Im Hinblick auf die Abstimmung über den Mindestlohn schalten die Gewerkschaften auf Angriff um – und geraten selbst unter Druck: Der als «Lohndrücker» und «Scheinpatriot» verunglimpfte Fuhrhalter Ulrich Giezendanner (SVP) wirft ihnen unsaubere Methoden vor. Dabei verstrickt er sich allerdings in Widersprüche.
Die Mindestlohn-Initiative ist im freien Fall. Vor einem Jahr unterstützten drei Viertel der Schweizerinnen und Schweizer das Anliegen, jetzt sind es noch 40 Prozent. Tendenz: weiter sinkend.
In dieser Situation machen die Gewerkschaften das, was Gewerkschaften in schwierigen Situationen eben so tun: kämpfen. Seit ein paar Tagen greifen sie einzelne Firmen direkt an, die ihre Mitarbeiter mit einem Lohn unter 4000 Franken abspeisen.
Ihren ersten «Tieflohn-Kaktus» verteilten der Schweizerische Gewerkschaftsbund und die Gewerkschaft Unia der Modekette «Tally Weijl». Medial war die möchtegern gross inszenierte Übergabe aber eher ein Reinfall. Ausser «20 Minuten» berichtete niemand darüber. Und das Unternehmen selbst tut auch so, als ginge es das Ganze gar nichts an. So liess es auch eine Anfrage der TagesWoche über ihre umstrittene Lohnpolitik unbeantwortet.
Kritiker stehen plötzlich selbst in der Kritik
Ungleich viel grösser ist die Aufregung nach dem zweiten Tieflohn-Kaktus, der am Dienstagmorgen dem Aargauer Fuhrhalter und SVP-Nationalrat Ulrich Giezendanner in die Hände gedrückt wurde. Die Kritik richtete sich aber nicht gegen den als «Lohndrücker» beschimpften Giezendanner, sondern gegen die Gewerkschaften.
Im «Blick» vom Mittwoch erhielt der Transportunternehmer auf den Seiten eins bis drei prominent Platz, um seinen Gegenangriff zu starten. Seine Hauptaussage: Kaum einer seiner Fahrer erhalte weniger als 4000 Franken pro Monat. Man dürfe sehr gerne in die Lohnbuchhaltung schauen, um sich zu vergewissern, dass dies so sei.
Damit war der Fall für den «Blick» klar: Der Angriff der Gewerkschaften sei ein «Schuss ins Knie» gewesen. Wer andere anprangern möchte, müsse zuerst mal richtig rechnen.
Giezendanner – ein «Scheinpatriot»?
Giezendanner selbst hat sich über seine Lohnpolitik allerdings auch schon ganz anders geäussert. Beim Start der Abstimmungskampagne sagte er als Mitglied des bürgerlichen Gegenkomitees, dass für seine Filiale in Stabbio (TI) viele Grenzgänger fahren würden, die «nicht auf diesem Mindestlohn seien», sondern einen «italienischen Lohn» bekämen. Gleichzeitig drohte er, im Falle eines Ja am 18. Mai die Tessiner Filiale zu schliessen und in Italien neu zu eröffnen, wie die Aufnahme des Tessiner Radios vom 27. März zeigt. Eine Aussage, die ihm von Seiten der Gewerkschaften nun auch noch den Vorwurf einträgt, ein «Schein-Patriot» zu sein.
Warum der Widerspruch? Bei seinen Aussagen sei unglücklicherweise der Eindruck entstanden, er rede von seinem eigenen Betrieb, sagt Giezendanner. Dabei habe er die Branche ganz allgemein gemeint.
Andere Medien hörten aber offenbar auch sehr genau, dass der Unternehmer von sich und seinen Chauffeuren sprach.
Das ändert aber nichts mehr an den Negativ-Schlagzeilen, aus denen die Initianten nicht mehr herauskommen. Dabei hätte die Vorlage einiges für sich. Mehr dazu – ab Donnerstag in unserer Wochenausgabe.