Geht der Fluch nicht weg, soll er dem Dorf wenigstens etwas einbringen

Hexerei, böser Blick oder einfach Pech: Das kleine Dorf Colobraro scheint verflucht zu sein. Jetzt versucht die Gemeinde, ihren Ruf als Hort des Unglücks abzustreifen.

Irgendwann müsste doch etwas Licht auf die vom Pech verfolgte Gemeinde fallen.

(Bild: Gaetano Virgallito)

Hexerei, böser Blick oder einfach Pech: Das kleine Dorf Colobraro scheint verflucht zu sein. Jetzt versucht die Gemeinde, ihren Ruf als Hort des Unglücks abzustreifen.

Andrea Bernardo hat den miserablen Ruf seines Dorfes am eigenen Leib erlebt. Als Jugendlicher brauchte er einst ein amtliches Dokument und nahm zu diesem Zweck die stundenlange Reise in die Provinzhauptstadt Matera auf sich. Die Beamten nahmen den Antrag entgegen und gaben zu verstehen, dass Bernardo das Schreiben in den nächsten Tagen oder Wochen abholen könne. «Ich komme aus Colobraro», sagte Bernardo, der heute 52 Jahre alt und Bürgermeister des angeblich unglückseligsten Dorfes in Italien ist. Da erfasste die Beamten ein mysteriöser Eifer. Nach zwei Stunden war das Schreiben bereit.

Es ist für Menschen, bei denen die Aufklärung Spuren hinterlassen hat, nur schwer zu verstehen. Doch der Aberglaube ist auch in Europa weit verbreitet, nicht zuletzt in Süditalien. Colobraro in der Region Basilikata, 80 Kilometer von Matera entfernt, der europäischen Kulturhauptstadt 2019, scheint das Epizentrum für den Glauben an allerlei Übernatürliches zu sein.

Um einem möglichen Fluch zu entgehen, beeilten sich damals die Beamten bei der Beschaffung des Dokuments für Bernardo ganz besonders. Bis heute nehmen die Menschen in der Umgebung den Namen des Dorfes gar nicht erst in den Mund, aus Angst vor fürchterlichen Folgen. «Quel paese», sagen sie nur. «Dieses Dorf.»

Auch die Carabinieri fürchten sich

Wer so viel Irrationalität für unmöglich hält, der ruft am besten beim Bürgermeister der 1300-Seelen-Gemeinde höchstpersönlich an. «Es stimmt, der Aberglaube ist bei uns sehr weit verbreitet», bestätigt Bernardo. Er selbst halte allerdings eher wenig davon. Doch die Legende vom miserablen Colobraro hat sich längst verselbstständigt.




Bürgermeister Andrea Bernardo hat Fluch und Segen des Aberglaubens erlebt.

Da ist die Dorfbewohnerin, die erzählt, dass ihre Mitschüler aus den umliegenden Dörfern Eisen berührten, wenn sie vorbei kam. Eisen gilt bei abergläubischen Italienern als Ableiter für den bösen Blick oder ähnliches Unglück. Eine andere Frau berichtet, dass Leute aus der Umgebung nicht mit ihr in den Lift steigen wollen, weil sie als Colabrese Pech bringe. Wer darin bloss reinen Wahnsinn erkennt, der kann sich auch andere Episoden zum Besten geben lassen, etwa von auffällig vielen geplatzten Autoreifen bei der Anfahrt auf das 700 Meter über Meer auf einem der ersten Appennin-Hügel gelegenen Bergdorf.

Bestätigt ist auch das Zurückweichen der Staatsgewalt angesichts des Fluchs von Colobraro: Anwohner müssen bei Verkehrskontrollen keine Sanktionen befürchten, weil die Carabinieri es nicht mit noch höheren Mächten aufnehmen und keinesfalls verflucht werden wollen. Der Name Colobraro kommt schliesslich von Coluber, was auf Latein Natter oder Schlange bedeutet und bekanntlich der Inbegriff des Bösen ist.

Touristen kaufen Amulette gegen den bösen Blick

Der Spuk erhielt in den 1940er-Jahren neuen Stoff, als der damalige Bürgermeister bei einer Versammlung drohte, wenn man ihm nicht glaube, dann möge der Lüster von der Zimmerdecke herabfallen. Der Legende zufolge bohrte dieser sich sogleich ins Parkett. Als ein Anthropologe 1952 die Tradition der Wahrsagerinnen und Hexen im Dorf zu erkunden wagte, will er selbst Opfer des Fluchs geworden sein. Seine Mitarbeiter erkrankten, einem Gehilfen entzündeten sich die Streichhölzer von selbst in der Hose.




Als Destination für Geisterjäger hätte Colobraro sicher Potenzial. (Bild: Gaetano Virgallito)

Es war wie verhext! Das italienische Fernsehen trug mit der Weiterverbreitung des Unheils das Seine zur Legendenbildung bei. Was also tun gegen diesen fatalen Mix aus schwarzer Magie und süditalienischer Perspektivelosigkeit?

Seit Bernardo vor neun Jahren ins Amt kam, versuchen die Colabresi den Fluch zu vermarkten. Touristen werden offenbar erfolgreich Amulette gegen den bösen Blick verkauft und jeweils im August findet ein Festival statt, in dem der ganze Horror ironisch aufgearbeitet wird. Zuletzt kam Bernardo auf die Idee, das Glück selbst herauszufordern. Um den Jackpot in Höhe von 93 Millionen Euro im italienischen Lotto zu knacken, bekamen alle volljährigen Bürger einen Wettschein für eine aussichtsreiche Systemwette.

Ein Sieg hätte die Wende bringen können. Aber wie sollte es anders sein? Der Gewinn blieb aus. In Colobraro reagiert bis auf Weiteres das Pech.

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