Gary Nevilles Antwort auf Valencias Debakel: «Next question»

Ein überforderter Trainer und Spieler ohne Kompass: Die infame 0:7-Niederlage gegen Barcelona zeigt den FC Valencia in Erklärungsnot.

epa05059592 Valencia's English head coach Gary Neville reacts during a press conference in Paterna, near Valencia, eastern Spain, 08 December 2015. Valencia CF will face Olympique Lyon in the UEFA Champions League group H soccer match on 09 December 2015. EPA/MANUEL BRUQUE

(Bild: Keystone/MANUEL BRUQUE)

Ein überforderter Trainer und Spieler ohne Kompass: Die infame 0:7-Niederlage gegen Barcelona zeigt den FC Valencia in Erklärungsnot.

Shkodran Mustafi spricht nach anderthalb Jahren in Valencia schon hervorragend Spanisch. Die Sprache lässt ihn nicht einmal nach der schlimmsten Demütigung seiner Karriere im Stich.

Blass, mit leerem Blick und mechanischer Stimme, doch grammatikalisch jederzeit korrekt, schilderte der deutsche Verteidiger also, wie seine Mannschaft «in der Scheisse steckt». Eine Mannschaft, die er erstmals als Kapitän aufs Feld geführt hatte. Die er mit einer Roten Karte kurz vor der Halbzeitpause verlassen musste. Die vorher und nachher, mit ihm und ohne ihn 0:7 unterging, im Halbfinal-Hinspiel des spanischen Pokals beim FC Barcelona.

«Blamage, Trümmer, Schande»

Valencias Fussballblatt «Superdeporte» bot Clubeigner Peter Lim anderntags auf der Titelseite an, sich die Schlagzeile aus sechs angebotenen Vokabeln selbst zusammenzubasteln: Blamage, Trümmer, Schande, nichtswürdig, unerträglich, beleidigend. Der sechsmalige spanische Meister ist ein stolzer Club, deshalb folgt ihm ja sogar eine eigene Sportzeitung. Er lieferte aber in der Tat eine so infame Vorstellung, wie sie seit Jahren im Camp Nou kein Levante oder Granada, kein Bate Borisov und nicht mal der Drittligist Villanovense in der ersten Pokalrunde zustande gebracht hatte.

Ab der ersten Minute hing das Ergebnis allein an der Gnade der Titelverteidiger aus Katalonien. Letztlich beliess es Barça bei vier Treffern des besonders hinreissenden Luis Suárez und dreien von Lionel Messi. Den Elfmeter nach Mustafis Notbremse gegen Messi schoss Neymar an die Latte. Bei Valencias Reportern machte daraufhin sogar das Wort Karlsruhe die Runde. Karlsruhe steht in Valencia symbolisch für: Schmach. In Karlsruhe bekam der damals von Guus Hiddink trainierte Verein im November 1993 das schlimmste Verdikt seiner Geschichte ausgestellt. Nicht Messi, dafür Euro-Eddy und ebenfalls: ein 0:7.



FC Valencia-Kapitän Shkodran Mustafi musste das Spiel gegen den FC Barcelona kurz vor der Halbzeitpause mit einer Roten Karte verlassen.

FC Valencia-Kapitän Shkodran Mustafi musste das Spiel gegen den FC Barcelona kurz vor der Halbzeitpause mit einer Roten Karte verlassen. (Bild: Keystone/QUIQUE GARCIA)


Nur Gary Neville konnte mit der Anspielung auf Karlsruhe nichts anfangen, als er im Camp Nou einem denkwürdigen Ad-hoc-Tribunal unterzogen wurde. Neville kennt die Episode wahrscheinlich nicht mal. Er hatte ja nie etwas mit Valencia oder auch nur dem spanischen Fussball zu tun gehabt, als er im Dezember überraschend und aufgrund seiner Geschäftsfreundschaft mit Lim engagiert wurde. Er hatte zuvor nicht einmal irgendwo als Cheftrainer gearbeitet. Seine Referenzen bezog er aus einer erfolgreichen Spielerkarriere bei Manchester United und wortmächtigen Auftritten als Experte im englischen Fernsehen. Geredet hat er seitdem auch in Valencia immer gut. Nun gab er sich erstmals wortkarg. Schliesslich antwortete er nur noch: «Next question.»

Die Fragen an Valencia-Trainer Gary Neville bestanden nur aus mehr oder weniger verklausulierten Rücktrittsforderungen.

Die Fragen bestanden nämlich im Prinzip nur aus mehr oder weniger oder gar nicht verklausulierten Rücktrittsforderungen. Neville lehnte eine Demission jedoch ab, und noch scheint ihn sein Amigo Lim zu stützen. Doch auf dem Platz sieht man wenig, das den Trainer entlasten könnte. Von acht Ligaspielen hat er noch keines gewonnen. Valencias Punktausbeute zu diesem Zeitpunkt der Saison war zuletzt im Jahr 1986 schlechter. Damals stieg man ab, jetzt beträgt der Vorsprung des Champions-League-Teilnehmers auf die rote Zone nur noch fünf Punkte.

In Barcelona versuchte es Neville mit einer Taktik aus doppelt besetzten Aussenverteidigerpositionen, verzichtete dafür aber auf jedes Pressing in der Mitte – eigentlich eine unverzichtbare Voraussetzung, um die Wundertruppe nicht ins Rollen kommen zu lassen. Und als sowieso schon alles den Bach runter ging, setzte der Trainer den Karnevalesken mit der Einwechslung des am Vortag von Real Madrid ausgeliehenen Denis Cheryshev noch eigenhändig die Krone auf. Wegen der unbotmässigen Aufstellung des gesperrten Russen in der ersten Spielrunde war Barças Erzrivale Real vom Pokal ausgeschlossen worden. Das Camp Nou feierte ihn höhnisch, so prächtig amüsieren sie sich selbst im Tempel der Fussballkunst nur alle Jubeljahre.

Nachhaltige Fehlentwicklungen

Letztlich lag Neville nur in einem richtig: seiner Einschätzung, dass es ohne Mustafis Platzverweis auch nicht viel anders gekommen wäre. Der Deutsche bestritt die Entscheidung energisch, weil er neben Messis Beinen auch den Ball getroffen hatte, und insgesamt ist nicht auszuschliessen, dass er Pokalreisen nach Barcelona künftig verweigern wird – bereits vorige Saison hatte er durch eine Rote Karte nach Notbremse das Achtelfinalaus bei Espanyol eingeleitet. Ansonsten galt er in Valencia lange eher als Stabilisator. Gar von Interesse aus Madrid oder München wurde berichtet. Doch wie die ganze Mannschaft leidet er diese Saison unter dem Abgang von Abwehrchef Nicolas Otamendi zu Manchester City. Und angekommen in der aktuellen Phase ist es wohl unmöglich, sich bei Valencia irgendwelche Meriten zu erwerben.

Seltsame Transferentscheidungen, die Fernherrschaft des Singapurers Lim, der dubiose Einfluss von Agentenkönig Jorge Mendes, ein System, das Kumpanei vor Meriten stellt, überforderte Trainer und Spieler ohne Kompass – die Fehlentwicklungen sind längst so nachhaltig ineinander verstrickt, dass sie kaum einer mehr aufzudröseln vermag. «Wir müssen die Anhänger und Angestellten des Vereins um Entschuldigung bitten, denn das verdienen sie nicht», sagte Mustafi nach dem Debakel von Barcelona. Mit der Grabesstimme des gestrandeten Kapitäns fügte er hinzu, zweimal, wie um sich selbst zu überzeugen: «Ich glaube an diese Mannschaft, das wird mir keiner nehmen können.»

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