Mit lautem Trycheln vertrieb man im nördlichen Alpenraum einst böse Geister. Heute versuchen Rechtsnationale im Stil des alten Brauchs, Wähler zu mobilisieren. Sie wirbeln dabei Tradition und Modernes wild durcheinander.
Achtet man auf den Wahlkampf der Rechtsnationalen – ihn nicht zu beachten ist bei deren gigantischem Aufwand nicht möglich –, dann hat man den Eindruck, es ginge um die Verteidigung der Heimat; Heimat gefordert als autochthones Heimatrecht. Die Zuwanderung soll begrenzt werden, es soll ausgeschafft, beseitigt und verhindert werden, und es soll natürlich keine fremden Richter geben, selbst wenn sie Mitglieder eines gemeinsamen Gerichts sind.
Darum ist es gut, wenn wir uns wieder einmal überlegen, was Heimat ist. Dabei müssen wir vor allem bei uns selbst nachsehen. Wir können aber auch zur Kenntnis nehmen, was andere dazu gedacht und geschrieben haben. Zum Beispiel Max Frisch 1971 und 1974.
Bei dieser Lektüre kann einem bewusst werden, dass nicht alle das Gleiche darunter verstehen. Und dass dies gerade Heimat ausmacht. Ein ganz persönliches Gefühl von Verbundenheit, Zugehörigkeit, vielleicht auch Geborgenheit.
Instrumentalisiertes Brauchtum
Etwas völlig anderes ist aber die Kultivierung und Bewirtschaftung von Heimatpartikeln, die dann für das Ganze stehen sollen und zudem mit einer bestimmten politischen Haltung aufgeladen werden: ein Zottel-Geissbock, ein Willy-Sennenhund (von schlecht Informierten auch als Bernhardiner wahrgenommen), Jodeln, Trachten und Trycheln.
Die politische Nutzung von Treicheln, Trecheln oder eben Trycheln könnte im Vorfeld der EWR-Abstimmung vom 6. Dezember 1992 ihre Premiere erlebt haben. Jedenfalls gibt es das bekannte Bild mit dem noch wesentlich jüngeren Christoph Blocher, zwar im weissen Stadthemd mit Krawatte, aber – wie seine in «Chutten» gekleidete Anhängerschaft – unter dem Joch von zwei Trycheln und einen Stumpen im Mund. Offensichtlich vor Fotografen posierend.
Traditionellerweise wurden die jetzt zur Politfolklore verkommenen Trycheln im nördlichen Alpenraum während der dunklen Winternächte zur Vertreibung böser Geister eingesetzt. Diese blechernen (nicht gegossenen) Grossglocken ergeben – wie auch per Internet-Soundtrack feststellbar – unschöne, aber eindringliche Töne. Das in einem Land, in dem an den Agglomerationsrändern Prozesse wegen Störung der Nachtruhe durch gewöhnliches Kuhglockengeläut geführt werden.
Besonders eindrücklich und berauschend, sogar leicht Angst einflössend sind die in schwarzem «Chüermutz» oder weissem Hirtenhemd uniformiert aufmarschierenden und beinahe totalitär wirkenden Trychler-Kolonnen. Daneben gibt es auch lustig gemeinte Einzelauftritte: Von den Medien in gewünschter Weise beachtet zum Beispiel ein Um-die-Wette-Trycheln von Blocher und Maurer im Albisgüetli 2004.
Das ist nicht mehr ursprüngliches Brauchtum, sondern Instrumentalisierung von Brauchtum. Sie dient einem artifiziellen, im Dienste der politischen Abschottung stehenden Heimatkult. Dieser könnte als Reaktion auf die globalisierte Welt verstanden werden. Er ist dies auch bis zu einem gewissen Grad, fügt sich aber auch problemlos in die Globalisierung ein, ist ohne Weiteres kompatibel.
Es gibt die Trycheln in unterschiedlichen Grössen und entsprechend unterschiedlichen Preislagen, von etwa 700 bis 1’700 Franken. Die meisten werden vorne gehalten zum «Schäppern» gebracht, einige auch auf dem Rücken oder tiefer und werden darum «Füdlitrycheln» genannt. Einige sind fast so gross wie ein SVP-Inserat. Für Trycheln gibt es noch keine ausländischen Produktionsstätten und noch keinen globalen Markt.
Nichtpassendes hemmungslos kombiniert
Das gegenwärtige SVP-Maskottchen, der Plüsch-Sennenhund Willy, wurde indessen von einer deutschen Firma (Teddy Hermann) nicht in Sumiswald oder Schangnau, sondern in Shanghai oder an einem anderen chinesischen Produktionsort hergestellt.
Die sonderbar erscheinende und doch nicht untypische Kombination von Tradition und Moderne macht sich auch der Handorgelmann Willy Vogel, einst bei der Formation ChueLee, zu Nutzen. Für die SVP hat er für den Wahlkampf den «Freiheits-Song (Wo e Willy isch, isch ou e Wäg)» komponiert.
Diese Art von Kreativität kombiniert nicht nur Tradition und Moderne, sondern gemäss Presseberichten offenbar – und wenig erstaunlich – sehr Anständiges mit weniger Anständigem, Trachten- und Pornowelt, kulturelle Eigenständigkeit und Melodienraub fremder Kompositionen. Das reichte offenbar nicht, DJ Tommy (SVP-Nationalrat Thomas Matter) lieferte einen weiteren, von einer St.-Tropez-Vorlage abgekupferten Wahlkampf-Song nach, in der fünften Landessprache mit «Welcome to SVP» betitelt.
Kreativität? Die SVP greift nach allem, was dienlich erscheint, okkupiert und korrumpiert es.
Mir kommt da ein SVP-Parteifest in Holziken (AG) vom August 2003 in den Sinn, an dem ich auf einem Podium zu Asyl- und Migrationsfragen teilgenommen habe. Die SVP-Fraktion präsentierte damals in Uraufführung eine Parteihymne, und zwar nach der Melodie des «Yellow submarine» – eine heimliche Hanfgras-Hymne, was die Leute nicht wussten, und zugleich ein 68er-Ohrwurm, was man leicht hätte wissen können. Aber niemand interessierte sich für diesen Aspekt und demzufolge störte sich auch niemand daran. Das macht die Kraft dieser Partei aus: die hemmungslose Kombination von Nichtpassendem, in diesem Fall des progressiven Songs aus England mit der schweizerischen Retromentalität. Die Urheberrechte und Tantiemen für den Beatles-Song spielten offenbar keine Rolle.
Eine zusätzliche Pointe dieses Anlasses bestand darin: Dirigiert wurde der Chor der meist bestandenen Mannen in ihren bereits etwas verschwitzten weissen Hemden zunächst vom Fraktionspräsidenten. Er war auf dem Podium jedoch der Konkurrenz des wirklichen Alphatiers ausgesetzt: Christoph Blocher, gleicher Jahrgang wie John Lennon, eigentlich ein gewöhnliches Gruppenmitglied (und noch nicht Bundesrat), ebenfalls im bereits etwas verschwitzten weissen Hemd, betätigte sich gleichzeitig ebenfalls als Dirigent. Dies aber stets mindestens so sehr gegen das Publikum wie gegen seine Sänger gerichtet, sodass vor dem Chor eine Weile zwei Dirigenten den gleichen Takt angaben, bis der Fraktionspräsident ganz in den Hintergrund geriet und nur noch einer ganz vorne stand.
Kreativität? Die SVP greift nach allem, was dienlich erscheint, okkupiert und korrumpiert es. Selbst die harmlosen Kantonswappen, landläufige Heimatsymbole, werden in ihren Händen zu Schildern kleinnationalistischer Militanz.
Hauptsache beachtet
Ein Teil der SVP-Propaganda wird offenbar auch in den eigenen Reihen nicht überall goutiert. Nationalrat Alfred Heer, Präsident der Zürcher SVP, bezeichnete den Plüschhund Willy und den dazugehörenden Song als «eher gaga» und als Trivialisierung; Politik jedoch sei eine ernsthafte Sache. «Solche Lieder und Maskottchen lenken von den wahren Problemen der Schweiz ab.» Diese Probleme ortete Heer vor allem in den Gebieten von Wirtschaft und Finanzplatz, doch die SVP Schweiz schiesse sich zu sehr auf die Themen Flüchtlinge und EU ein.
Der gleiche Mann wagte es einmal, vor laufender Fernsehkamera über den «Heiland» Blocher zu spotten. Als ich mich darüber wunderte, erhielt ich die Erklärung, dass Heer eben nicht zu Blochers innerstem Zirkel (also nicht zu den Jüngern) gehöre.
Die SVP ist auf pseudohelvetische Weise die amerikanischste Partei der Schweiz.
Auch für die SVP gilt, ja für sie gilt es in besonderem Mass, dass es besser sei, einen schlechten Ruf zu haben, dafür aber wahrgenommen zu werden, als nicht beachtet zu werden. Nach dieser Regel hat SVP-Nationalratskandidat Köppel in seiner «Weltwoche» über künftige Fraktionskollegen schlecht schreiben lassen, was mit einiger Verwunderung zur Kenntnis genommen wurde.
Geht es nur um Publizität, hat auch dieser Politgag funktioniert – die anderen Medien berichteten. Offen bleibt, ob blosse Aufmerksamkeit bereits zu politischem Support führt.
Die SVP ist auf pseudohelvetische Weise die amerikanischste Partei der Schweiz. Anderen Parteien, die sich teilweise bereits inhaltlich von rechtsnationalen Reflexen programmieren lassen, scheint bei dieser propagandistischen Tüchtigkeit nicht viel anderes übrig zu bleiben, als sich dem SVP-Stil auch formal anzupassen. Die geschätzten Wählerinnen und Wähler haben nun in diesen Tagen und Stunden Gelegenheit zu zeigen, wie gut das ankommt und der Politkultur der schweizerischen Heimat entspricht.