Für Erben lohnt sich das Auswandern nicht

Die Steuern gehen hoch, die reichen Rentner wandern ab – ein altbekanntes Schreckensbild, das dieser Tage erneut gemalt wird. Doch die Flucht ins Ausland lohnt sich nicht.

(Bild: Keystone)

Die Steuern gehen hoch, die reichen Rentner wandern ab – ein altbekanntes Schreckensbild, das dieser Tage erneut gemalt wird. Doch die Flucht ins Ausland lohnt sich nicht.

Stehen Steuererhöhungen an, wird von Kritikern stets dieselbe Angst heraufbeschworen: Vermögende Personen könnten das Land verlassen. Auch bei der bevorstehenden Abstimmung über die Erbschaftssteuer warnt das Eidgenössische Finanzdepartement vor diesem Szenario. Doch was ist an dieser Sorge dran?

Nicht viel, wenn man Marius Brülhart glaubt. In einer Studie, die der Wirtschaftsprofessor der Universität Lausanne vor mehr als einem Jahr veröffentlichte, zeigte er auf, dass wohlhabende Rentner nicht aufgrund von interkantonalen Unterschieden bei der Erbschaftsbelastung wegziehen.

Diese Trägheit führt dem Wirtschaftsprofessor zufolge im Gegenteil oft dazu, dass kantonale Erbschaftssteuer-Senkungen langfristig zu Steuereinbussen führen – da auch keine Vermögenden zuwandern. Auf dem Forum für Schweizer Wirtschaftspolitik merkte Brülhart denn auch süffisant an, dass die Befürchtung, eine nationale Erbschaftssteuer würde zu einem Einbruch des Steuersubstrats führen, «in die Kategorie Schauermärchen» gehöre.

Lieber in Frankreich vererben?

Die Brülhart-Studie befasst sich lediglich mit dem Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen. Wie sieht es aber mit der Mobilität über die Landesgrenzen hinweg aus? Wäre das Ausland nach Annahme der Initiative für reiche Rentner eine Option? Gerade im Dreiländereck ist der Schritt ins nahegelegene Ausland klein.

Die Initiative sieht vor, dass auch direkte Nachkommen Erbschaftssteuern zahlen müssen. Unsere französischen Nachbarn bitten Kinder und Enkel bereits landesweit zur Kasse. In der Grande Nation müssen direkte Nachkommen tief in die Tasche greifen. Bis zu 45 Prozent des Erbes müssen Kinder dem Staat abliefern (siehe Tabelle). Zudem hat der sozialistische Präsident François Hollande den Freibetrag bei Erbschaften von 160’000 Euro auf 100’000 Euro gesenkt (im Jahr 2012), und damit eine Debatte um die Belastung der Mittelschicht entfacht.

Selbst wenn die Erbschaftsinitiative der SP angenommen würde, wäre für direkte Nachkommen ein Umzug nach Frankreich steuerlich alles andere als lukrativ. Bei einem Erbe von sechs Millionen Franken müsste eine Tochter in der Schweiz 800’000 an den Fiskus abliefern, in Frankreich hingegen stolze 2,6 Millionen Franken.

Rechenbeispiel: Wie viel müssen direkte Nachkommen an den Staat abgeben?

Erbschaft von 6’000’000 Franken
Schweiz (bei Annahme der Initiative): 800’000 Franken
Frankreich: 2’600’000 Franken
Deutschland: 1’100’000 Franken

Dann eben nach Deutschland?

Unsere Nachbarn im Norden kennen ebenfalls eine nationale Erbschaftssteuer, die zwischen dem Verwandtschaftsgrad und der Höhe der Erbschaft unterscheidet. Für direkte Nachkommen ist die Erbschaftssteuer in Deutschland weniger hoch als in Frankreich. So muss ein Kind im Alter von 28 Jahren bei einer Erbschaft von sechs Millionen Franken rund 1,1 Millionen Franken an den Staat abgeben (siehe Tabelle).

Was spricht also dagegen?

Der Steuerwettbewerb funktioniert gemäss Brülhart nicht als Argument gegen die Erbschaftsinitiative. Der Ökonom erachtet eine nationale Erbschaftssteuer als eine «der schmerzlosesten Formen staatlicher Mittelbeschaffung». Dennoch kritisiert er, dass die Initiative die Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer nicht an die Senkung anderer Steuern knüpfe. Für Brülhart ist daher klar, dass die Initianten ein anderes Ziel verfolgen: «Sie wollen mehr Staat, statt einen intelligenter finanzierten Staat.»

Erfahren Sie mehr über die Erbschaftssteuer in unserer interaktiven Grafik.

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