Die Frauen scheinen noch einmal davon gekommen zu sein: Die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht wird mit 57 Prozent der Stimmen abgelehnt – zumindest, wenn es nach der TagesWoche-Community geht. Möglicherweise hat die ganz grosse Debatte um die Wehr- und Dienstpflicht in der Schweiz aber auch gerade erst angefangen.
Es ist eine provokative Idee, die die Nordwestschweizer Kantone aufgebracht haben: die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht, auch für Frauen. Besonders forsch setzte sich die Baselbieter Regierung dafür ein – in der Vernehmlassung zur neuen Strategie Bevölkerungsschutz und Zivilschutz 2015+. Konkret schwebt dem Baselbieter Sicherheitsdirektor Isaac Reber (Grüne) ein «Gesellschaftsdienst» vor, der nicht nur in der Armee und im Zivilschutz, sondern auch bei anderen Institutionen wie der Feuerwehr oder im Pflegebereich absolviert werden könnte.
«Mit diesem System könnten wir das Problem lösen, dass es in immer mehr Bereichen schwierig wird, das nötige Personal zu finden. Das gilt vermehrt auch für sehr wichtige Aufgaben wie eben jene in der Feuerwehr», sagte Reber der TagesWoche. Ein Problem, das man auch beim Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) erkannt hat. Darum wird in den nächsten Monaten in Bundesbern nun eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die die Vorschläge der Nordwestschweizer Kantone prüfen wird.
Gleichberechtigung ja, Armee nein
Ein umstrittenes Vorhaben, wie die Wochendebatte der TagesWoche gezeigt hat. Für die allgemeine Dienstpflicht setzte sich Priska Grütter, SP-Gemeindepolitikerin und Offizierin ein – und zwar aus einem ganz einfach Grund: Eine Dienstpflicht nur für Männer widerspricht ihrer Ansicht nach der Gleichstellung von Frau und Mann.
Gegen eine Dienstpflicht schrieb die ehemalige Grünen-Nationalrätin Anita Lachenmeier an. Sie argumentierte, dass die Dienstpflicht nicht mit der Gleichberechtigung gekoppelt werden dürfe. Das Grundproblem sei die Wehrpflicht: «Kein europäisches Land hat im Verhältnis zur Bevölkerung eine so grosse Armee wie die Schweiz.»
Einig waren sich die beiden Frauen in zwei Punkten: dass Diensteinsätze für die Gesellschaft sinnvoll und auch für die Dienstleistenden selber eine gute Erfahrung sein können. Darum plädiert Lachenmeier für einen freiwilligen Dienst, den Frauen wie Männer im gemeinnützigen Bereich absolvieren können.
Inakzeptabel totalitär – oder doch nötig?
Die Community zeigte Verständnis für beide Standpunkte. Einerseits gibt es eine Reihe von TagesWoche-Leserinnen und Leser, welche eine allgemeine Dienstpflicht aus grundsätzlichen Überlegungen ablehnen – weil sie diese für ein «totalitäres Modell», für «kommunistisch» und somit für deplatziert halten in einem liberalen Staat. Andererseits gab es aber auch befürwortende Stimmen wie jene von Thomas B. Fischer. «Wer für Gleichberechtigung von Mann und Frau ist, muss sich konsequenterweise auch für eine Dienstpflicht für Frauen einsetzen», schrieb er.
Stark ins Zeug für die allgemeine Dienstpflicht und damit auch für Rebers Modell legte sich sein Baselbieter Parteikollege Klaus Kirchmayr. Das Milizsystem sei eine der «überragenden Stärken der Schweiz». Leider nehme die Bereitschaft zu freiwilligem Engagement in allen Bereichen aber laufend ab. «Wenn wir den Gemeinschaftsgedanken und die Solidarität unserer Gesellschaft als Stärke erhalten wollen, sollten wir Gegensteuer geben», schreibt der Fraktionspräsident der Grünen im Landrat. Darum wäre eine «breiteste Dienstpflicht für alle, Männer wie Frauen, Schweizer wie Ausländer, eine gute Lösung». Doch auch dieser Appell nutzte bei der Abstimmung nur bedingt: Die Community lehnte die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht mit 57 Prozent der Stimmen ab.
Zeit für grundsätzliche Fragen
Vielleicht war das aber erst der Anfang einer grossen Debatte. Eine Debatte, wie sich auch der Basler Pirat Pat Mächler fordert. Geschult im Denken der Liquid Democracy, hinterfragte er in seinem Beitrag zur Wochendebatte eingangs gleich einmal die Fragestellung nach der allgemeinen Dienstpflicht. «Sie erscheint mir zu oberflächlich und symbolisch», monierte er – und schlug eine breite Auslegeordnung zu folgenden Fragen vor:
> Braucht es noch eine Armee – und wenn ja: wofür? (Nicht für klassische, geografisch klar eingrenzbare Konflikte in den industrialisierten Ländern, aber möglicherweise für kriegerische Auseinandersetzungen um die knapper werdenden Ressourcen in anderen Gebieten, meint Mächler.)
> Was braucht es im Bereich des Bevölkerungsschutzes neben den ständigen Einsatzkräften? (Für Natur- und Umweltkatastrophen ist die Schweiz zu wenig gut vorbereitet, meint Mächler. Und auch der einzelne Schweizer ist seiner Ansicht nach zu wenig gut gewappnet für die alltäglichen Katastrophen wie Unfälle oder Herzschwächen im eigenen Umfeld, weil das im Nothelferkurs Gelernte meistens sehr bald wieder vergessen geht.)
> Muss der Einzelne einen Beitrag ans Gemeinwohl leisten, braucht es einen obligatorischen Dienst an der Gesellschaft? (Eine schwierige Frage, auch für Mächler, der es am liebsten hätte, wenn sich die einzelnen Menschen von sich aus solidarisch verhalten würden. Doch wie nah kommt die Realität diesem Ideal? Eine Frage, die sich ganz offenbar auch Mächler stellt.)
Stoff genug wäre also eigentlich vorhanden für die grosse Debatte.