Vor der Stichwahl der französischen Departementswahlen steht eines schon fest: Der rechtsextreme Front National hebt das Zweiparteiensystem der französischen Verfassung von 1958 völlig aus den Angeln.
«Alors, wer hat nun wirklich gewonnen?», fragte die Tageszeitung «Metronews» am Montag verzweifelt. An sich scheint die Reihenfolge auf dem Podest klar: Die konservative «Union für eine Volksbewegung» (UMP) von Nicolas Sarkozy kommt im ersten Durchgang der Departementswahlen auf 29,4 Prozent der Stimmen, der rechtspopulistische Front National (FN) auf 25,2 Prozent und die Parti Socialiste (PS) auf 21,9 Prozent. Gold, Silber und Bronze scheinen eindeutig verteilt.
Ganz so eindeutig ist die Lage aber mitnichten. Die königsblauen Parteifarben der UMP strahlten am Montag fast weniger stark als das «Marineblau» der FN-Chefin Marine Le Pen. Die bürgerliche Grosspartei rechnete selbst nicht mit diesem Erfolg. Denn sie leidet unter internen Hahnenkämpfen, die auch Parteichef Nicolas Sarkozy belasten. Sein Sprecher Gérald Darmanin meinte sehr vorsichtig, das UMP-Ergebnis sei zu «relativieren», da die Stimmbeteiligung nur 50 Prozent betragen habe.
Solche erstaunlich bescheidenen Töne aus dem Hause Sarkozy machen klar, dass nicht einmal die UMP das Gefühl eines Wahltriumphs hat. Sie weiss, dass sie ähnlich abgestraft worden wäre, wenn sie in der Regierung sässe. Und Sarkozy weiss, dass er nach nicht einmal vier Monaten im Amt des Parteichefs keinen Anspruch auf einen persönlichen Wahlsieg erheben kann.
Kein Grund sich zu verstecken, in der Partei gilt das Ergebnis von François Hollande als «ehrenvoll». (Bild: REGIS DUVIGNAU)
Arithmetisch hat das linke Regierungslager verloren. Wenn man aber bedenkt, dass Präsident François Hollande bei diesem lokalen Urnengang zwischen zwei Präsidentschaftswahlen mit einer Gemütsreaktion frustrierter Wähler rechnen musste, zieht er sich eigentlich recht gut aus der Affäre. Im Parteijargon: «Ehrenvoll».
Aber nur landesweit: Von den 101 französischen Departementen – sie sind unter anderem zuständig für Mittelschulen, Strassenbau und Sozialhilfe – dürften am kommenden Sonntag etwa 15 an die Rechte verloren gehen. Die UMP dürfte nach dem zweiten Wahlgang am nächsten Sonntag gut 70 Departemente kontrollieren, der FN immerhin zwei – Aisne im Nordosten und Vaucluse in der Provence. Letzteres ist aber noch sehr unsicher.
Hat gut lachen, obwohl sie ihr Wahlziel eigentlich verpasst hat: Marine Le Pen. (Bild: GONZALO FUENTES)
Die Linke trug zudem selbst zu ihrer rechnerischen Niederlage bei. Sie strafte sich mit ihrer Wahlreform von 2013 selbst; zudem verzettelte sie sich in zahllose Wahllisten, wie etwa im südlich von Paris gelegenen Val-de-Marne. Es ist das letzte richtig «rote, seit 1976 von den Kommunisten regierte Vorstadt-Departement». Und dort traten zum Beispiel eine «kohärente Linke» sowie eine «vereinigte Linke» gegen die grossen Linksparteien an. Die Grünen brachen landesweit mit 2 Prozent ein; die Linksfront erzielte hingegen im Kielwasser der griechischen Syriza-Allianz gute 6,4 Prozent der Stimmen.
Die vollmundige Ankündigung von Marine Le Pen
Umstritten ist auch, wie das Resultat der «Frontisten» einzustufen ist. Das rührt daher, dass Marine Le Pen die Latte unvorsichtigerweise selbst sehr hoch gelegt hatte: Sie posaunte, der FN werde am Sonntag stärkste Partei Frankreichs werden. Dieses Ziel hat sie klar verfehlt. Sie steigerte ihre Stimmenzahl nach den Europawahlen von 2014 (24,9 Prozent) nur geringfügig. Der Politologe Dominique Reynié erklärt deshalb: «Das Wahlresultat unterbricht den unwiderstehlich scheinenden Aufstieg des FN.»
Es kann durchaus sein, dass Marine Le Pen ihr Potenzial langsam ausgeschöpft hat. Ihr Vater Jean-Marie Le Pen war nie über 20 Prozent Stimmen gekommen. Der nüchterne Befund ist trotzdem bedenkenswert, ja bedenklich: Die französischen Rechtsextremen haben erstmals überhaupt bei einer landesweiten Wahl die Schwelle von 25 Prozent überschritten.
«Das Wahlresultat unterbricht den unwiderstehlich scheinenden Aufstieg des FN», sagt Politologe Dominique Reynié.
Und erstmals schlagen sie im ganzen Land Wurzeln – von den Vorstädten mit Immigrationsproblemen bis aufs Land, wo Abwanderung und Arbeitslosigkeit herrschen. Ein einziges Beispiel aus dem Wahlkreis von Coucy-le-Château im rückständigen Departement Aisne: Dort wurden das Kandidatenpaar – solche Binome schreibt das neue Wahlgesetz zur Geschlechterparität vor – des FN schon im ersten Wahlgang mit mehr als 50 Prozent der Stimmen in den Departementsrat gewählt.
Die Wahlsieger sind nicht klar
Alles in allem scheint es, dass die Franzosen die regierende Linke sanktionieren wollten – aber ohne der Rechten zu einem Triumph zu verhelfen. Daher ist die Frage nach dem Wahlsieger nicht klar zu beantworten. Sicher ist: Der Front National (FN) ist mit 25 Prozent der Stimmen eine ebenbürtige dritte Kraft neben den Konservativen (UMP) und den Sozialisten (PS) geworden. Er sprengt damit das bewährte Zweiparteiensystem der Fünften Republik auf.
Charles de Gaulle stattete die jeweils stärkste Partei 1958 mit einem Bonus aus, um stabile Verhältnisse zu schaffen. Dieses Modell geht mit drei ähnlich starken Parteien nicht mehr auf. Die Folgen sind, wie auch die Departementswahlen zeigen, «Dreieckswahlen» mit einem höchst unsicheren Ausgang. De Gaulles Mehrheitswahlrecht wird zur politischen Lotterie.
Das Mehrheitswahlrecht wird nun zur politischen Lotterie.
Auch das wirft die Frage auf, wer letztlich profitiert, wenn der FN vielerorts in die Stichwahl vorstösst. Auf den ersten Blick ist es eher die Linke, da sich die UMP ihre Stimmen mit den Rechtsaussen teilen muss. Mit seinem demagogischen Slogan «FNPS» wirft Sarkozy den Sozialisten vor, sie förderten die Lepenisten seit den Zeiten Mitterrands (1981-1995) klammheimlich.
Am Wahlabend räumte der Ex-Präsident und UMP-Chef aber unfreiwillig selber ein, dass der FN der Linken ebenfalls massiv Stimmen abjagt: Er meinte, Le Pen habe den Syriza-Sieg in Griechenland begrüsst, wie es auch die französische Linke getan habe. Was ebenfalls stimmt: Die Frontisten schlagen heute vor allem in armen und Arbeiterzonen Wurzeln, wo die Sozialisten traditionell stärker sind als die Bürgerlichen.
Die Frage, wem der immer häufigere FN-Vorstoss in den zweiten Wahlgang am meisten nützt, führte jetzt zu einem wütenden Schlagabtausch zwischen Sarkozy und dem sozialistischen Premierminister Manuel Valls. Der UMP-Vorsteher erklärte angriffig, seine Partei gehe mit dem FN keine lokalen Bündnisse ein – aber sie rufe im Fall eines Duells FN-PS auch nicht zur Wahl des Sozialisten auf, um die Rechtsextremen zu verhindern.
Sarkozy plant neuen Partei-Namen
Erbost warf Valls Sarkozy am Montag vor, das sei ein «moralischer und politischer Fehler». Die republikanischen Kräfte, also PS und UMP, müssten sich gegenseitig unterstützen. Sarkozy denkt nicht daran. Um seine moralische Integrität gegenüber dem FN zu beweisen, plant er die Änderung des Parteinamens von «UMP» in «Die Republikaner», was in Frankreich einen positiven Beiklang hat.
Der neuste Clash zwischen den beiden Hitzköpfen Sarkozy und Valls ist natürlich auch ein Vorbote der Präsidentschaftswahlen von 2017. Indem sich die beiden wie Hund und Katz anfeinden, verdrängen sie indirekt auch den geschwächten Präsidenten Hollande aus dem Rampenlicht.
Le Pen verfolgt derweil lächelnd, wie sich ihre Gegner sogar parteiintern auf die Füsse treten: Sarkozy und Alain Juppé auf der Rechten, Hollande und Valls auf der Linken. Nur sie hat die Investitur ihrer Partei für 2017 auf sicher. Beruhigt lehnt sie sich zurück und verfolgt, wie sie die französischen Politik durcheinanderwirbelt. Der Frühling naht, die Saat des FN geht auf.
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Mit der Zukunft von François Hollande und der Linken ist auch die Zukunft von Fessenheim verbunden. Warum? Die Reportage von Michel Schultheiss: Ein Dorf an der Nabelschnur des Atomkraftwerks