Geld macht gesund

Das Entwicklungsprojekt Access unterstützt Frauengruppen in Tansania mit Mikrokrediten. Von der wirtschaftlichen Förderung profitiert auch die Gesundheitsversorgung im Kilombero-Tal.

Singen und tanzen gegen Malaria: Die Botschaften auf den gelben T-Shirts sind einfach, sie umzusetzen ist schwierig. (Bild: Jürg Bürgi)

Das Entwicklungsprojekt Access unterstützt Frauengruppen in Tansania mit Mikrokrediten. Von der wirtschaftlichen Förderung profitiert auch die Gesundheitsversorgung im Kilombero-Tal.

Etwa fünf Mal im Jahr ziehen sich Getruda Rashidi (37) und drei Dutzend weitere Mitglieder der Muungano-Frauengruppe ein kanariengelbes T-Shirt über, um an Gemeindeversammlungen oder Elterntagen in der Schule tanzend und singend über Malaria aufzuklären. Die Frauen im tansanischen Kilombero-Tal sind dann mit grosser Begeisterung bei der Sache. Auch kleine Spielszenen gehören zum Repertoire. Sie zeigen verzweifelte Mütter, die mit ihren Kindern zum Heiler laufen, weil sie glauben, die Kleinen seien verhext worden. Falsch, werden die Zuschauer belehrt, die Kinder leiden an Malaria und müssen innert 24 Stunden mit ALu (Artemether/Lumefantrin) behandelt werden.

Die Botschaft, die auch auf den gelben T-Shirts der Frauen aufgedruckt ist, tönt einfach. Sie umzusetzen ist aber schwierig. Das Dorf Namwawala ist abgelegen, ein Ambulatorium aufzusuchen kostet Geld – für den Transport auf einem Motorrad zum Beispiel und für die Medikamente, falls sie überhaupt vorrätig sind. Nur für Kinder unter fünf und Schwangere ist in Tansania der Gesundheitsdienst gratis.

Deshalb gründeten Frauen aus dem Dorf 2005 einen Sparverein. Alle zahlten 5000 Shilling ein, aktuell knapp drei Franken, um einander bei Krankheit und in anderen Notfällen beizustehen. Dabei blieb es nicht. Das Access-Programm begann 2008, Frauengruppen in den Distrikten Kilombero und Ulanga mit jeweils einer Million bis drei Millionen Shilling (knapp 600 bis 1800 Franken) Startkapital auszustatten. Die Mitglieder der Gruppen konnten Darlehen beantragen, um damit ein kleines Geschäft zu beginnen.

Finanzierung und Beratung

Getruda Rashidi war eine der Ersten, die sich um einen Kredit bewarben. Für 200 000 Shilling (120 Franken) begann sie eine Schweinezucht – je die Hälfte des Geldes setzte sie ein, um zwei Muttersäue zu kaufen und einen Stall zu bauen. Jetzt, vier Jahre später, tummeln sich 56 Schweine auf dem Areal. Sie verkauft die Ferkel im Alter von zwei Monaten für 30 000 Shilling (18 Franken) das Stück und ist ständig dabei, den Betrieb zu erweitern. Reklame muss sie keine machen. In der Gegend ist ihr Angebot weitherum bekannt. Den ursprünglichen Kredit hat sie nach einem halben Jahr zurückbezahlt. Für die Weiterentwicklung ihres Geschäfts kann sie, wenn nötig, immer wieder neue Darlehen aufnehmen. Inzwischen beschäftigt Getruda, verheiratet und Mutter von drei Kindern, zwei Angestellte, denen sie monatlich je 40 000 Shilling bezahlt.

Kleinviehhaltung, die Landwirtschaft im Allgemeinen, sei in den Dörfern besonders beliebt, berichtet Iddy Mayumana, dessen Recherchen für seine Masterarbeit im Rahmen des Access-Projekts den Anstoss für die Finanzierung der Frauengruppen gab. Wer seinen Kredit in diesem Feld einsetzt, erhält Unterstützung von einem Landwirtschaftsberater. Getruda Rashidi kann sich überdies auf den Veterinärdienst des Distrikts verlassen.

Weniger Glück hatte die genossenschaftliche Schweinezucht einer anderen Gruppe. Dort gingen Ferkel zugrunde, weil der zuständige Beamte des tierärztlichen Dienstes zu den Dorfkönigen gehörte und ihm die Fraueninitiative missfiel. Erst als Iddy Mayumana an höherer Stelle für Remedur sorgte, kam das Projekt wieder in Gang.

Neid und Missgunst kennen alle, die in der Entwicklungshilfe Geld zu verteilen haben. In einem Ort führte die Unterstützung eines Bienen-­Projekts dazu, dass eine rivalisierende­ Gruppe, die sich erfolglos um den ­Access-Kredit beworben hatte, die Bienen mit Tabakrauch aus ihren ­Stöcken vertrieb. Das Projekt musste an einem neuen, weit abgelegenen Ort neu begonnen werden.

Es ist kein Zufall, dass die Tüchtigsten unter den Frauen auch die Ersten sind, die sich auf Kreditgeschäfte einlassen. Etwa Mary Mpenda (41), die mit ihrer Familie und drei Teilzeitarbeitern 22 Acres (rund neun Hektaren) bewirtschaftet. Das ist in Tansania, wo die meisten Bauern nur für ihren eigenen Lebensunterhalt produzieren, ein Grossbetrieb. Mary fand allerdings, dass der Maisanbau wegen der unsicheren Wetterverhältnisse zu wenig einbringt.

Mit einem 100 000-Shilling-Kredit hat sie auf einem Acre ­(40 Aren) Wassermelonen angepflanzt, die sich sehr gut entwickeln. Mary verkauft sie vom Feld weg an einen Händler, der die Melonen abholt und gleich bezahlt. Letztes Jahr verdiente sie zwei Millionen Shilling damit. Den Kredit hat sie längst zurückbezahlt. Aus Freude über den Erfolg stellte sie ihrer Gruppe zudem einen Acker zur Verfügung, auf dem die Frauen gemeinsam Melonen kultivieren.

Demokratische Kontrolle

Da die Frauengruppen demokratisch verfasst sind – Musterstatuten und Beratung erhalten sie von Access – und da sie weiter regelmässig in den gemeinsamen Spartopf einzahlen, ist gewährleistet, dass das Geld nicht ausgeht und alle Mitglieder die Chance haben, ihr unternehmerisches Talent zu beweisen. Und das tun sie mit grossem ­Enthusiasmus. In den zehn Dörfern, in denen Frauengruppen Kleinkredite vergeben können, entstanden in den letzten Jahren kleine Handelsgeschäfte für Reis, Holzkohle, Schuhe, dazu einige traditionelle Restaurants und Mikro-Brauereien. Die Frauen pflanzen, oft gemeinsam, Reis, Sesam und Gemüse an; sie halten Hühner, Schweine und Ziegen, und ihr Gespartes setzen sie nicht nur für aktuelle Geschäfte ein, sondern auch für ihre Zukunft – indem sie das Schulgeld für die Kinder übernehmen.

Als Gegenleistung für «Seed-­money», Beratung und technische Unterstützung erwarten Iddy Mayumana und Flora Kessy, die im Projektteam die Frauenförderung begleiten, Engagement für die Verbesserung der ländlichen Gesundheitsversorgung. Die Frauen sind alle Mitglieder der neu geschaffenen kom­munalen Krankenkassen. Sie benutzen in ihren Familien imprägnierte Moskitonetze und sie wirken singend, tanzend und Theater spielend in ihren Gemeinden als Botschafter der Malaria-Verhütung und -Behandlung.
Die Überzeugungsarbeit ist oft ein schwierigeres Geschäft als der Krampf in Feld und Stall. Denn die Mehrheit der Dörfler sieht nicht ein, weshalb sie Geld für eine Krankenkasse ausgeben soll, die Leistungen verspricht, welche viele Gemeinde-Ambulatorien nicht bieten können. Um den schlechten Ruf dieser Einrichtungen nachhaltig zu verbessern, setzte Projektleiterin Flora Kessy, leitende Sozialwissenschafterin am Ifakara Health Institute (IHI), die systematische Renovierung und Aufrüstung der Ambulatorien in den zwei Projektdistrikten durch. Das Personal wurde aufgestockt und verfügt nun über Malaria-Schnelltests und ein Mikroskop für die Diagnose.

Streben nach Qualität

Die Einrichtungen müssen sich jährlich einer einfachen, transparent gestalteten Qualitätskontrolle unterziehen. Schnell entwickelte sich daraus ein Wettbewerb unter den Ambulatorien. Es gibt einen Pokal zu gewinnen und eine kleine finanzielle Anerkennung. Es sei erstaunlich gewesen, dass weit abgelegene Ambulatorien regelmässig an der Spitze der Rangliste standen, berichtet Flora Kessy. Dort setze sich die ganze Bevölkerung für das Ambulatorium ein, weil sie wisse, wie sehr sie auf dessen Service angewiesen sei. Die Qualitätskontrolle hat auch die medizinischen Dienste verbessert. Die Clinical Officers, Mediziner mit einer Grundausbildung, erhielten neue Handbücher, die sicherstellen, dass sie während der Konsultationen die richtigen Fragen stellen und aus den Antworten die richtigen Schlüsse ziehen. Wert gelegt wird auch auf Hygiene bei Untersuchung und Behandlung und Höflichkeit gegenüber den Patienten.

Ein Besuch im Gemeindeambulatorium von Michenga bestätigt das Engagement des Clinical Officers, seiner Krankenschwester, der Hebamme und dreier weiterer Teammitglieder. Die Räume sind sauber und aufgeräumt. Der Mediziner wäscht sich vorschriftsmässig die Hände, bevor er den kleinen Patienten untersucht. Für die Behandlung erwachsener Malaria-Patienten, räumt er später ein, fehlten ihm die Medikamente.

Flora Kessy und ihrem Team geht die Arbeit also nicht aus. Die Hürden werden immer höher, je weiter man sich in der Hierarchie der staatlichen Verwaltung nach oben bewegt, dort, wo die Arzneimittel-Zuteilungen vorgenommen werden, dort, wo dafür gesorgt werden müsste, dass die Medikamente, die den Gesundheitsdiensten zu Selbstkosten geliefert werden, die Bedürftigen rechtzeitig erreichen.

Basler Engagement gegen Malaria in Afrika

Das Access-Programm entstand aus der Einsicht, dass es nicht genügt, den Zugang zu erschwinglichen Medikamenten und zu Gesundheitsdiensten zu erleichtern, um in Tansania die Malaria zu bekämpfen. Die Bauernfamilien, die während Monaten nicht in ihren Dörfern leben, sondern in Hütten auf ihren abgelegenen Feldern hausen, sind bei Krankheit auf sich selbst gestellt. Statt ins Ambulatorium zu gehen, warten sie ab, ob das Fieber von selbst vergeht oder nehmen Panadol – mit oft katastrophalen Folgen.

Dabei ist Malaria gut zu behandeln, wenn richtig und rechtzeitig reagiert wird. Das Schweizerische Tropen- und Public Health Institut (Swiss TPH), das seit Jahrzehnten in Ifakara, rund 400 Kilometer südwestlich von Dar es Salaam, Malaria-Forschung betreibt, startete 2003 zusammen mit dem Ifakara Health Institute (IHI) eine systematische Aufklärungskampagne. Strassentheater und Radio-Spots verbreiteten auf unterhaltsame Weise die Botschaft, dass und wie Malaria zu kurieren ist.

Aus dem Sozialmarketing entwickelte sich bis Ende 2011 ein beispielhaftes Entwicklungsprojekt, das alle Aspekte der Gesundheitsversorgung umfasst und vier ländlichen Distrikten mit einer Bevölkerung von rund einer Million Menschen zugute kam. Die Förderung von Frauengruppen im Rahmen des Access-Programms zeigt, wie in der Entwicklungshilfe alles zusammenhängt: Damit die Prävention fruchten kann, müssen die nötigen finanziellen Mittel vorhanden sein. Wer krank ist, kann nicht arbeiten und hat deshalb kein Geld für medizinische Behandlung. Deshalb wurden die Sparvereine der Frauen mit einem Grundkapital ausgestattet, das den Mitgliedern erlaubt, Darlehen für ­kleine Unternehmen aufzunehmen.

Sicherheit bei Krankheit bieten von Access eingerichtete Gemeinde-Krankenkassen. Die öffentlichen Ambulatorien wurden renoviert und einer regelmässigen Qualitätskontrolle unterstellt. Damit einzelne Elemente von Access über das Projektende hinaus Bestand haben, gründeten die Projektverantwortlichen die Kilombero Valley Health and Livelihood Promotion (KV Help), welche die Beratung und Unterstützung der Frauengruppen weiterführt.Die von Klaus Leisinger präsidierte Novartis-Stiftung für Nachhaltige Entwicklung (NFSD) finanzierte das Projekt bislang mit rund 6,5 Millionen Franken.

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 09.11.12

Die dieser Reportage zugrunde liegende Reise nach Tansania erfolgte auf Einladung von Professor Klaus Leisinger von der Novartis Stiftung für Nachhaltige Entwicklung (NFSD).

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