Der Anschlag auf die Redaktion der Pariser Satirezeitschrift «Charlie Hebdo», dem mehrere Journalisten zum Opfer gefallen sind, markiert den vorläufigen Höhepunkt einer ganzen Serie von religiös motivierten Attentaten, die Frankreich unter Hochspannung setzten.
Immer gezielter, immer gefährlicher und immer «barbarischer», um mit Frankreichs Präsident François Hollande zu sprechen: Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund häufen sich in Frankreich seit längerer Zeit. 2012 erschoss der sogenannte «Banlieue-Terrorist» Mohammed Merah sieben Menschen, darunter jüdische Schulkinder, in der Pyrenäenstadt Toulouse. Mit dem Tod des Attentäters nach einer Grossfahndung baute sich die Spannung aber nicht ab.
Die internationale Entwicklung förderte neue Konflikte und Reibungsflächen zwischen den französischen Salafisten und der einstigen Kolonialmacht. Im Mali griffen die Franzosen 2013 militärisch ein, um die Ableger des westafrikanischen Al-Kaida-Terrornetzwerkes Aqmi zu vertreiben. Dann engagierte sich Paris in Syrien und im Irak an vorderster Front. Und auch der Gaza-Krieg sorgte in Banlieue-Vierteln von Paris, Lyon oder Marseille für Proteste und Solidaritätskundgebungen. Zusätzlich verschärfte Frankreichs Wirtschaftskrise und steigende Arbeitslosigkeit die Lage in den verelendeten Vorstädten.
15-Jährige schliessen sich Terrormilizen an
An die tausend französische Banlieue-Jugendliche sollen bis Ende 2014 in den Krieg im Mittleren Osten gereist sein, um sich den Terrormilizen von IS oder Al-Nusra anzuschliesen. Sogar 15-jährige Mädchen lassen sich von Anwerbern via Internet rekrutieren. Im vergangenen November tauchte ein Enthauptungsvideo aus Syrien oder Irak auf, in dem ein 22-jähriger Konvertit aus der Normandie zu sehen war – nicht als Opfer, sondern als Täter.
«Al faransi» nennt sich der Franzose. Und im Dezember wurde bekannt, dass sich aus Nizza eine muslimische Grossmutter mit zehn Familienmitgliedern, darunter etlichen Minderjährige, nach Syrien in den Dschihad aufgemacht hatte.
Frankreich hat seine Anti-Terror-Gesetzgebung schon mehrmals verstärkt. Jugendliche erhalten teilweise ein Ausreiseverbot in die Türkei, auch Eltern werden überwacht oder – wenn sie dies wollen – speziell beraten. Das Dispositiv «Vigipirate» wurde immer wieder verstärkt, heute Mittwoch gar auf die höchste Alarmstufe.
Das alles hilft wenig. Nach Mohammed Merah verübte im Sommer 2014 ein weiterer Algerien-Franzose namens Mehdi Nemmouche einen Anschlag auf das jüdische Museum von Brüssel. Bilanz: vier Tote. Anfang Dezember griffen drei Jugendliche ein jüdisches Paar in der Pariser Vorstadt Créteil an und vergewaltigten die Frau, um Geld zu erpressen. Und kurz vor Weihnachten attackierte ein 20-jähriger Banlieue-Bewohner mit gezücktem Messer eine Polizeistation in Joué-lès-Tours, wobei er drei Beamte zum Teil schwer verletzte. Auch er hatte wie die «Charlie Hebdo»-Attentäter «Allahu Akbar» (Gott ist gross) geschrien, bevor er von einem vierten Polizisten erschossen wurde.
Der politische Ton wird rauer
Frankreichs Juden fühlen sich von den Gewalttaten und Intifada-Nachahmern in der Banlieue besonders bedroht. Gegen 5000 dürften 2014 Frankreich in Richtung Israel verlassen haben, schätzen die Behörden, so viele wie noch nie zuvor. Manche Franzosen leben seit Monaten mit einem mulmigen Gefühl angesichts der vielen Militärpatrouillen in Bahnhöfen oder auf Flughäfen.
Die politische Debatte in Paris ist ebenfalls höchst angespannt – und das nicht erst seit dem neuen Roman «Unterwerfung» von Starautor Michel Houellebecq, der von einem muslimischen französischen Präsidenten und der Islamisierung des Landes handelt. Der politische Ton wird rauer in der Grande Nation. Der bekannte französische Journalist Eric Zemmour sorgte kürzlich mit seinem Bestseller «Der französische Selbstmord» für Furore. In seinem Buch macht er sich die rechtsextreme These zu eigen, wonach Frankreich vor einem grossen Wechsel von einer christlich-jüdischen zu einer Gesellschaft aus Immigranten stehe.
Laizistische Muslime wiederum versammelten sich im vergangenen Herbst vor der Pariser Moschee, um mit anderen Franzosen gegen die Enthauptung des französischen Bergführers Hervé Gourdel in Algerien zu protestieren. Am Dienstagabend trat stellvertretend für viele der muslimische Starjournalist Ali Baddou vor die TV-Kameras, um in einem emotionalen Auftritt zu erklären, er sei wie die Mehrheit der französischen Muslime laizistisch eingestellt und verabscheue Anschläge, die im Namen des Islam geschähen – womit er klar machte, dass neben Juden und Christen auch Muslime zu den Opfern der gewalttätigen Radikalisierung gehören.