Für die neue Dauerausstellung ist nichts zu gross

Gross ist gut! Oder? In der neuen Dauerausstellung im Museum der Kulturen gibt es grosse Objekte und grosse Fragen.

«Diese Ausstellung hat einiges mit Logistik zu tun», erklärt Kuratorin Beatrice Voirol (2. v.l.)

(Bild: Elin Fredriksson)

Gross ist gut! Oder? In der neuen Dauerausstellung im Museum der Kulturen gibt es grosse Objekte und grosse Fragen.

Taj Mahal, Schloss Versailles, Empire State Building – die Geschichte zeigt es vor: Der Mensch mag es gross. In den Städten baut er Wolkenkratzer und auch seinen Körper manipuliert er gerne, so, dass er grösser und kräftiger wirkt. Aber wieso strebt der Mensch immer nach dem Grossen? Ist gross automatisch gut? Und ab wann ist etwas überhaupt gross?

Diesen Fragen geht das Museum der Kulturen in seiner neuen Dauerausstellung «GROSS» nach und veranschaulicht das Thema mit Objekten aus allen Kontinenten. «Grosses hat eine unglaubliche Anziehungskraft», heisst es im Saalblatt. Und so ist es tatsächlich: Im höchsten Raum der Ausstellung bleibt man überwältigt stehen. Riesige Pfeiler von Kulthäusern aus Papua-Neuguinea und Pfähle mit Ahnenbildnissen aus Indonesien sind hier aufgestellt. Der hohe Raum wird maximal ausgenutzt und die Superlative zelebriert.



Grosse Objekte in grossen Räumen – der höchste Raum der Ausstellung wird maximal ausgenutzt.

Grosse Objekte in grossen Räumen – der höchste Raum der Ausstellung wird maximal ausgenutzt. (Bild: Elin Fredriksson)

Logistik ist gefragt

Wie aufwendig der Umgang mit Grösse sein kann, zeigt die Ausstellung mit einem Film, in dem der Transport und der Aufbau der Objekte präsentiert wird. «Diese Ausstellung hat einiges mit Logistik zu tun», sagt Kuratorin Beatrice Voirol. Die Unhandlichkeit der Objekte wird dem Besucher vor Augen geführt. Dies auch ganz konkret mit einigen Objekten, die so gross sind, dass sie nicht in ihrer vollen Pracht, sondern in mehreren Teilen ausgestellt werden.

Die Hausfassade eines Kulthauses der Abelam, einer Bevölkerungsgruppe aus Papua-Neuguinea, wurde ursprünglich in sechs Teile zerlegt. In der Ausstellung sind zwei davon zu sehen. Das kleinere Kulthaus, das zum festen Bestandteil des Museums gehört, wird in die Dauerausstellung miteinbezogen. Mit seinen 16 Metern Länge ist es das grösste Objekt des Hauses.

Metermessung und dicke Hühner

Um zu wissen, ob etwas überhaupt gross ist, muss es zuerst gemessen werden. Beziehungsweise müssen bestimmte Normgrössen und Vorgaben vorhanden sein, die Grösse definieren. Eine Reihe an Messgeräten zeigt, dass die Grössenmessung je nach Zweck und Vorstellung unterschiedlicher Hilfsmittel bedarf.

Der Meterstab beispielsweise, der heute zum alltäglichen Gebrauch gehört, war in der Schweiz vor 1838 nicht üblich. Die Ausstellung zeigt ein frühes Modell, das in der Anfangszeit des Meters benutzt wurde. Eine andere Grössendefinition gilt der richtigen Opfergrösse. Auf Bali werden nur möglichst grosse Hühner geopfert. Um sicherzustellen, dass die Tiere nicht zu kümmerlich sind, gibt es ein besonderes Instrument: Ein Brett mit einem Loch. Passt das Huhn durch das Loch, ist es noch nicht dick genug, um geopfert zu werden.

Klein, aber oho

Dem Besucher wird also vor Augen geführt: Grösse ist definitionsabhängig. Und das auch im übertragenen Sinn. «Napoleon ist das beste Beispiel dafür. Trotz seiner geringen Körpergrösse wurde er als grosser Mann angesehen», sagt Museumsdirektorin Anna Schmid. In der Ausstellung geht es auch um abstrakte Grösse wie Status und Ansehen. Eines dieser Objekte, das Ruhm und Ehre symbolisiert, ist so klein, dass es leicht übersehen wird. Es handelt sich um ein Verdienstkreuz der Italienischen Krone aus dem 19. Jahrhundert und ist die einzige Leihgabe in der Ausstellung.



Beim Klopfen des Rindenbaststoffs geben die Frauen den Takt an.

Beim Klopfen des Rindenbaststoffs geben in Polynesien die Frauen den Takt an. (Bild: Omar Lemke)

Wenn es zur symbolischen Grösse kommt, sei die Männerwelt am Besten vertreten, stellt Schmid bedauernd fest. Doch eines der auffälligsten Objekte der Ausstellung stellt die Frau und ihre Arbeit ins Scheinwerferlicht: Der Rindenbaststoff wird in Polynesien und Melanesien von Frauen hergestellt. Mit Klopfbewegungen wird aus dem Bast von Maulbeerbäumen ein grosser, dünner Faserstoff hergestellt. «Die Frauen geben somit im Dorf den Takt an», sagt Voirol.

Grösse wird hier in einen Widerspruch gesetzt: Die Stoffbahnen sind zwar riesig, aber sehr dünn und sehr leicht. Einmal mehr spielt die Ausstellung mit unserer gängigen Wahrnehmung und sagt: «Alles ist relativ!»

Unmessbare Grössen

Viele Objekte sind nicht nur physisch gross sondern stehen im Zusammenhang mit Ritualen, welche abstrakte Grössen wie Geburt und Tod thematisieren. «Verschiedene Dinge kommen zusammen», sagt Voirol. In einem letzten Teil der Ausstellung geht es um Grösse, die wir uns nicht vorstellen können: die Unendlichkeit. Mit Särgen in Form von Luxusautos werden in Ghana die Toten bestattet und in Europa hat man im 17. Jahrhundert die Körperlänge Marias auf einem Papierstreifen festgehalten und schwangeren Frauen um den Leib gebunden.

Der Mensch versucht eben auch zu messen, was er nicht messen kann. Mit einem Online-Projekt des Künstlers Marc Lee wird die unfassbare Menge an Daten, die wir auf Social Media generieren, veranschaulicht. Die Ausstellung spannt somit den Bogen zur Gegenwart und stimmt den Besucher nachdenklich. Ob physisch, moralisch oder religiös – der Mensch ist und bleibt grössenwahnsinnig.


«GROSS» im Museum der Kulturen, Münsterplatz 20, Basel, ab 1. Juli

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