Die 5-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo trat bei den Wahlen 2013 als Protestpartei an. Unter dem 29-jährigen Luigi Di Maio erlebt sie einen neuen Aufschwung und wird zur staatstragenden Kraft.
Quarto ist eine wenig bekannte Kleinstadt im Hinterland Neapels. Für die durch den lautstarken Komiker Beppe Grillo bekannt gewordene 5-Sterne-Bewegung hat sie in diesen Tagen grosse Bedeutung: In dem 40’000-Einwohner-Städtchen entscheidet sich, ob die italienische Anti-Establishment-Partei ihre Glaubwürdigkeit behält.
Die Staatsanwaltschaft Neapel ermittelt gegen einen Stadtrat des «Movimento 5 Stelle» (M5S) wegen Verbindungen zur Mafia. Der Mann ist bereits zurückgetreten, die Partei hat ihn ausgeschlossen. Noch offen ist die Frage, ob sich auch unter der 5-Sterne-Bewegung die Politik wie an vielen anderen Orten in Italien dem Verbrechen angedient hat. Doch wie es scheint, hat die als Anti-Korruptions-Partei angetretene Sterne-Bewegung, die seit ihrer Gründung 2009 einen tiefgreifenden, auch kulturellen Wandel Italiens als Ziel ausgibt, ihre Unschuld verloren und ist im Establishment angekommen.
Auch in anderer Hinsicht ist das bereits der Fall. Statt des stets polternden und polemischen Komikers Grillo (67) gibt nun ein eher bedächtig und seriös wirkender junger Mann den Ton in der Partei an: Luigi Di Maio, Jurastudent aus Pomigliano D’Arco bei Neapel. In seinen eng sitzenden Massanzügen wirkt der stellvertretende Parlamentspräsident Di Maio unglamourös und pragmatisch. Seine Bewegung hat er inzwischen im Griff: «Er ist der Leader der Zukunft», sagt eine Parteifreundin über ihn. Auch Grillo, der seine Rolle als publikumswirksamer Lautsprecher Stück für Stück aufgibt, bezeichnete den Jüngling schon als neuen Anführer.
Die Bewegung will sich als führungslose Ausgeburt der direkten Demokratie verstehen. Doch im Stillen hat sich ein Führungswechsel vollzogen.
Di Maio selbst will davon angeblich nichts wissen. Auch weil die Bewegung sich trotz ihrer Abhängigkeit von Grillo und seinem undurchsichtigen Kompagnon Gianroberto Casaleggio weiterhin als führungslos und Ausgeburt direkter Demokratie verstehen will. Doch die Realität gibt Di Maios Fürsprechern recht. Im Stillen hat sich ein Führungswechsel vollzogen.
«Wir wollen regieren»
Die 5-Sterne-Bewegung liegt in Umfragen bei rund 27 Prozent und wäre bei Wahlen derzeit zweitstärkste Kraft hinter Matteo Renzis Demokratischer Partei (PD). Bei einer Stichwahl würde es zum Duell der beiden Kräfte kommen. Doch Wahlen stehen turnusgemäss erst 2018 an.
Renzi, der Premier der Mitte-Links-Regierung ist trotz sinkender Tendenz immer noch Italiens beliebtester Politiker, doch gleich hinter ihm rangiert der Musterknabe und Ferrari-Tifoso Luigi Di Maio. «Wir wollen regieren», stellt Di Maio denn auch unmissverständlich klar. Er ist der inoffizielle M5S-Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten. Renzi und Di Maio sind Konkurrenten, doch in Einzelfragen gehen die beiden aufeinander zu.
Gegen den Willen Grillos verhandelte Di Maio als Vertreter der Oppositionspartei mit Renzi über ein neues Wahlrecht. Für den Ministerpräsidenten war das ein wichtiger Erfolg. Grillos Forderung nach einem Austritt Italiens aus der Nato nach den Pariser Anschlägen erteilte Di Maio eine Absage. Ebenso hält er wenig von einem Referendum über den Euro-Austritt, das Grillo vollmundig angekündigt hatte. Der Euro-Kritiker Di Maio steht eher für Pragmatik statt für plakative Aktionen.
Intelligent agierende Partei statt Fundamentalopposition
Zuletzt handelte die 5-Sterne-Bewegung mit dem PD auch die zuvor wochenlang blockierte Nominierung zweier Verfassungsrichter aus. Bei der bald anstehenden Entscheidung über ein Gesetz für gleichgeschlechtliche Partnerschaften kann Renzi womöglich ebenfalls auf die Stimmen des M5S zählen.
Unter der Führung von Di Maio setzt die Grillo-Bewegung ihr politisches Gewicht nach dem grossen Wahlerfolg 2013, als sie 25 Prozent der Stimmen errang, nun auch gezielt ein. Statt der Fundamentalopposition eines autoritär geführten wilden Haufens bieten sie den Wählern nun das Bild einer intelligent agierenden Partei. Kritiker werfen Di Maio gleichwohl vor, die Seele der Bewegung als kompromisslose politische Alternative verkauft zu haben.
Noch nicht aus dem Weg geräumt sind Zweifel über die politische Zuverlässigkeit der heterogenen Gruppierung, die sich nur schwer traditionellen politischen Mustern zuordnen lässt und auch mit anderen politischen Aufkömmlingen in Europa kaum zu vergleichen ist. Di Maio sieht die Bewegung nicht als Ausgeburt des weitverbreiteten Rechtspopulismus in Europa, sondern vielmehr als Gegengift. Er sagt: «Wir sind eine Barriere gegen Hass und Extremismus.»