Der erste Teil der Riehener Wahlen liegt nun hinter uns. Gewichtige Änderungen hat er nicht gebracht. Die Nachrichten zu den Resultaten beschränkten sich verständlicherweise auf das Aufzeigen der leichten Verschiebungen. Im Wahlkampf, den es kaum gab, hat man auf rechtsbürgerlicher Seite hören können, wie gut und notwendig es sei, dass Riehen parteipolitisch ein Gegengewicht zur rot-grün dominierten Stadt bilde. Eine solche Konstellation – man könnte auch von einem Gegensatz sprechen – ist nichts Ausserordentliches.
Wie sich linke und rechte Dominanten auch in der übrigen Schweiz auf Stadt und Land verteilen, ist, im Fall von Zürich, bereits früher an dieser Stelle diskutiert worden. Jener Beitrag stand unter dem Titel «Der bürgerliche Traum von der Eroberung der Städte». Das Gegenstück dazu ist der ebenfalls bürgerliche Traum vom eigenen Dorfnest.
Die zwischen Basel-Stadt und Riehen bestehenden Beziehungen sind ein grösseres Thema – und ein weites Feld. Da kann uns je nach Standort sehr Unterschiedliches in den Sinn kommen. In der Stadt zum Beispiel, dass wegen der knappen Mehrheitsverhältnisse von 50,4 Prozent Nein- zu 49,6 Prozent Ja-Stimmen Riehens Bürgerinnen und Bürger im September 2014 in einer Vorlage den Ausschlag geben konnten, die eigentlich einzig die Stadt betraf: die Stadtrandüberbauung «Basel Ost».
In Riehen dagegen könnten einem zurzeit die «ewig lange» dauernden Sanierungsarbeiten der Hauptverbindungsstrasse in den Sinn kommen, die Riehen in Mitleidenschaft ziehen, für die aber das Baudepartement zuständig ist.
Im Vordergrund steht, was das Dorf von der Stadt hat. Die umgekehrte Frage ist weniger wichtig.
Nennungen von Negativem fallen uns da leichter. Und das Positive, das Stadt und Dorf voneinander haben? Da ist das Verhältnis asymmetrisch, im Vordergrund steht, was das Dorf von der Stadt hat. Die umgekehrte Frage ist weniger wichtig. Die Verhältnisse sind jenseits des Grössenvergleichs auch darum ungleich, weil im Fall der Stadt gleich ein ganzer (Halb-)Kanton – ohne eigene Einwohnergemeinde – im Spiel ist und im Fall des Dorfs eine klassische Gemeinde.
In der Web-Kurzversion der Riehener Geschichte wird gesagt, dass 1908 zwischen Dorf und Stadt eine Strassenbahnverbindung in Betrieb genommen wurde. Verständlicherweise bleibt unerwähnt, dass damals viele Leute in Riehen nicht nur einen Drämmli-, sondern auch den politischen Anschluss wünschten. Die kurze Verbindung von nur noch 15 Minuten statt einer Stunde war damals eines von mehreren Argumenten für eine Fusion mit der Stadt. Heute sind die Fahrzeiten noch kürzer, aber kein Argument mehr für einen Anschluss.
Dreimal wollte Riehen aus finanziellen Gründen zur Stadt
Es gab mal eine Zeit, da waren viele Einwohner Riehens – allerdings weniger die Alteingesessenen als die Zugezogenen – der Meinung, dass den Interessen der Gemeinde am besten gedient sei, wenn sie ihre Selbstständigkeit aufgebe und mit der Stadt fusioniere. Im Fall von Kleinhüningen sollte das 1893 eintreten. Und auch von Riehen gingen, vor allem wegen der Finanznöte, mindestens drei Vorstösse für einen Anschluss an die Stadt aus (1885, 1898 und 1910).
Ein weiterer Versuch kam 1928 von der Stadt, das heisst von der kantonalen Kommunistischen Partei, die Riehen als «Naturschutzpark für die Dickbäuchigen und Bessergewandeten» denunzierte. Ihre Parolen zeigen, dass sich Riehens Bild inzwischen gewandelt und das Dorf schon damals nicht mehr den Charakter einer armen Bauerngemeinde hatte. «Die Bautätigkeit entwickle sich zum Nachteil der Besitzlosen: Die schönsten Aussichtspunkte würden von Privaten überbaut, wenn es so weitergehe, müssten sich die Spaziergänger in Riehen zwischen abgeschlossenen Gärten, auf staubigen, mit Autos befahrenen Strassen bewegen», ist in der Dorfgeschichte von 1972 nachzulesen.
In der kantonalen Abstimmung sprachen sich 52,8 Prozent gegen die Eingemeindung aus. Die immerhin 41 Ja-Prozente in Riehen zeugten, wie die Dorf-Geschichte von 1972 festhält, nicht gerade von einem überwältigenden Selbstständigkeitswillen.
Widerstand gegen eine Fusion kam vor allem von der Stadt.
An diese Zeiten darf man sich ruhig erinnern. Nicht um verpassten Chancen nachzutrauern, sondern sich bescheiden wieder stärker bewusst zu werden, dass sich Verhältnisse wandeln können. Wie es Wandel in der Vergangenheit gegeben hat, kann es und wird es Wandel auch in Zukunft geben – welcher Art auch immer. Bei den Versuchen, diesen Wandel mitzusteuern, könnten, abgesehen von engen Eigeninteressen, die es immer gibt, auch – selbst bei völlig konträren Zukunftsvorstellungen – hüben wie drüben stets beste Absichten für das Gemeinwesen im Spiel gewesen sein.
Widerstand gegen eine Fusion kam vor allem von der Stadt. Die Abneigung gegen eine Erweiterung um unterstützungsbedürftige Gemeinwesen kommt in einem Wort des berühmten Historikers Jacob Burckhardt anlässlich eines ähnlichen Ansinnens einer basellandschaftlichen Vorortsgemeinde anschaulich zum Ausdruck. Von der unzutreffenden Annahme ausgehend, dass Liestal die Armengemeinden am Stadtrand loswerden wolle, bemerkte er 1887: «Da, wo der Mantel unten herum in Fetzen geht, schneidet man ihn ringsum ab, damit der Rest wieder etwas vorstellt!» Albert Oeri, Chefredaktor der «Basler Nachrichten», wäre 1936 ebenfalls gegen die Übernahme des ganzen Bezirks Arlesheim gewesen und äusserte sich fast wörtlich in gleicher Weise wie sein Grossonkel Burckhardt.
Eingemeindung machte aus der Klein- eine Grossstadt
Abgesehen vom Riehener Wahlwochenende gibt es einen weiteren Anlass, ein wenig über das Verhältnis von Kernstadt und Vororten nachzudenken. In Zürich sind es gerade 125 Jahre her, seit es zur ersten grossen Eingemeindung gekommen ist. Das ist nicht einfach ein Termin wie viele andere einer Stadtgeschichte, es ist ein Jubiläum, das am 6. Juli in einem kleinen Staatsakt mit einem Tag der offenen Tür und einem Volksfest unter dem Titel «125 Jahre Grossstadt» begangen wird.
Zürich war im Moment der Fusion von 1893 noch viel kleiner als Basel mit seinen 50’000 Einwohnern.
Ja, die heutige helvetische Megastadt wurde erst damals zur Grossstadt. Sie war im Moment der Fusion von 1893 mit rund 28’000 Einwohnern noch viel kleiner als Basel mit seinen über 50’000 Einwohnern. Mit der ersten Eingemeindung erreichte Zürich 121’000 Einwohner, wovon allein 30’000 in der Arbeitergemeinde Aussersihl lebten, die mehr Menschen umfasste als der historische Stadtkern.
Heute gibt es Zürcher Stimmen, die eine dritte Eingemeindungsrunde für sinnvoll halten würden. Diese aber wird so schnell nicht zustande kommen. Es braucht dafür die Zustimmung in einer kantonalen Volksabstimmung, und der sogenannte Landteil des Kantons würde einer weiteren Verschiebung zugunsten des städtischen «Molochs» nicht nachgeben.
Die vielen Gründe, die in Zürich 1893 zu einer ersten und 1936 zu einer weiteren Eingemeindung führten, hätten auch für Basel bestimmend sein können. Die Stadt am Rheinknie war und ist aber, wie man bestens weiss, von Grenzen umgeben: von Nationalgrenzen, die eine Eingemeindung etwa des deutschen Weil oder Grenzach und des französischen Huningue oder Saint-Louis unmöglich machen, und von einer städtebaulich zwar wenig bis gar nicht, aber historisch-politisch sehr spürbaren Kantonsgrenze mit Baselland.
Gemeinsam im Alleingang
Hier darf man sich auch daran erinnern, dass es einmal in den 1880er-Jahren von basellandschaftlicher Seite einen sehr ernsthaften Vorschlag gab, die Vorortsgemeinden Birsfelden, Binningen und Neuallschwil in der Stadt aufgehen zu lassen. Nicht einbezogen in diese Aktion war Münchenstein, das mit seiner Industrie deutlich selbstständiger war. Der Wunsch nach «theilweiser Wiedervereinigung» entsprang aber nicht städtischem Expansionsdrang. Es waren, wie im Fall von Riehen, die basellandschaftlichen Vororte, die sich gleichsam in die Stadt eingliedern wollten.
Stadt und Vororte könnten wenigstens als verschiedene Körperschaften ein Ganzes sein.
Anstelle der politisch-territorialen Verschmelzung gibt es heute den Bilateralismus zwischen einzelnen Gemeinden und dem Kanton beziehungsweise seinen Behörden, speziell dem für Strassen, Verkehr, Kehricht, Wasser und Kanalisation zuständigen Baudepartement. Darüber hinaus ist aber (nicht nur im europäischen Rahmen) auch der Multilateralismus wünschbar oder gar nötig. Für die Stadt eher schwierig ist, dass die angrenzenden Landgemeinden in der sich abzeichnenden basellandschaftlichen Regionalordnung zu drei verschiedenen Zweckverbänden gehören werden (Leimental, Birstal und Rheintal).
Heute wollen sich – vor allem persönlich – alle mit allen vernetzen. Hier geht es aber um mehr: um gemeinsame und verbindliche Gestaltung gemeinsamer Herausforderungen. Die gemeinsame Beratung von gemeinsamen Problemen findet heutzutage im 2007 gegründeten Trinationalen Eurodistrict Basel (TEB) statt. Vorher gab es eine Vorortskonferenz bloss für die schweizerische Seite. Als Untereinheit des TEB tagen etwa zweimal jährlich – unter dem Präsidium des Binninger Gemeindepräsidenten Mike Keller – einzig die schweizerischen Mitglieder, um spezielle Fragen zu beraten.
Wenn Stadt und Vororte verschiedene Körperschaften bleiben wollen oder müssen, ist es sehr wünschenswert, dass man wenigstens als koordinierendes Gebilde ein Ganzes ist. Erinnert sei – immerhin gestützt auf ein 55-Jahr-Jubiläum –, dass eine private, zivilgesellschaftliche, weniger verbindliche, deswegen aber nicht weniger wichtige Variante der politischen Koordination und Kooperation von der 1963 gegründeten Regio Basiliensis betrieben wird.