Heidi Mück wollte den Staat zerschlagen – jetzt will sie ihn anführen

Heidi Mück hat einen weiten Weg zurückgelegt. Die BastA!-Politikerin hat einst auf der Strasse die Staatsgewalt bekämpft, jetzt will sie Regierungsrätin werden. Das Portrait einer Frau, die sich den Kampf gegen Privilegien zur Lebensaufgabe gemacht hat.

«Meine Vision geht weiter»: Aus Heidi Mück wird in diesem Leben keine Sozialdemokratin mehr.

(Bild: Nils Fisch)

Heidi Mück hat einen weiten Weg zurückgelegt. Die BastA!-Politikerin hat einst auf der Strasse die Staatsgewalt bekämpft, jetzt will sie Regierungsrätin werden. Das Portrait einer Frau, die sich den Kampf gegen Privilegien zur Lebensaufgabe gemacht hat.

Das Bild ist unscharf. Es zeigt eine hagere junge Frau mit kurz geschorenen Haaren. Das Bild gibt keine Hinweise auf den Gemütszustand der Frau, die damals 17 Jahre alt war, aber befragt man sie heute zu dieser Zeit, muss man annehmen, sie war seelisch zerrüttet. Vielleicht passt die Unschärfe ganz gut, denn Heidi Mück, das Mädchen auf dem Bild, erzählt von einer schwierigen Jugend: «Ich war ein Mädchen voller Wut, es ging mir damals nicht gut.» 

Das Bild stammt von 1981, Mück war, als der Fotograf auf den Auslöser drückte, auf dem Weg an eine Anti-AKW-Demo in Deutschland. Sie war damals in der Basler Besetzerszene unterwegs, gehörte zu den Aktivisten im Autonomen Jugendzentrum, einem besetzten Postgebäude in der Hochstrasse.

Bis in die Haftzelle

Das Schlüsselerlebnis ihrer Jugend war der Suizid zweier Schulkollegen. «Da sind junge Menschen am System verzweifelt», sagt sie. Mück flüchtete ins AJZ – und in die Konfrontation: «Macht aus dem Staat Gurkensalat» lautete die Losung, die sie bis in die Haftzelle führte.

Mittlerweile ist Heidi Mück 52 Jahre alt, sie hat drei Söhne, haust in einer Genossenschaftswohnung in Kleinhüningen. Und jetzt will sie die erste Regierungsrätin der Basler Linkspartei BastA! werden. Das wütende Mädchen von damals, das den Staat zerschlagen wollte, will an dessen Spitze.

Heidi Mück 1981 auf dem Weg an eine Anti-AKW-Demo: «Ich war ein wütendes Mädchen.»

Heidi Mück 1981 auf dem Weg an eine Anti-AKW-Demo: «Ich war ein wütendes Mädchen.» (Bild: zVg)

Mück hat sich, anders als man es sich von Kandidaten gewohnt ist, früh festgelegt: Sie will ins Erziehungsdepartement. Will die in vielen Jahren unter Christoph Eymann in alle Richtungen gewucherten Strukturen ein wenig zurückschneiden. «Da wurden so viele Projekte lanciert, wie zum Beispiel der ‹Burzelbaum› oder ‹gesunde Ernährung›, dass die Lehrer kaum mehr Luft haben, sich um den Unterricht zu kümmern.» Jedes dieser Projekte habe für sich genommen eine Berechtigung, doch in der puren Masse sei es zu viel geworden. Mück spricht von einer Häufung von Burnouts, von Lehrern, die ihr Pensum runterschrauben, um nicht kaputt zu gehen. «Die Lehrer werden alleingelassen», klagt sie.

Mück nimmt für sich in Anspruch, die Zustände im Departement genau zu kennen. Sie sass lange in der Bildungskommission des Grossen Rats. Beruflich hat sie 18 Jahre lang als Gewerkschafterin die Interessen der Lehrer vertreten. Sie hat eine Weile auch selber unterrichtet, war Rhythmiklehrerin auf Primarstufe. Schon bald, erzählt sie, habe sie gedacht, «dass da etwas grundlegend schiefläuft». Mück begegnete Kindern, die euphorisch in die Schule eintraten, aber nach zwei, drei Jahren den Unterricht verfluchten. Sie fragte sich: «Wie konnte es passieren, dass diese Kinder so schnell ihre Neugier verloren haben?»

Wird sie gewählt, will sie den Selektionsdruck in der Primarschule zurücknehmen. Sie kritisiert die grossen Leistungsprüfungen «Checks», die bereits in der 3. Klasse einsetzen und auf die sich Klassen über Wochen vorbereiten. Sie will in der Primarschule die Kinder in ihrem Tempo lernen lassen, und erst vor dem Übertritt in die Sekundarstufe überprüfen, wo die Stärken und Schwächen liegen.

Dass im Erziehungsdepartement im nächsten Jahr die Götterdämmerung anbricht, ist allerdings unwahrscheinlich. Mück hat nur Aussenseiter-Chancen und ihr bürgerlicher Kontrahent für den Posten, LDP-Mann Conradin Cramer, hat für den Fall eines Wahlsiegs Kontinuität angekündigt.

Erfüllungsgehilfin der SP?

Ihre Chancen schmälert, dass sie im linken Fünferticket zwar mitgetragen wird, aber die dominanten SP-Regenten die Grüne Elisabeth Ackermann favorisieren. So zumindest nimmt man das im linken Parteiflügel der Sozialdemokraten wahr, wo die Stimmung, kaum hat der Wahlkampf so richtig begonnen, bereits gereizt ist. Ackermann werde von den SP-Regierungsräten bevorzugt und mit Mück ein falsches Spiel getrieben, heisst es. Mücks Aufgabe sei es, die Stimmen am linken Rand einzusammeln und so den Machterhalt im Regierungsrat zu sichern. In der Regierung wolle man die streitbare Linke aber nicht.

Von aussen ist das bislang kaum sichtbar. Mück sagt dazu bloss: «Ich bin schon relativ eigenständig. Wenn sich die SP jemanden wünscht, der zu allen Kompromissen Ja sagt, bin ich die Falsche. Wenn sie aber eine linkere Regierungspolitik will, dann bin ich eine verlässliche Partnerin.»

Kritik an Eva Herzog

Für Vorbehalte jedenfalls hätten die SP-Regierungsräte gute Gründe. Selbst jetzt, mitten im gemeinsamen Wahlkampf, hinterfragt Mück ihre Partner. Sie sagt, auf inhaltliche Differenzen zu Finanzdirektorin Eva Herzog angesprochen: «Es gibt eine Strömung in der Sozialdemokratie, die den Kapitalismus ein bisschen sanfter, ein bisschen weicher machen will, aber ihn dadurch zementiert. Der Deal ist: Die Firmen sollen sich so wohl wie möglich fühlen und das Steuergeld, das dabei anfällt, wird ein wenig unter den Armen verteilt.»

Die BastA!-Co-Präsidentin fordert mehr Umverteilung, sie will bei den Reichen mehr holen. Sie sagt, ganz die linke Klassenkämpferin: «Es kann ja nicht sein, dass immer mehr Leute beim Schwarzen Peter anstehen, die sich keine Wohnung leisten können, und gleichzeitig die Konzerne in Basel Riesengewinne einfahren.»



«Ich will bei den Reichen mehr holen»: Mück ist in diesem Wahlkampf so etwas wie das Gegenstück zu SVP-Mann Lorenz Nägelin. Der gibt sich mittiger, Mück revolutionärer als sie sind.

«Ich will bei den Reichen mehr holen»: Mück ist in diesem Wahlkampf so etwas wie das Gegenstück zu SVP-Mann Lorenz Nägelin. Der gibt sich mittiger, als er ist, Mück ist weniger revolutionär, als sie sich gibt. (Bild: Nils Fisch)

Kann das gutgehen, drei machterprobte, politisch flexible SP-Regierungsräte und die unerschütterliche Linke? Mück sagt: «Wir müssen ja nicht Busenfreunde werden. Ich will mit ihnen zusammenarbeiten und was wichtig ist: Wir haben eine Ebene, auf der wir konstruktiv miteinander streiten können.»

Spricht man mit Annemarie Pfeifer, EVP-Grossrätin und damit politisch unverdächtige Zeugin, erhält man den Eindruck, dass sich Heidi Mück unversöhnlicher gibt, als sie ist. Pfeifer, mit der Mück lange Jahre in der Bildungs- und Kulturkommission zusammengearbeitet hat, sagt über sie: «Sie ist eine sehr dossiersichere und prononcierte Politikerin. Sie hat ihren Standpunkt immer klar vertreten, aber letztlich auch Hand geboten für Kompromisse. Über die Zusammenarbeit mit ihr kann ich nichts Schlechtes sagen.»

Den Kapitalismus überwinden

Mück geht Kompromisse ein, sagt von sich, sie ziehe ihre Kraft heute aus kleinen Veränderungen. Jeden Morgen wenn sie die Ackerstrasse in Kleinhüningen entlangfährt, freut sie sich über den Spielpavillon im kleinen Park, den sie im Grossen Rat erstritten hat. «Ich kämpfe nicht mehr einfach nur gegen das System, ich versuche, kleine Verbesserungen herauszuholen, die den Menschen direkt zugute kommen», beschreibt sie ihren Wandel.

Tut sie also nicht genau das, was sie den Sozialdemokraten vorwirft?

Mück widerspricht: «Meine Vision geht weiter. Ich will den Kapitalismus überwinden.» In der Schweiz trauen sich die meisten linken Politiker den Satz nur noch in abhörsicheren Räumen zu flüstern. Wenn Heidi Mück ihn sagt, verhält es sich genau umgekehrt: Sie sagt ihn so bestimmt, dass ja kein Zweifel an ihrer revolutionären Gesinnung aufkommt.

Was beschäftigt die Basler Bevölkerung aus Ihrer Sicht am meisten?
1. Die Wohnsituation: Als Mietervertreterin an der Schlichtungsstelle für Mietstreitigkeiten bekomme ich hautnah mit, wie Menschen verzweifeln, wenn sie ihre Wohnung nicht mehr zahlen können oder die Kündigung droht.
2. Die soziale Sicherheit: Von der Sozialhilfe leben zu müssen ist keine angenehme Situation. Der Grundbedarf ist sehr knapp bemessen und die Teilnahme am sozialen Leben ist schwierig, wenn kein Restaurant-, Konzert- oder Kinobesuch drinliegt.
3. Die Zukunftsperspektiven für Kinder und Jugendliche: Insbesondere für Eltern ist es ein wichtiges Anliegen, dass ihre Kinder eine gute Ausbildung machen können und eine ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten entsprechende Lehrstelle oder Arbeit finden.

Wieso sollte man ausgerechnet Sie wählen?
Weil ich vielfältige Erfahrungen und Fähigkeiten mitbringe, klare politische Positionen vertrete und den Fokus auf die Anliegen der weniger privilegierten Menschen in Basel lege, aber trotzdem das grosse Ganze nicht aus den Augen verliere. Und weil die Regierung von Basel-Stadt linker und weiblicher werden soll.

Welches Buch liegt auf Ihrem Nachttisch?
Ich habe immer einen ganzen Stapel Bücher auf dem Nachttisch – meistens aus der Stadtbibliothek – und lese sie parallel, je nach Lust und Laune. Aktuell zum Beispiel Margaret Atwoods «Das Jahr der Flut» und Pierre Rabhis «Glückliche Genügsamkeit».

Steckbrief:

Geboren: 1964
Politische Laufbahn: 1995 Mitbegründerin von BastA! und seit 2014 Co-Präsidentin. 2001 bis 2004 Mitglied des Bürgergemeinderates. 2001 bis 2004 Arbeitnehmervertreterin am gewerblichen Schiedsgericht. 2004 bis Mai 2016 Mitglied des Grossen Rats. Aktuell Mietervertreterin an der Schlichtungsstelle für Mietstreitigkeiten, Co-Präsidentin Stiftungsrat Frauenhaus beider Basel, Co-Präsidentin Trägerverein Quartiertreffpunkt Kleinhüningen und ehrenamtliches Engagement in zahlreichen Projekten.
Beruflicher Werdegang: Schulen bis zur Matura in Basel, abgebrochenes Studium, Ausbildung zur Gymnastikpädagogin. Rhythmiklehrerin an den Kleinklassen. Ab 1995 Gewerkschaft Erziehung, dann zuständig für  den Schulbereich BS und BL beim VPOD Region Basel. Ab 2013 Verantwortliche für Kommunikation und politische Arbeit beim Forum für die Integration der Migrantinnen und Migranten (FIMM Schweiz) in Bern. Seit Juli 2015 Geschäftsleiterin des Netzwerks FachFrauen Umwelt (FFU-Pee).
Familiäres: Lebt zusammen mit ihrem Partner, mit dem sie drei Söhne mit Jahrgang 1989, 1991 und 1999 hat.

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Die TagesWoche porträtiert während dem Wahlkampf alle bisherigen Regierungsräte und neuen Kandidaten. Bereits erschienen: Eva Herzog, Conradin Cramer, Lukas Engelberger, Christoph Brutschin, Lorenz Nägelin.
Demnächst im Porträt: Christian Mueller (FUK).

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