Ende 2016 läuft der Staatsvertrag der BBC ab, die Kritiker nutzen die Gelegenheit, die öffentlich-rechtliche Sendeanstalt anzugreifen. Die Diskussion um den Service Public erinnert dabei an die Schweiz.
Kritiker der BBC verwenden gern das Wort bloated: aufgebläht. Die öffentlich-rechtliche Sendeanstalt, so sagen sie, sei zu gross, sie ersticke andere Medienorganisationen und zahle ihren TV-Stars zu viel. Der Schatzkanzler George Osborne bezichtigte die BBC-Website kürzlich «imperialistischer Ambitionen», während der neue Kulturminister, John Whittingdale, die Gesellschaft als die verschwenderischste Organisation der Welt bezeichnete.
Solche Vorwürfe hört man schon seit Jahren, aber in den letzten Monaten haben die Angriffe auf die BBC an Intensität gewonnen, die Grundsatzdiskussion über den Sinn und Zweck des Service Public im Rundfunkwesen ist in vollem Gang. Anlass ist unter anderem das Auslaufen der «Royal Charter»: Die BBC operiert auf der rechtlichen Grundlage eines Staatsvertrags, der alle zehn Jahre neu ausgehandelt wird. Der derzeitige Vertrag tritt Ende 2016 ausser Kraft.
Am Donnerstag kündigte der Kulturminister eine umfassende Überprüfung an, der die BBC in den kommenden Monaten unterzogen werden soll; er sagte, die BBC sei im vergangenen Jahrzehnt «exponentiell gewachsen» und fragte sich, ob ihr Angebot nicht zu erschöpfend sei. Der von Whittingdale eingesetzte Ausschuss wird sich mit allen Aspekten der BBC beschäftigen – von der Grösse der Organisation über die Finanzierung zu den Inhalten und der Regulierung.
John Whittingdale (mitte), Kultur-, Sport- und Medienminister geniesst Tennis in Wimbledon und bald auch die Überprüfung des öffentlich-rechtlichen Senders BBC. (Bild: STEFAN WERMUTH)
Die 1922 gegründete BBC ist weltweit eine der ältesten und grössten öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten und beschäftigt rund 18’000 Angestellte. Wie der staatliche Gesundheitsdienst NHS ist die «Beeb» eine beliebte nationale Institution, und viele ihrer Programme sind auf der ganzen Welt für ihre Qualität bekannt.
80 Prozent der Briten schauen BBC
Finanziert wird sie grösstenteils über die Rundfunkgebühr, die jährlich 145,50 Pfund (217 Franken) beträgt. Jeder Haushalt, in dem ferngesehen wird, hat diese Abgabe zu entrichten. Die Gebühr brachte letztes Jahr 3,7 Milliarden Pfund ein, dazu kommt eine Milliarde aus Geschäftstätigkeiten, unter anderem aus dem Verkauf von Programmen ins Ausland.
Mit ihren Einnahmen finanziert die BBC zehn Fernseh- und sechzehn Radiokanäle, dazu eine Website, die von 64 Prozent der Bevölkerung angeklickt wird. 80 Prozent der Briten sehen BBC-Fernsehprogramme, jeder davon durchschnittlich fast zehn Stunden pro Woche.
Applaus gibts von ihm nur für Kritiker der BBC: Medienmogul Rupert Murdoch. (Bild: JOSH REYNOLDS)
Bei privaten Medienkonzernen lösen diese Zahlen Unbehagen aus. Rupert Murdochs «Sky News» ist schon lange ein passionierter Feind der BBC, aber auch Printmedien wie die rechte «Daily Mail» erachten die BBC als zu marktdominant und fordern, dass ihr die Flügel gestutzt werden.
Bei der konservativen Regierung, die seit Mai im Amt ist, stossen diese Anliegen auf offene Ohren: Vergangene Woche verlautbarte George Osborne, dass die BBC in Zukunft die Radiogebühren für ältere Leute ab 75 Jahren selbst bezahlen müsse (bislang werden diese Kosten vom Arbeitsministerium übernommen), was die jährlichen Einnahmen um 650 Millionen Pfund kürzen wird.
Weil der zeitverschobene Fernsehkonsum über den iPlayer der BBC-Website ein Schlupfloch zur Umgehung der TV-Gebühr bietet, sinken auch die Einnahmen aus dieser Quelle. Dies veranlasste den Generaldirektor Tony Hall kürzlich, die Streichung von 1000 Stellen anzukündigen.
«Die BBC befindet sich in einer existenziellen Krise», sagt Jonathan Hardy, Lektor in Medienwissenschaften an der University of East London und Sekretär der Campaign for Press and Broadcasting Freedom, die sich für vielfältige und demokratische Medien einsetzt. «Die Gefahr ist, dass die Kritiker der BBC, die nunmehr in der Regierung sitzen, die Organisation schrumpfen lassen und an den Rand eines gänzlich kommerziellen Medienuniversums drängen.»
Parallelen zur Schweiz
Die Debatte um den Service Public in Grossbritannien verläuft entlang ähnlicher Argumentationslinien wie in der Schweiz nach der knappen Annahme des revidierten Radio- und Fernsehgesetzes: Befürworter eines starken öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind der Meinung, dass Organisationen wie die SRG und die BBC ein breites, qualitätsvolles Angebot bieten sollen, das frei ist von staatlichem Eingriff einerseits und kommerziellem Druck andererseits.
Demgegenüber argumentieren die Anhänger des freien Marktes, dass diese Anstalten im Idealfall lediglich eine Art Zusatzdienst bieten: Sie sollen gesellschaftlich wichtige Programme produzieren, die von privaten Unternehmen nicht zur Verfügung gestellt werden – sie treten also lediglich bei Marktversagen in Aktion. Gemäss dieser Sichtweise verzerrt ein umfassender Service Public den Medienmarkt und würgt kleinere Privatsender ab.
Dieses letzte Argument lässt sich jedoch zumindest in Grossbritannien kaum erhärten. Eine Studie des Reuters Institute for the Study of Journalism kam letztes Jahr sogar zum Schluss, dass ohne die BBC die Gesamteinnahmen der TV-Industrie wahrscheinlich geringer ausfallen würden und die meisten Fernsehzuschauer weniger Auswahlmöglichkeiten hätten als heute.
Konservative Politiker und Medienvertreter hatten schon immer eine Vorliebe für private Dienstleistungen, was ihre Gegnerschaft zur BBC zumindest teilweise erklärt. Im Unterschied zu heute gab es aber laut Hardy in den 1980er-Jahren immerhin noch eine konservative Strömung, die in der BBC eine identitätsstiftende Institution sah und deren Verbreitung von «britischen Werten» begrüsste. «Heute jedoch findet die BBC unter den Konservativen kaum noch Verbündete.»
Von wegen linke Staatsmedien
Vielmehr ist es unter rechten Politikern und Journalisten seit Langem Tradition, der nominell unparteiischen BBC eine linke Schlagseite vorzuwerfen – etwa wenn es um Einwanderung, die EU oder den Klimawandel geht. Auch im Wahlkampf seien Labour-Politiker bevorzugt worden, kritisierte der heutige Wirtschaftsminister Sajid Javid.
Aber auch diese Vorhaltung entbehrt bei genauem Hinschauen einer faktischen Grundlage: Vor zwei Jahren untersuchte eine Gruppe von Akademikern der Cardiff University den Inhalt der BBC-Berichterstattung in den Jahren 2007 und 2012, und zwar in Bezug auf die Bandbreite der Themen und die zitierten Quellen. Das Ergebnis:
Den Tories wurde mehr Sprechzeit eingeräumt als Labour, EU-kritische Stimmen waren dominanter als jene, die die Vorzüge der britischen EU-Mitgliedschaft hervorhoben, und bei Berichten zu Wirtschaftsthemen wurden Quellen aus der Geschäftswelt viel häufiger zitiert als in anderen Nachrichtensendern.
Allerdings gibt es auch berechtigte Kritik an der BBC. In den vergangenen Jahren ereigneten sich einige Pannen, die den Ruf der Beeb schwer ramponierten. Am folgenreichsten war die Entscheidung von Managern der Rundfunkanstalt, 2011 einen Investigativbericht über die sexuellen Übergriffe des kurz zuvor verstorbenen BBC-Entertainers Jimmy Savile nicht auszustrahlen.
Ein Jahr später wurde auf den sozialen Medien des Senders fälschlicherweise der ehemalige Chef der Konservativen, Lord McAlpine, als Pädophiler identifiziert – der Skandal führte zum Rücktritt des Generaldirektors. Auch die hohen Löhne und Entschädigungen für leitende Manager und Moderatoren sorgten für Verstimmung bei den Zuschauern; der vor einigen Monaten entlassene Jeremy Clarkson etwa erhielt jährlich eine Million Pfund für seine Arbeit bei der Auto-Sendung Top Gear.
Kritik von der Linken wegen Establishment-Unterstützung
Zudem wird die Berichterstattung der BBC auch von linker Seite kritisiert: Der Sender sei viel zu unterwürfig gegenüber der Regierung und folge deren Argumentation zu unkritisch – etwa in Bezug auf den Irakkrieg oder den Nahostkonflikt. Jonathan Hardy stimmt dieser Kritik zu: Die BBC sei eine Organisation, die dem Establishment nahestehe und deshalb auch die herrschende Sichtweise der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Elite wiedergebe: «Dagegen müssen wir uns wehren. Wir dürfen die Art und Weise, wie die BBC über den sogenannten Krieg gegen den Terror oder das schottische Unabhängigkeitsreferendum berichtet, nicht akzeptieren.»
Aber er warnt, dass die notwendige Kritik an der Arbeitsweise der Rundfunkanstalt nicht auf deren Abschaffung hinauslaufen soll: «Die BBC muss demokratisiert werden, etwa in Bezug auf die Management-Struktur, aber gleichzeitig dürfen wir uns dem rechten Angriff auf die BBC nicht anschliessen.»
Ohne eine BBC, so Hardy, würde die Bevölkerung ihre Nachrichten mehrheitlich von privaten Sendern beziehen (Non-Profit-Medien seien derzeit schlicht zu klein und ressourcenarm, um genügend Leute zu erreichen), was zu einer Verarmung der Medienlandschaft führen würde: «Kommerzielle Sender sind unglaublich teuer und ihre Produktionen inhaltlich beschränkt. Weil sie von kommerziellen Interessen geleitet sind, bieten sie nicht die ganze Palette der Inhalte und Ausdrucksweisen, die ein Kommunikationssystem erfordert.»