Griechen kämpfen mit der Angst

Die Griechen reagieren mit erstaunlicher Geduld auf die dramatischen Entwicklungen der vergangenen Tage. Ob Gegner oder Befürworter der Regierung Tsipras: Alle hoffen auf eine Lösung in letzter Minute.

Wie viele Griechen hofft auch Anthi Bissa aus Athen, dass die ganze Sache bald einmal vorbei ist.

(Bild: Chrissi Wilkens , n-ost)

Die Griechen reagieren mit erstaunlicher Geduld auf die dramatischen Entwicklungen der vergangenen Tage. Ob Gegner oder Befürworter der Regierung Tsipras: Alle hoffen auf eine Lösung in letzter Minute.

Mittags auf einem kleinen Platz im Athener Zentrum. Am Bankautomaten steht eine Gruppe Menschen. Nur 60 Euro dürfen die Griechen pro Tag abheben, nachdem die Regierung am Montag Kapitalverkehrskontrollen eingeführt und die Geldinstitute geschlossen hat. Dieser Schritt schien notwendig, nachdem verunsicherte Kunden allein am Wochenende rund zwei Milliarden Euro abgehoben hatten.

Rentner Giorgos und seine Frau wollen einen Teil ihrer Rente abheben, die am heutigen Dienstag überwiesen werden sollte. Sie erhalten ebenfalls nur 60 Euro. Dennoch bleibt das Ehepaar gelassen. Die beiden haben weiterhin Vertrauen in die griechische Regierung, aber kein Vertrauen mehr in Europa. «Mich erschreckt, was aus Europa geworden ist. Es ist ein Europa der Banken, nicht eines der Völker, wie wir es uns nach dem Zweiten Weltkrieg gewünscht haben», sagt der Rentner.

«Als wir Alexis Tsipras unsere Stimme gegeben haben, hatten wir im Hinterkopf, dass so etwas passieren könnte.»

Auch Giorgos Palaiologou wartet geduldig in der kleinen Schlange vor dem Bankautomaten. Der 28-jährige Elektronikingenieur spürt den Ernst der Lage, Panik aber ist ihm fremd. «Als wir Alexis Tsipras unsere Stimme gegeben haben, hatten wir im Hinterkopf, dass so etwas passieren könnte», sagt er.

Beim Referendum am Sonntag will Giorgos mit einem «Nein» stimmen. Er ist gegen das Sparkonzept der Gläubiger, das Voraussetzung für weitere Hilfszahlungen an Griechenland ist. Der junge Mann hält sich damit an die Empfehlung von Regierungschef Alexis Tsipras – und nimmt in Kauf, dass eine Ablehnung der Vorschläge eine unkontrollierte Entwicklung für sein Land bedeuten könnte. «Ich habe Vertrauen in die Syriza-Regierung. Ich muss es. Den vorherigen Regierungsparteien vertraue ich nicht mehr», sagt Giorgos.

In einer Metzgerei nebenan scherzt Ladeninhaber Panagiotis Papoulias mit den Kunden. Der 66-Jährige versucht, mit Humor den Druck und den Stress in den Griff zu bekommen. Er findet das geplante Referendum am Sonntag überflüssig, weil es die griechische Wirtschaft nur noch mehr belasten wird. Papoulias meint, dass beide Seiten sich anstrengen müssen, um eine tragfähige Lösung zu finden. «Das Beste wäre, eine Lösung zu finden, die sowohl die Griechen als auch die griechische Wirtschaft aushalten können.»

«Es ärgert mich schon, wenn ich die Leute sehe, wie sie jeden Tag vor den Bankautomaten stehen. Alles geht doch hier ganz normal weiter. Noch sind wir nicht pleite.» 

Alle Seiten müssten zu Kompromissen bereit sein – als Erstes die eigenen Politiker, aber auch die Europäer und die Amerikaner. Medienberichten zufolge sollte am Dienstag oder Mittwoch ein Treffen zwischen Griechenlands Premierminister Alexis Tsipras mit führenden Vertretern der EU und der Troika stattfinden, um eine Einigung in letzter Minute herbeizuführen.

Am Geldautomaten vor Panagiotis‘ Geschäft warten immer noch Menschen. Anthi Bisa führt ihren Hund spazieren, sie schaut auf die Leute und geht weiter. «Es ärgert mich schon, wenn ich die Leute sehe, wie sie jeden Tag vor den Bankautomaten stehen. Alles geht doch hier ganz normal weiter. Noch sind wir nicht pleite. Und ich glaube, dass die Rentner mit 60 Euro täglich ganz gut durchkommen», so Anthi.

Sie selbst stellt sich nicht am Automaten an. Sie schaut auch längst keine Nachrichten mehr. Eigentlich hofft sie nur, dass alles bald vorbei ist. «Ich will nicht an diesem Spiel der Terrorisierung teilnehmen», sagt sie.

Anthi Bissa hat weiter Vertrauen in die Regierung Tsipras, weil diese darauf pocht, dass die Griechen selbst entscheiden sollen und nicht die Gläubiger. Und überhaupt: Gerade Deutschland solle sich daran erinnern, dass es nach dem Krieg nur geschafft habe, auf eigenen Beinen zu stehen, weil ihm ein Grossteil seiner Schulden erlassen wurden. «Man darf hier keine Doppelmoral haben», fügt Anthi hinzu und erinnert daran, dass Deutschland den Griechen schon seit dem Zweiten Weltkrieg viel Geld schulde, weil es bestimmte Reparationen immer noch nicht gezahlt habe.

«Diese Regierung ist skrupellos. Sie sind an die Macht gekommen mit dem einzigen Ziel, uns aus dem vereinten Europa herauszubringen!»

Christina Katsouli läuft mit Kopfhörern über die Strasse. Die 30-Jährige hat keine Angst vor geschlossenen Banken. «Ich war immer gegen die Banken und hatte auch wenig mit ihnen zu tun. Ausserdem habe ich die Armut bereits erlebt.» Die junge Frau war zwei Jahre arbeitslos, da habe sie schon alles durchgemacht. Wie sie am Sonntag abstimmen wird, weiss sie noch nicht. Eigentlich ist sie ja gegen neue Sparmassnahmen. «Die helfen Griechenland nicht, auf Wachstumskurs zu kommen.» Christina findet aber, dass jetzt der falsche Zeitpunkt für ein Referendum ist. «Es hätte schon viel früher stattfinden sollen. Jetzt ist es verlorene Diplomatie.»

In einem Park, ein paar hundert Meter weiter, sitzt ein älteres Ehepaar. Sie wollen später an diesem Tag an der Demonstration vor dem Parlament auf dem Syntagma-Platz teilnehmen. Dort wollen sich diejenigen versammeln, die «Ja» zu den Sparvorschlägen der Gläubiger sagen, damit es zu einem Abkommen mit Brüssel kommt. Die 70-jährige Evi hat Angst vor dem Ausgang des Referendums. «Diese Regierung ist skrupellos. Sie sind an die Macht gekommen mit dem einzigen Ziel, uns aus dem vereinten Europa herauszubringen!»

Ihr 85-jähriger Mann Platon ist gelassener. Die EU-Partner würden Griechenland nie aus der Eurozone fliegen lassen, beruhigt er sie. «Als wir der EU beigetreten sind, gab es ein Europa der Gleichheit», sagt Evi melancholisch. «Jetzt gibt es den Norden und den Süden. Das ist schlimm. Aber so ist es halt. Wir haben keine andere Wahl.»

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