.»
Diese Schulförderung kostet Geld – das Bundesland Schleswig-Holstein könne diese finanzielle Last nicht allein tragen, erhalte aber Hilfeleistungen aus Berlin. «Diese Investition lohnt sich bestimmt», ist Schmidt überzeugt, «wenn wir die Kinder jetzt richtig erziehen und bilden, dann haben wir einen enormen Schatz.»
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Manchmal tragen die Flüchtlingskinder den Krieg mit in den Hort. Eine Reportage aus dem Basler Kurszentrum K5, in dem Kinder von Flüchtlingen lernen, was es heisst, Kind zu sein: Kampfjets im Kinderhort.