Am Sonntag fand nach vier Jahren wieder eine Gay-Pride in Belgrad statt. Die serbische Regierung will die EU-Tauglichkeit des Landes unter Beweis stellen. Dabei musste die Veranstaltung von 6000 Polizisten geschützt werden.
Regenbogen, fröhliche Teilnehmer und eine ausgelassene Stimmung. So stellen sich die meisten Menschen eine Gay-Pride-Parade vor. Bis es in der serbischen Hauptstadt so weit ist, könnten noch einige Jahre vergehen. Vor dem Beginn der diesjährigen Belgrader Gay-Pride durfte niemand die Hauptstrassen der Innenstadt betreten. Das Zentrum Belgrads war menschenleer; die Teilnehmer der Parade in einer Polizeiblase eingekesselt. Etwa 6000 Polizisten in Schutzanzügen begleiten die Demonstranten, von denen weit weniger als tausend gekommen waren.
Die niederländische Journalistin Mitra Nazar twitterte kurz vor dem Ende der Demonstrationsroute: «Die Atmosphäre hier ist friedlich. Keine Ahnung, was ausserhalb der Polizeiblase geschieht.» Der Umzug sollte um jeden Preis geschützt werden, damit die serbische Regierung die EU-Tauglichkeit des Landes unter Beweis stellen kann. Goran Miletic, einer der Hauptorganisatoren, kommentierte das massive Polizeiaufgebot ironisch mit den Worten: «Das ist die serbische Version des Rechts auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit.»
Feier unter Aufsicht: 6000 Polizisten sorgten für die Sicherheit an der Gay-Pride. (Bild: DJORDJE KOJADINOVIC)
Die Geschichte der Belgrader Gay-Pride ist eine Geschichte von Misserfolgen, Nationalismus, Gewalt und bröckelndem Engagement aus der Community selbst. Bereits 2010, als die letzte Belgrader Gay-Pride stattfand, haben die Demonstranten innerhalb des Polizeigürtels nichts von den Reaktionen der Aussenwelt mitbekommen. Trauriger Höhepunkt waren massive Ausschreitungen, an denen sich damals bis zu 6000 Gegendemonstranten beteiligt hatten, darunter hauptsächlich Neonazis und Hooligans. Die Bilanz von 2010: Über 150 Verletzte und Sachschäden in Millionenhöhe. Filmisch wurde dieses Ereignis im Film «Parada» von Srdjan Dragojevic verarbeitet, einem der erfolgreichsten serbischen Filme aller Zeiten.
Die Gay-Pride wurde in Serbien hauptsächlich als Sicherheitsthema diskutiert. Dabei lief das Spektakel nach 2010 immer nach demselben Drehbuch ab: Die Regierung betonte, die Veranstaltung schützen zu wollen, und sagte sie daraufhin immer kurz zuvor aus «Sicherheitsgründen» ab. Auch in diesem Jahr war bis zum Morgen der Demonstration nicht klar, ob diese stattfinden könne.
Die Gegner der Pride sahen sich einem enormen Sicherheitsaufgebot gegenüber. (Bild: STRINGER)
Noch am Abend vor der Gay-Pride kam es zu homophoben Protesten, deren Teilnehmer forderten, die Veranstaltung abzusagen. Organisiert wurden diese von der rechtsextremen und religiös-fundamentalistischen Partei Dveri. Die Teilnehmer der Demonstration beteten zu Heiligenbildern, auf einem grossen Plakat sah man einen finster dreinblickenden Jesus Christus. Als Serbien im Mai diesen Jahres von der schlimmsten Flutkatastrophe seit Beginn der Wetteraufzeichnungen heimgesucht wurde, war die Schuldige schnell gefunden. Der serbisch-orthodoxe Metropolit Amfilohije Radovic beschuldigte Conchita Wurst und sagte: «Gott schickte den Regen, um uns daran zu erinnern, dass wir nicht die wilde Seite wählen dürfen.» Iriney, der Patriarch der serbisch-orthodoxen Kirche, brachte Homosexualität mit Pädophilie in Verbindung.
Und an allem ist Conchita Wurst schuld.
Auch auf der Gay-Pride findet sich der Heiland, und zwar auf dem T-Shirt eines Demonstranten – bei ihm sieht Jesus allerdings deutlich besser gelaunt aus. Teilgenommen haben auch der serbische Kultusminister Ivan Tasovac und der Belgrader Bürgermeister Sinisa Mali. Auch Tanja Miscevic, die Verhandlungsführerin bei den Beitrittsgesprächen mit der EU, war vor Ort und sagte: «Diese Veranstaltung zeigt, das Serbien bereit ist, für dieselben Werte einzutreten wie die Staaten der EU.»
Ministerpräsident: «Mir fällt es nicht ein, dort hin zu gehen»
Für die serbischen Regierungspolitiker stellt die Gay-Pride eine Herausforderung dar. Am 21. Januar diesen Jahres begannen die offiziellen Beitrittsverhandlungen zwischen Serbien und der EU. Einerseits gilt es der Europäischen Union zu zeigen, dass man grundlegende Menschenrechte achte, andererseits will man die eigene homofeindliche Wählerschaft nicht vergraulen. Der serbische Premierminister Aleksandar Vucic erklärte auf einer Pressekonferenz vergangenen Dienstag: «Es ist meine Aufgabe für die Sicherheit der Bürger zu sorgen. Dennoch ist es meine Entscheidung, nicht an der Parade teilzunehmen, und es fällt mir nicht ein dort hin zu gehen.»
Nach dem Umzug legte Vucic noch einen drauf: «Wir haben das nicht getan, weil uns die EU dazu gezwungen hat, und auch nicht, weil wir die homosexuelle Bevölkerung mehr respektieren als die Kirche. Wir haben es getan, weil unsere Verfassung, unser Gesetz und unser Respekt vor den Menschenrechten es fordert. Dies gilt, auch wenn die Veranstaltung nicht im Einklang mit unseren persönlichen Überzeugungen steht.» Der jüngere Bruder des Ministerpräsidenten und zwei seiner Begleiter wurden am Rande der Veranstaltung von der Sonderpolizei verprügelt und daraufhin ins Belgrader Militärkrankenhaus gebracht, das nachfolgende Video zeigt die Szenen gemäss Medienberichten. Die genauen Umstände sind bislang nicht geklärt.
Bei den Teilnehmern handelt es sich zudem überwiegend um Aktivisten, NGO-Mitarbeiter, Politiker und andere Personen aus dem öffentlichen Leben. Es ist ein offenes Geheimnis, dass es ohne den Druck der Europäischen Union keinen Christopher Street Day in Belgrad geben würde. Wer ehrlich ist, weiss auch, dass die meisten Schwulen und Lesben in Serbien nicht viel auf die Demonstration geben. Die Belgrader Gay-Pride ist keine Gay-Pride – sie ist ein Indikator dafür, ob die serbische Regierung bereit ist, grundlegende Menschenrechte zu schützen oder nicht.
Gay-Pride ist ein Indikator dafür, ob die serbische Regierung bereit ist, grundlegende Menschenrechte zu schützen.
Ein paar Dutzend Personen, die gegen die Parade demonstrieren wollten, wurden von der Polizei aufgehalten. Verglichen mit den Ausschreitungen von 2010 haben es die Gegner dieses Jahr nicht geschafft, eine grosse Anzahl von gewalttätigen Gegendemonstranten auf die Strasse zu bekommen. Das ist der grösste Fortschritt der vergangenen vier Jahre.
Die meisten Teilnehmer waren NGO-Mitarbeiter, Politiker und Personen aus dem öffentlichen Leben. (Bild: DJORDJE KOJADINOVIC)