Grabenkampf der Ideologen

Der Basler Militärdirektor Baschi Dürr (FDP) hat mit seinem Votum für die Abschaffung der Wehrpflicht für Ärger gesorgt – und aufgezeigt, wie falsch die Debatte vor der Abstimmung läuft.

Baschi Dürr – ein Unsicherheitsdirektor? Oder endlich einer, der die Probleme im Bereich der Armee offen anspricht? (Bild: Hans-Jörg Walter)

Der Basler Militärdirektor Baschi Dürr (FDP) hat mit seinem Votum für die Abschaffung der Wehrpflicht für Ärger gesorgt – und aufgezeigt, wie falsch die Debatte vor der Abstimmung läuft.

Die Schweizer Armee steht vor der entscheidenden Schlacht. Vor einem Kampf um Sein oder Nichtsein, nicht nur für die Armee, sondern für das ganze Land.

Diesen Eindruck vermittelt das Komitee gegen die Initiative der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) für die Abschaffung der Wehrpflicht. Der Zusammenschluss von bürgerlichen Parteien, Offiziersvereinigungen und vaterländischen Organisationen spricht von einer «Unsicherheitsinitiative», deren eigentliches Ziel es sei, die Armee aufzulösen. Die Sicherheit des Landes wäre bei einer Annahme nicht mehr gewährleistet, das Erfolgsmodell Schweiz am Ende.

Die Taktik der Armeebewahrer scheint aufzugehen. Die von ihnen so genannte «Unsicherheitsinitiative» wird von den Bürgerlichen geschlossen bekämpft und auch von der SP und den Grünen nur halbherzig unterstützt. Darum ist die Schlacht wohl schon entschieden, bevor sie überhaupt geschlagen ist. Abgestimmt wird erst am 22. September.

Baschi, der Störenfried

Gefährlich werden könnten den Gegnern höchstens noch Querschläger im eigenen Lager, die den Burgfrieden stören. Die gibt es zwar, versammelt im Komitee «Bürgerliche gegen Wehrpflicht». Wie ein Who’s Who der Schweizer Politik und Gesellschaft liest sich die Liste der Mitstreiter allerdings nicht gerade. Als eines der prominentesten Mitglieder hat der «Blick» Brenda Mäder ausgemacht, die frühere Präsidentin der Jungfreisinnigen. Doch auch um sie ist es in den vergangenen Monaten recht ruhig geworden.

Umso aufmerksamer wurden die Aussagen des Basler Sicherheitsdirektors Baschi Dürr (FDP) zur Kenntnis genommen. «Ja, ich unterstütze dieses Anliegen, weil ich es für richtig halte, dass eine Alternative zur Wehrpflicht gesucht wird», bestätigte er vor Kurzem auf Anfrage der TagesWoche, nachdem er sich in der Vergangenheit schon mehrfach kritisch über die Schweizer Armee geäussert hatte.

Erstens, weil er als Liberaler grundsätzlich gegen staatlichen Zwang ist. Und zweitens, weil das ­jetzige System seiner Ansicht nach ineffizient und viel zu teuer ist. Darum weigerte er sich nach der RS und einem ersten WK weiterzumachen und ­– wie von seinen Vorgesetzten ­verlangt – die Unteroffiziersschule zu absolvieren. Dürr wurde von einem Militärgericht zu 75 Tagen bedingt verurteilt – und wechselte in den Zivildienst. Nun ist er Sicherheitsdirektor und damit im Kanton der oberste politische Verantwortliche für die Armee. Eine aussergewöhnliche Karriere für einen Militärdienstverweigerer.

Eine gefährliche Aussage

Aber so ist Dürr – besonders; eigensinnig und nur schwer kontrollierbar. Das macht ihn unheimlich, auch für die Bürgerlichen und ganz speziell für das Komitee gegen die «Unsicherheitsinitiative». «Wenn noch mehr Leute in einer solchen Position so reden, könnte die Stimmung vor der Abstimmung durchaus noch kippen», sagt ein führendes Komiteemitglied der TagesWoche.

Allzu gross scheint diese Gefahr allerdings nicht zu sein. Selbst Dürr, der sich in der Rolle des Querdenkers normalerweise ganz wohl fühlt, hält sich bei diesem Thema zurück. Seine Meinung sagt er zwar offen, weiter engagieren will er sich aber nicht. Weil die Initiative nicht Sache der Kantone sei, wie er sagt. Und wohl auch, weil ihm weder die linke GSoA noch das weitgehend unbekannte Komitee der Bürgerlichen gegen die Wehrpflicht ganz geheuer sind. So ist dort nur sein Vater mit dabei, der ultraliberale Wirtschaftsanwalt und begnadete Provokateur David Dürr.

«Extremistische Aussagen»

Für Unmut hat Dürr junior bei den Parteifreunden allerdings auch so schon gesorgt. «Der eine oder andere hat sich schon recht geärgert», sagt Carl-Gustav Mez, Präsident der Basler Offiziersgesellschaft, ebenfalls ein Freisinniger. Mez selbst reagierte dagegen gelassen. «Man kennt ihn ja, den Baschi Dürr: Er ist etwas extremistisch, wenn es um den Liberalismus geht. Er will die totale Freiheit.» Ein Fehler, ist Mez überzeugt: «Wir können vom Staat nicht immer nur nehmen, sondern müssen auch etwas zurückgeben, indem wir zum Beispiel Steuern zahlen oder eben Militärdienst leisten.»

Sehr ähnlich äussert sich Lorenz Amiet vom Komitee beider Basel gegen die «Unsicherheitsinitiative»: «Die GSoA versucht, die Armee an ihrem Lebensnerv zu treffen – der Wehrpflicht.» Ohne sie wäre die Armee viel zu klein, um mit Gross­ereignissen fertigzuwerden. Einem Erdbeben zum Beispiel, das es jederzeit geben könne. Oder mit kriegerischen Angriffen, die je nach Entwicklung in Europa und auf der gesamten Welt mittel- bis langfristig wieder drohen können. «Dafür brauchen wir unsere Armee», sagt Amiet. Auch wenn dort selbstverständlich nicht immer alles perfekt laufe. «Gewisse Probleme gibt es überall, im Militär, in der Privatwirtschaft, beim Staat – und selbst in Baschi Dürrs Sicherheitsdepartement.»

Die Wut des Professors

Dürr, der Ahnungslose – ein Unsicherheitsdirektor? Keineswegs. Zumindest, wenn es nach Reiner Eichenberger, Wirtschaftsprofessor von der Universität Freiburg geht. «Endlich mal ein bürgerlicher Entscheidungsträger, der sich ernsthaft mit der ­Sache auseinandersetzt und das Problem erkennt und bereit ist, neue Lösungen zu suchen», sagt Eichenberger, der sich selbst ebenfalls als «Liberaler» bezeichnet.

Damit sei Dürr die grosse Ausnahme, so offensichtlich die Probleme auch seien. «Die Schweizer Armee ist viel zu gross und viel zu teuer – acht bis neun Milliarden Franken pro Jahr», sagt er. Im jetzigen System sei die Armee leider «völlig reformunfähig», weil Jahr für Jahr Tausende Rekruten nachrückten und den Apparat aufs Neue «aufblähen». Darum gebe es nur einen Ausweg: eine freiwillige Miliz. Diese wäre kleiner, billiger, effizienter und auch militärisch besser als die heutige Armee. «Freiwillige Lösungen sind immer effizienter als erzwungene – das ist eigentlich das ­liberale Credo», sagt Eichenberger. Umso mehr ärgert er sich über die Haltung der meisten Bürgerlichen. «Sie sind nur schon aus Prinzip dagegen, weil die GSoA dafür ist, und verhindern so auf Jahre eine gute Lösung», ärgert sich Eichenberger. «Absolut unverständlich» sei das, «Ideologie statt Inhalt».

Interessante Zahlen

Klare Worte. Doch stimmen sie auch? Ist unsere Armee tatsächlich viel zu gross? Braucht es darum einen Systemwechsel?

Zentrale Fragen. Sie zu beantworten, ist aber schwierig bis unmöglich, weil niemand weiss, was auf die Schweiz und ihre Armee noch alles zukommen wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten.
Eichenbergers Einwände würden eine ernsthafte Debatte jedenfalls verdienen. Immerhin scheint auch der Beleg für seine These politisch recht unverdächtig zu sein: Es ist der Armeebericht 2010 des Bundesrates. Demnach braucht die Schweiz rund 20 000 Mann zur Verteidigung.

Der derzeitige Bestand ist fast zehn Mal so hoch. (Mehr zum Thema in unserer Wochendebatte. Dort können Sie auch sehr gerne mitdiskutieren!)

Eine Dienstpflicht auch für Frauen? Neben Baschi Dürr gibt es in der Region noch einen anderen prominenten Querschläger: seinen Baselbieter Amtskollegen Isaac Reber. Im Gegensatz zu seiner Partei, den Grünen, ist Reber gegen die Initiative für die Abschaffung der Wehrpflicht. Anders als Dürr will er im Abstimmungskampf auch eine aktive Rolle spielen – als Mitglied des bürgerlichen Gegenkomitees. Ein Engagement, das ihm von linker Seite Kritik eingetragen hat. Reber lässt sich davon aber nicht aus dem Konzept bringen. Dabei denkt er schon weiter als nur an die Wehrpflicht – an eine allgemeine Dienstpflicht auch für Frauen. Dieser «Gesellschaftsdienst» müsste seiner Ansicht nach nicht nur in Armee und Zivilschutz geleistet werden können, sondern auch in wichtigen Institutionen wie der Feuerwehr oder im Pflegebereich, wo das Personal knapp ist. Die interessante Diskussion unter unseren Lesern über die Äusserungen von Reber und Dürr zeigt, dass das heikle Thema alternativer Dienstmodelle ein drängendes wäre, auch wenn ihm der Bundesrat bis jetzt ausgewichen ist.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 16.08.13

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