Gastkommentar: Nur wenn sich die Zivilgesellschaft geeint gegen die Unterdrückung wendet, kann sich die Situation in Tibet ändern.
Wie verzweifelt muss ein Mönch oder eine Nonne im Dienst an Mitmensch, Tier und Umwelt sein, um sich aus Protest gegen Unterdrückung bei lebendigem Leib in Brand zu setzen? Ein Bild der letzten Tage, verbreitet übers Internet, lässt mich hier, im festlich geschmückten vorweihnächtlichen Basel, nicht zur Ruhe kommen.
Am 3. November übergiesst sich die 35-jährige tibetische Nonne Palden Choetso aus dem Kloster Ganden Choeling in der osttibetischen Stadt Tawu mit Kerosin – und zündet sich an. Sie fällt in sich zusammen, steht aber wieder auf, geht wie eine brennende Fackel ein paar Schritte weiter und ruft mit kaum hörbarer Stimme: «Lang lebe Seine Heiligkeit, der Dalai Lama, Tibet muss wieder frei und vereint sein.» Dann fällt sie zu Boden.
Chinesische Beamte versuchen, ihren leblosen Körper zu ergreifen, um sie aus dem Strassenbild verschwinden zu lassen. Eine Gruppe von Tibetern kann dies verhindern und trägt die Leiche ins Kloster Nyintso, um dort später unter Anteilnahme von über 1000 Gläubigen die Todesriten zu vollziehen und Palden Choetso das letzte Geleit zu geben.
Sie ist die Letzte von bis anhin elf tibetischen Mönchen und Nonnen, die sich seit März 2011 aus Protest gegen die chinesische Vorherrschaft in ihrer Heimat durch Selbstverbrennung das Leben nahmen. Palden Choetso tat es in der Hoffnung, dass ihr verzweifeltes Tun in der Weltöffentlichkeit wahrgenommen wird und sich die Situation in Tibet verbessert – speziell in den Klöstern. Doch davon ist vorläufig wenig bis gar nichts zu erkennen. Die westlichen Staaten, die Schweiz inbegriffen, hofieren der neuen Wirtschaftsmacht China, für die Anliegen der Tibeter hat es da wenig Platz.
Umso wichtiger ist die Anteilnahme der Zivilbevölkerung, die Bereitschaft, gegen die Ungerechtigkeit einzustehen. «Wenn nur eine einzelne Person protestiert, bewirkt das wenig, aber wenn es viele Menschen gleichzeitig tun, bewirkt es Wunder», sagte einst Peter Benenson, der Gründer von Amnesty International. Solange China den Druck der Welt nicht verspürt, wird sich die Lage in Tibet nicht verbessern.
Ich habe die Petition auf avaaz.org unterschrieben. Sie ist an die Regierungen demokratischer Staaten gerichtet und fordert diese auf, in China zu intervenieren, um nach Möglichkeit weitere Selbstverbrennungen zu verhindern. Mit mir haben dies bis heute weltweit über 659 000 Weltbürgerinnen und Weltbürger getan. Das Bild der brennenden Nonne wird mich weiter verfolgen. Mit der Unterschrift kann ich wenigstens meiner Ohnmacht ein Gesicht geben.
Die Tibetergemeinschaft in Basel sucht jeden Sonntag im Gebet Trost. Am Internationalen Menschenrechtstag, am 10. Dezember, werden wir in Basel auf der Strasse zu finden sein. Solidarisieren Sie sich mit uns im Gedenken an die verstorbenen Nonnen und Mönche in Tibet.
Tashi Tsering ist Sozialarbeiter und Übersetzer und lebt seit 1964 in Basel. Er ist Leiter des Quartierzentrums Kleinhüningen.
Internationaler Menschenrechtstag
Am 10. Dezember 2011 informiert der Infostand an der Schifflände in Basel über die Situation in Tibet (10–16 Uhr); Gedenkgebete auf dem Marktplatz (18.30–19.30); Diavortrag von Klemens Ludwig: «Tibet – erzwungener Wandel auf dem Dach der Welt» (20–21.30 Uhr)
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 09/12/11