In der Nacht auf Montag geht für eine kleine Nation ein grosser Traum in Erfüllung: Bosnien und Herzegowina nimmt zum ersten Mal an einer Weltmeisterschaft teil. Mittendrin: Sejad Salihovic. Einst Kriegsflüchtling, heute ein Star in der Bundesliga.
Den 16. Juni 2014 wird Sejad Salihovic wohl nie vergessen. Mit Bosnien und Herzegowina spielt der Bundesligaprofi der TSG Hoffenheim an diesem Tag gegen die Auswahl Argentiniens. Bei einer Fussball-Weltmeisterschaft! Im Maracana-Stadion von Rio de Janeiro! Bei der ersten WM-Teilnahme des Balkanlandes!
Ein Traum sei das, klar, sagt Salihovic. Und ausserdem: Man habe keinen Druck, meint er, nichts zu verlieren gegen das Argentinien mit Messi, den grossen Favoriten in der Gruppe, in der ausserdem noch Iran und Nigeria um den Einzug ins Achtelfinale streiten.
Wenn Sejad Salihovic von einem Traum spricht, dann darf man ihm das abnehmen. Nicht nur, weil ein WM-Spiel für jeden Fussballer die Erfüllung eines Kindheitstraums ist. Wie andere Kollegen aus der Nationalmannschaft aber ist auch Salihovics Biographie geprägt vom Bosnienkrieg (1992-1995). Als Salihovic sieben Jahre alt war, musste er 1992 seine Heimat verlassen, serbische Soldaten nahmen der Familie alles weg, das neue Haus, die Existenz.
Die Familie schlug sich nach Berlin durch, Sejad begann bei Hertha BSC seine Laufbahn als Fussballer, Trainer Ralf Rangnick lockte ihn 2006 zur TSG Hoffenheim, für die er seither 211 Bundesligaspiele bestritten, 59 Tore erzielt und alle Höhen und Tiefen des Klubs mitgemacht hat.
Die meisten Tore erzielte der Mittelfeldspieler aus ruhenden Bällen, dafür umso beeindruckender:
Die Beziehung zur Heimat sei weiter eine «ganz Besondere», sagt Salihovic. «Ich liebe das Land.» Dass er nach der erfolgten WM-Qualifikation in Sarajewo mit zigtausenden Mitbürgern diesen Erfolg feiern konnte, sei für ihn unvergesslich, erzählt er. Die Mannschaft, in der mit Vedad Ibisevic, Ermin Bicakcic, Sejad Kolasinac, Mensur Mujdza, Emir Spahic, Jasmin Fejzic, Edin Dzeko und Zvjezdan Misimovic weitere aktuelle und ehemalige Bundesligaprofis stehen, hat sich diese WM-Teilnahme hart erarbeiten müssen.
Immer diese Portugiesen
Zwei Mal ist Bosnien und Herzegowina zuvor in Relegationsspielen an Christian Ronaldos Portugal an der Qualifikation für ein Grossturnier gescheitert. «Das wir es nun doch noch geschafft haben, zeugt von einer grossen Moral», sagt Salihovic: «Wir glauben an uns und spielen guten, offensiven Fussball.» Die Mannschaft gewann ihre drei Testspiele, gegen die Elfenbeinküste – auch ein WM-Teilnehmer – unterstrich sie ihre Klasse beim 2:1.
«Wir glauben an uns und spielen guten, offensiven Fussball.»
Für den Teamgeist verantwortlich zeichnet sich auch Trainer Safet Susic, ein ehemaliger Profi. «Er ist eine Legende, ihn respektiert jeder», sagt Salihovic. Und vielleicht noch wichtiger: «Susic coacht mit sehr ruhiger Hand.» Auch das ist wichtig in einem Land, in dem die Lage nach wie vor fragil ist. Während im bosnischen Teil die Bevölkerung tagelang ihre Nationalmannschaft feierte, nahm man in der mehrheitlich von Serben bewohnten Republik Srpska die WM-Teilnahme zwar wahr, aber feiern wollte in Banja Luka niemand.
Schmerzliche Erinnerung: Zweimal scheiterte Bosnien an Portugal, im Bild das Spiel 2009 und ein angeschlagener Salihovic. (Bild: Paulo Duarte)
Die Bestrebung der Republik Srpska, eine eigene Nationalmannschaft zumindest für Freundschaftsspiele aufzubieten, teilte die FIFA erst jüngst doch noch in letzter Minute eine Absage. Dies würde dem Versöhnungsprozess zuwider laufen, warnten Politiker und Beobachter. Über Politik will Salihovic, der in Gornji Sepak in der heutigen Republik Srpska geboren wurde, nicht sprechen. Er spüre keinen politischen Druck, sagt er, und will sich auf den Sport konzentrieren, nichts als Fussball spielen in Brasilien.
Vom Mittelfeld in die Verteidigung
Der aus der Bundesliga als feiner Techniker im Mittelfeld bekannte Salihovic wird bei der WM linker Verteidiger spielen. Als sein Vereinstrainer Markus Gisdol Salihovic in der vergangenen Saison aus der Not heraus ein paar Mal als Linksverteidiger aufbot, sorgte das noch für Verwunderung. In der Nationalmannschaft spielt Salihovic diese Position schon Jahre lang. Nationaltrainer Susic sehe in auf dieser Position und habe ihm das in einem Gespräch mitgeteilt, erzählt der 29-Jährige: «Mittlerweile habe ich mich an die Position gewöhnt.» Und als er hinzufügt, seine Hauptaufgabe in der Nationalmannschaft sei das Verteidigen, muss er schmunzeln.
Es ist übrigens auch nicht selbstverständlich, dass der beste Freistossschütze der Bundesliga die Freistösse schiesst im Nationalteam. Aber auch das macht er angesichts von anderen Könner wie Misimovic und Dzeko klaglos. Die wilden Zeiten, in denen er einst in Berlin in der Gruppe mit den Boateng Brüdern noch seinen Weg suchte, hat Salihovic längst hinter sich. Er ist ein reifer Fußballer im besten Alter und will bei der Weltmeisterschaft mit Bosnien und Herzegowina für Überraschungen sorgen, auch um die von der Flutkatastrophe auf dem Balkan gebeutelte Bevölkerung seines Heimatlandes zumindest für kurze Momente vom Leid abzulenken.
Seine ganze Familie wird in Brasilien vor Ort verfolgen, erzählt Salihovic. Die Gruppenphase hält er für «machbar». Und dann, sagt er, sei alles möglich. Vielleicht auch ein Vereinswechsel? Sein neuer Kollege bei der TSG und in der Nationalmannschaft, Ermin Bicakcic erzählte jüngst offenherzig von Angeboten für Salihovic.
Liste der am häufigsten eingesetzten Spieler
Rang | Spieler | Länderspieleinsätze | Zeitraum |
1 | Zvjezdan Misimović | 80 | seit 2004 |
2 | Emir Spahić | 72 | seit 2003 |
3 | Edin Džeko | 60 | seit 2007 |
4 | Vedad Ibišević | 53 | seit 2007 |
5 | Elvir Bolić | 51 | 1996–2006 |
6 | Sergej Barbarez | 48 | 1998–2006 |
7 | Miralem Pjanić | 46 | seit 2008 |
8 | Vedin Musić | 45 | 1995-2007 |
9 | Hasan Salihamidžić | 44 | 1996–2006 |
10 | Kenan Hasagić | 43 | 2002-201 |
(Quelle: Wikipedia)