Frankreich eröffnet das erste Camp zur Deradikalisierung

In Frankreich hat ein erstes Zentrum für die «Deradikalisierung» junger Islamisten seinen Betrieb aufgenommen. Die Proteste der Anwohnerschaft halten sich bisher in Grenzen – trotz einer aufschlussreichen Polemik.

(Bild: http://pontourny.com)

In Frankreich hat ein erstes Zentrum für die «Deradikalisierung» junger Islamisten seinen Betrieb aufgenommen. Die Proteste der Anwohnerschaft halten sich bisher in Grenzen – trotz einer aufschlussreichen Polemik.

Wenn man einmal vom nahen AKW absieht, liegt Beaumont-en-Véron in einer idyllischen Umgebung mit Weinbergen und einem Balzac-Museum. In dem Ort im Loiretal hat vor wenigen Tagen das erste Deradikalisierungszentrum seine Tore geöffnet. Beziehungsweise geschlossen.

Die ersten sechs «Pensionäre», wie sie genannt werden, dürfen die Anlage einen Monat lang nicht verlassen. Das Ambiente eines betuchten Studentenwohnheims mit einem Park voller Kirschbäume täuscht; einzelne Fenster sind vergittert, Infrarot-Kameras sichern die Zugänge, und aus der Distanz wacht die Gendarmerie.

«Freiwillige» Entradikalisierungs-Kur

Die halboffene Anlage ist ein Experiment – kein Gefängnis, kein «Guantánamo», aber auch keine Sozialstätte oder Schule. Gedacht ist sie für gut 25 junge Islamisten im Alter von 18 bis 30 Jahren, die keiner Terrorpläne verdächtigt sind und in keiner polizeilichen S-Kartei (für sûreté oder Staatssicherheit) stehen.

Die drei Frauen und drei Männer wurden vielmehr von Angehörigen als «gefährdet» gemeldet. In Beaumont unterziehen sie sich freiwillig – was immer das heissen mag – einer maximal zehnmonatigen Entradikalisierungs-Kur. Damit unterscheiden sie sich von Jihadisten, die schon einmal in Syrien waren oder sonstwie zur Tat schreiten möchten – und die damit ein Fall für die Geheimdienste sind.

The Chateau de Pontourny will be used for France's first ever Center for Reintegration and Citizenship, a residential center for the prevention of radicalizatiown in Beaumont en Veron near Chinon, France on September 14, 2016. Photo by Pascal Avenet/ABACAPRESS/ddp images

Der Präfekt des Departementes Indre-et-Loire, Louis Le Franc, macht klar, dass die Akzeptanz durch die Anwohnerschaft ein wichtiger Teil des ganzen Versuches sei. Die bisherigen Proteste sind geringer als in anderen französischen Gemeinden, die Flüchtlinge aus dem bald geräumten Lager in Calais aufnehmen sollen. An diesen Orten zieht öfters der rechtsextreme Front National die Protestfäden. In Beaumont ist er bisher nicht offen in Erscheinung getreten.

«Möglicherweise umkehrbar»

Eine Reihe von Einwohnern denkt dort offenbar wie Bürgermeister Bernard Château, der nicht grundsätzlich gegen das Zentrum ist: «Ich ziehe eine solche Einrichtung vor, um weitere Terroranschläge wie in Paris oder Nizza zu verhindern», meint der parteilose Politiker und betont, die Jugendlichen seien «keine Terroristen, sondern junge Radikalisierte», die «möglicherweise noch umkehrbar» seien. Ausserdem würden im Department zehn Islamisten in der S-Kartei als «gefährdet» geführt, ohne dass sie in Haft sässen – und gegen sie laufe auch keine Petition.

Ein Petitionär konterte darauf in der Lokalpresse, der Attentäter von Nizza, der im Juli 86 Menschen zu Tode gefahren hatte, sei nicht einmal in einer S-Kartei aufgeführt gewesen. Die Gegner des Zentrums fühlen sich überdies durch einen groben Schnitzer der Behörden bestätigt. Als die ersten sechs Pensionäre Ende September in Beaumont eintrafen, befand sich darunter ein 23-Jähriger, der in der ominösen S-Kartei figuriert und wegen Körperverletzung verurteilt ist.

Unter den ersten «Pensionären» war schon eine Person aus der S-Kartei dabei. Ein gefundenes Fressen.

Auf den Protest durch Bürgermeister Château hin hat die Präfektur den jungen Mann am Wochenende in ein herkömmliches Aufnahmezentrum versetzen lassen; sie hat zudem bekanntgegeben, die Verurteilung wegen körperlicher Gewalt gelte ab sofort als Ausschlussgrund für weitere Islamisten.

Sehr überlegt wirkt diese Behördenreaktion nicht. Dabei ist die Frage der Aufnahmekriterien zentral. Sind sie zu streng, lassen sich wohl potenzielle Attentäter kaum erfassen; werden auch tatbereite Salafisten zugelassen, sind Proteste der Bevölkerung programmiert.

Die Regierung will auf jeden Fall in allen Landesregion Deradikalisierungszentren bereitstellen, wenn Beaumont ein Erfolg wird. Geplant sind landesweit 1600 Stellen. Das ist eine beträchtliche Zahl, die eine gewisse Flächenwirkung verspricht. Die Herausforderung ist allerdings noch grösser: Mit Verweis auf die Geheimdienststatistik veranschlagte Premierminister Manuel Valls die Zahl der radikalisierten Islamisten in Frankreich unlängst auf 9300.

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