Vorläufig Aufgenommene leben zwischen Stuhl und Bank. Nun will der Bundesrat ihre Situation verbessern – unter anderem mit mehr Möglichkeiten, einer Erwerbsarbeit nachzugehen.
Manchmal gibt es auch gute Nachrichten. Man darf auf sie zurückkommen, selbst wenn sie, wie im folgenden Fall, bereits fünf Wochen zurückliegen und sich bescheiden ausnehmen: Der Bundesrat schlägt vor, den Status der nur «vorläufig» aufgenommenen Flüchtlinge in verschiedener Hinsicht zu verbessern.
Der wichtigste Punkt ist die Erleichterung der Erwerbsarbeit und, damit verbunden, auch des Stellenwechsels. Die Erwerbsquote, die bisher bei bloss 30 Prozent liegt, soll erhöht, die bei etwa 80 Prozent liegende Sozialhilfequote soll gesenkt werden. Kommt da eine Verbesserung zustande, ist das eine Win-win-Situation. Der öffentliche Haushalt wird entlastet, den Flüchtlingen dieser Kategorie eine sinnvolle Alltagsgestaltung ermöglicht.
«Vorläufige» sind mit Asylantrag eingereiste Menschen, deren Gesuch rechtskräftig abgewiesen wurde, deren Wegweisung aber nicht vollzogen werden kann, weil sie unzulässig (Verstoss gegen Völkerrecht), unzumutbar (konkrete Gefährdung des Betroffenen) oder unmöglich (vollzugstechnische Gründe) ist. Das ist die Kategorie F.
Jedes Schicksal ein Fall für sich, dem die Behörden nach bestimmten Vorstellungen gerecht werden müssen.
Im «Vorläufigen» drückt sich aus, dass das Aufenthaltsrecht jederzeit, das heisst bei veränderten Umständen, widerrufen werden kann. Nur schon eine bescheidene Lebensplanung und der Aufbau von Perspektiven sind da schwer möglich. Die kantonalen Behörden können diesen für ein Jahr vergebenen Status zwar immer wieder um zwölf Monate verlängern und eine Bewilligung zur Erwerbstätigkeit erteilen.
Nach fünf Jahren bestehen Chancen, als Härtefall in die Kategorie B (ordentliche Aufenthaltsbewilligung) zu wechseln. Allerdings weisen 32 Prozent der «Vorläufigen» eine sonderbare Vorläufigkeit auf, fallen sie doch seit über sieben Jahren in diese Kategorie.
Es geht um Schicksale von knapp 35’000 Menschen. Jedes Schicksal ein Fall für sich, dem die Behörden, die im Namen des Staats und der Gesellschaft handeln, nach bestimmten Vorstellungen gerecht werden müssen. Gemäss dem bundesrätlichen Vorschlag könnte die Kategorie F (bzw. die da eingestuften Menschen) zu einer künftigen Kategorie A (Schutzgewährung) oder der bereits bestehenden Kategorie S (vorübergehender Schutz) werden oder sogar in die Kategorie B wechseln.
Letzteres würde auch eine Niederlassungsfreiheit innerhalb des Asyllandes beinhalten und das Verbot von Auslandreisen lockern. Dabei geht es nicht um unerlaubte «Ferien» im ehemaligen Verfolgungsland, wie leichthin angenommen wird, sondern um wichtige Kontakte mit auf der Welt verstreuten Familienangehörigen.
Die generelle Problematik fremdenpolizeilicher Bürokratie: Man schafft Kategorien und damit zugleich neue Abgrenzungsprobleme.
Die 35’000 Menschen bilden keine homogene Gruppe. Eigentlich müssten sie einzeln eingeschätzt und nicht nach einer Einheitsregel behandelt werden. Hier zeigt sich die generelle Problematik der fremdenpolizeilichen Bürokratie: Um möglichst problemadäquat reagieren zu können, schafft man Kategorien und damit zugleich neue Abgrenzungsprobleme.
Mit den Kategorien verbinden sich unterschiedliche Bedingungen für Arbeit beziehungsweise Erwerbstätigkeit. Asylsuchenden ist die Arbeitsaufnahme in den ersten drei Monaten nicht gestattet. Flüchtlinge werden bekanntlich mit sich widersprechenden Vorwürfen eingedeckt, dass sie entweder zu Lasten der einheimischen Steuerzahler ein bequemes Leben führen oder die normalen Einreisevorschriften für Arbeitsuchende umgehen und die Einheimischen auf dem Arbeitsmarkt konkurrenzieren.
Ein im Zürcher Kantonsrat in diesen Tagen diskutiertes Postulat, das die Regierung auffordert, die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt zu fördern, ist von der SVP mit dem scheinheiligen Argument erfolglos bekämpft worden, dass die einheimischen über 50-Jährigen diese Hilfe nötig hätten. Der Vorstoss ist dennoch mit 111:58 Stimmen, also auch von bürgerlichen Fraktionen, angenommen worden, was ebenfalls eine gute Nachricht ist.
Ihr könnte man weitere beifügen, wie die jüngsten Meldungen zu den Lehrlingsausbildungen, die den «Vorläufigen» angeboten und mit Erfolg absolviert werden. Bemerkenswert ist dabei, dass sich einzelne Kantone und einzelne Unternehmen mit diesen vorbildlichen Leistungen als fortschrittlich präsentieren können.
«Nutzen» oder «Brauchbarkeit» von Migranten sind nicht das ausschlaggebende Aufnahmekriterium.
In der Flüchtlingsdebatte wird gerne darauf hingewiesen, wie sehr die Schweiz seit Jahrhunderten durch die Zuwanderung von Flüchtlingen profitiert habe. Das trifft zu. Im Moment aber, wenn dieser Gewinn noch nicht ersichtlich ist, sollte man sich vom Verständnis leiten lassen, dass Flüchtlinge dem Asylland nicht in erster Linie einen Nutzen bringen müssen – auch wenn sie dies im Laufe der Zeit tun werden, nämlich als Arbeitskräfte, kulturelle Bereicherung und Nachwuchssicherung in einer alternden Gesellschaft.
«Nutzen» oder «Brauchbarkeit» von Migranten sind nicht das ausschlaggebende Aufnahmekriterium. Solche Menschen werden nach anderen Gesichtspunkten aufgenommen. Dennoch sollten sie sich im gegenseitigen Interesse «nützlich» machen können, und zwar auf individuelle Art, wie dies die Alteingesessenen mehr oder weniger unternehmerisch tun, und nicht nur in beaufsichtigten Arbeitskolonnen oder als billige Leihkräfte .
Das setzt allerdings voraus, dass potenzielle Arbeitgeber bereit sind, Menschen trotz ihrer «Vorläufigkeit» einzustellen, nicht nur für von der Natur zeitlich beschränkte Erntearbeiten, sondern auch für Tätigkeiten, bei denen längerfristige Beschäftigung wünschbar wäre. Der bürokratische Aufwand für die Beschäftigung dieser Menschen sollte möglichst gering gehalten und nicht mit Sondersteuern (zehn Prozent auf den Lohn neben den üblichen Steuern) belastet werden.
Die Einsicht, dass Besserung nötig und leicht möglich ist, kommt nur langsam auf, wenn man nicht selber direkt betroffen ist.
Flüchtlinge sind ein besonderes Segment der globalen, stets mobiler werdenden Migration. Die Entstehung dieser Kategorie ist die Folge von Vertreibung und Fluchtentscheiden. Es sind aber die angegangenen Staaten, die nach eigenem humanitärem Gutdünken festlegen, wie sie mit Asylgesuchen souverän umgehen wollen, soweit sie nicht vorweg – ebenfalls souverän – völkerrechtlich verpflichtende Aufnahmekriterien akzeptiert haben.
Daneben wird aber, mit Zustimmung des Staates, von privaten Wirtschaftsakteuren die globale Migration in hohem Mass genutzt und damit vorangetrieben. Fehlende Arbeitskräfte werden aus dem Ausland importiert, auch von der öffentlichen Hand, zum Beispiel von Spitälern. Dabei werden auch Hochqualifizierte angeworben, das heisst von anderen Ländern abgeschöpft, was andere ärmer macht, die Produktivität des eigenen Landes erhöht und viel zum Steuersubstrat beiträgt. Daran sollten wir uns erinnern, wenn wir meinen, wegen der Belastungen durch anklopfende Flüchtlinge Sorgen haben zu müssen.
Nun hat also der Bundesrat bezüglich der Arbeitsmöglichkeiten der «Vorläufigen» einen kleinen Reformvorschlag vorgelegt. Jenseits der inhaltlichen Seite dieses Vorschlags muss man sich fragen, warum gerade jetzt, warum nicht früher, nicht schon vor Jahren? Vielleicht schlicht darum, weil die Einsicht, dass Besserung nötig und leicht möglich ist, nur langsam aufkommt, wenn man nicht selber betroffen ist. Das kann dauern oder gar nie eintreten.
Andererseits geht es wohl darum, dass die konkreten Gegebenheiten die angestrebte Lösung möglich und vielleicht sogar wünschbar machen. Konkret: der Bedarf des Arbeitsmarktes und die Entlastung der Sozialkosten.
Kritiker sagen: Der Berg hat eine Maus geboren. Okay. Es ist aber eine gute Maus.
Dem bundesrätlichen Vorschlag sind konkrete Impulse vorausgegangen: ein bereits drei Jahre altes Postulat des CVP-Nationalrats Marco Romano, und vor zwei Jahren eine Forderung der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats zur Überprüfung des Status vorläufig Aufgenommener. Nach dem Bundesrat ist jetzt das Parlament an der Reihe. Alles nach dem Bild der langsam mahlenden Mühlen.
Wie in der Presse richtig vermerkt, hat der Bundesrat mit seinem Vorschlag auf Kritik reagiert und sich damit zugleich neue Kritik eingehandelt. Es überrascht nicht, dass von der linken Seite nur halbwegs Zustimmung kommt und die rechte Seite mit entschiedener Ablehnung reagiert. Den einen geht der Vorschlag zu wenig weit, den anderen geht er viel zu weit.
Der bundesrätliche Reformvorschlag ist nur eine Teillösung und als solche erfreulich wie unbefriedigend. Gewiss wären in anderen Sektoren des Flüchtlingswesens ebenfalls Reformen fällig. Dass es bloss eine partielle Verbesserung ist, darf aber kein Grund sein, sie nicht zu verwirklichen. Kritiker sagen: Der Berg hat eine Maus geboren. Okay. Es ist aber eine gute Maus.
Und wieder könnte man abschliessend auf Bert Brecht verweisen, der uns mit dem Gedicht «Vom armen B.B.» daran erinnert, dass wir alle nur «Vorläufige» sind. Dies sollte uns veranlassen, bescheiden zu sein und andere nicht unnötig noch vorläufiger zu machen, als wir es ohnehin alle sind.