Der Parteiwechsel von Grossrat Talha Ugur Camlibel von den Grünen zur SP war von Misstönen und harter Kritik begleitet. Jetzt sind die Hintergründe des Knatschs bekannt: Im Raum steht der Vorwurf, die Grüne Partei würde Migranten in ihren Reihen ausgrenzen und benachteiligen.
Ein paar Tage hat Talha Ugur Camlibel geschwiegen. Dann hat der ehemals grüne nun sozialdemokratische Grossrat seine Sicht der Dinge dargelegt zu seinem Parteiwechsel Mitte Dezember. Am 19. Dezember verkündete das Grüne Bündnis den Wegzug Camlibels mit zum Teil harschen Worten. Drei Tage später folgte seine Replik. Und die hat es in sich.
Auf seinem privaten Facebook-Profil richtet Camlibel Vorwürfe an die Parteileitung und seine frühere Fraktion. Er schreibt etwa:
«Ich habe mich bei den Grünen schon seit Längerem ein wenig als Aussenseiter gefühlt. Das Klima bei den Grünen ist sehr familiär – und ich war so etwas wie ein leicht unbeliebter entfernter Verwandter: ein türkischer Linker, Webmaster und Taxi-Halter (und damit ein Berufs-Automobilist…), ursprünglich diplomierter Bauingenieur, von dem man nicht so recht weiss, wieso er bei der Grünen ist.»
Camlibel fühlt sich von der Grünen-Familie verstossen, das wird deutlich. Die Mutterpartei warf ihm nach seinem Abgang Wählertäuschung vor. Sie schrieb in einem Communiqué:
«Dass die Wechselabsichten von Camlibel der Fraktion erst nach den Wahlen bekannt gegeben wurden, ist unverständlich und gegenüber den Wählerinnen und Wählern unfair.»
Jungpartei will von Camlibel Geld
Die Jungpartei reagierte zorniger. Sie wirft Camlibel fehlenden Anstand vor und verlangt von ihm eine Entschuldigung sowie sämtliche Mandatsabgaben, die er aufgrund seiner Wahl in den Grossen Rat erhält und die künftig der SP zugute kommen.
Doch die Ursache des Wechsels blieb der Öffentlichkeit verborgen. Grund für den plötzlichen Abgang zur SP war laut Camlibel eine Fraktionssitzung im Dezember. Dabei wurde über die Verteilung der Kommissionssitze im Grossen Rat diskutiert – und dabei geriet Camlibel unter die Räder. Er schreibt:
«Für mich sehr überraschend wurde ich von einem Grossrat der Grünen Partei hart angegriffen. Und das mit herablassenden Bemerkungen und teilweise völlig ungerechtfertigten Unterstellungen. Man kann mir viel vorwerfen, aber nicht, dass ich häufig an Sitzungen fehlen würde. Noch viel mehr als der Angriff selbst hat mich getroffen, dass niemand es für nötig gehalten hat, mich zu verteidigen. Das war ein sehr übler Abend für mich. Von da an war für mich klar, dass mich nichts mehr bei den Grünen hält.»
Befremdete Fraktionsmitglieder
Auch andere Fraktionsmitglieder waren befremdet von den Vorgängen, wie sie der TagesWoche erzählen. Camlibel sei vor versammelter Mannschaft zur Schnecke gemacht worden, sagt ein Grossrat. Niemand sei ihm beigestanden, die Sache sei für alle sehr unangenehm gewesen.
Wortführer war der grüne Grossrat Thomas Grossenbacher. Er warf Camlibel vor, einen schlechten Job zu machen und sich nicht genügend in der Partei und der Fraktion einzusetzen. Grossenbacher will sich zur Sitzung nicht äussern. Er sagt bloss, die Thematik sei nicht neu gewesen und schon mehrfach mit Camlibel diskutiert worden.
Parteipräsident Harald Friedl sagt, es seien an der Sitzung zwar harte Worte gefallen, aber «das kann vorkommen, dass es manchmal lauter wird». Die Probleme seien mit Camlibel schon zuvor diskutiert worden.
Multikulti nur geheuchelt?
Camlibel geht in seiner Kritik aber noch einen Schritt weiter. Er wirft der Partei offen vor, Migranten in den eigenen Reihen zu benachteiligen:
«Es gibt bei der Grünen Partei einen recht grossen Unterschied zwischen der propagierten Offenheit und Multikulturalität und der gelebten Praxis. Die Arbeit mit Migrantinnen und Migranten hat man irgendwie an BastA! ausgelagert. Die Grünen könnten stärker werden, wenn sie daran etwas ändern. Aber das ist nun nicht mehr meine Sache.»
Den von Camlibel auf Facebook erhobenen Vorwurf, Politiker mit Migrationshintergrund hätten es bei den Grünen schwer, weist Thomas Grossenbacher entschieden zurück: «Bei uns werden alle Politiker gleich behandelt. Alle müssen dieselbe Leistung erbringen. Wenn jemand Schwierigkeiten hat, bieten wir Hilfe an.»
Auch Parteichef Friedl will von einer Ausgrenzung nichts wissen: «Ich sehe das überhaupt nicht so. Dieser Vorwurf entbehrt jeder Grundlage.» Für ihn sei die Sache erledigt, auch wenn er sich gewünscht hätte, dass Camlibel den Facebook-Eintrag nicht verfasst hätte.
Also der Familienfrieden bei den Grünen zumindest gegen aussen gewahrt geblieben wäre.