Von Da Nang aus starteten jene Flugzeuge, die das hochgiftige, dioxinverseuchte Entlaubungsmittel Agent Orange über Südvietnams Wäldern und Feldern versprühten. Die Erde des Flughafens ist derart mit Dioxin kontaminiert, dass sie jetzt gereinigt wird. Vierzig Jahre nach Kriegsende. Ein Unterfangen mit ungewissem Ausgang.
Bevor wir das Gelände an der Peripherie des Flughafens betreten dürfen, verteilt der Sicherheitsbeauftragte der amerikanischen Baufirma jedem einen Schutzhelm. Dann liest er uns eine ziemlich lange Litanei von Sicherheitsregeln vor. Wir hören etwa:
«Es könnten Blindgänger aus dem Krieg auf dem Areal liegen. Sollte etwas passieren, haben wir einen Erste-Hilfe-Koffer auf dem Platz.»
Das Gefährlichste aber, was hier lagert, ist unsichtbar.
Der Flughafen Da Nang war der wichtigste Luftwaffenstützpunkt der Amerikaner und Hauptumlade- und Lagerplatz des dioxinhaltigen Herbizides Agent Orange. Sehr viel davon versickerte im Boden, verseuchte Fischteiche, gelangte ins Grundwasser und in Nahrungsketten. Proben zeigen, dass hier der Dioxin-Grenzwert bis zu 365-fach überschritten wird. Die Erklärung dafür, dass es in der Gegend noch heute rund 5000 Menschen mit dioxinbedingten Gesundheitsschäden gibt.
Ihr oder das Tonband: Beau Sanders – Chef der amerikanischen Baufirma, die für den Abbau verantwortlich ist – will keine Aufzeichnungen vom Gespräch mit den Reportern. (Bild: Roland Schmid)
Unsere Recherchen auf dem abgesperrten Gelände wären vom Chef der amerikanischen Baufirma, die hier an der Dioxinreinigung arbeitet, beinahe verunmöglicht worden. Trotz Zusage der amerikanischen Botschaft verweigerte der Bauleiter Beau Sanders eine Audioaufzeichnung des Interviews, er wollte uns sogar vom Platz weisen, als wir protestierten. Entweder auf der Stelle das Gelände verlassen oder ohne Tonband bleiben. Auch unsere vietnamesischen Begleiter wunderten sich. Immerhin ist es vietnamesisches Territorium.
Surrealistischer Anblick: Der Dioxin-Ofen von Da Nang. (Bild: Roland Schmid)
Das Bild erinnert an eine surrealistische gigantische Fabrik. Am Rand des Zivilflughafens von Da Nang sind auf einer Fläche von der Grösse eines Fussballfeldes achttausend tonnenschwere Betonklötze aufgetürmt. Darin eingeschlossen Tausende Kubikmeter mit Dioxin vergifteter Erde. Aus den Klötzen ragen Hunderte von Stäben. Eine Art überdimensionale Tauchsieder, 335 Grad Celsius heiss.
Sie erhitzen die kontaminierte Erde während fast eines Monats. Die grosse Hitze verwandelt das Dioxin in unschädliche Bestandteile. Die gereinigte Erde bleibt als Füllmaterial auf dem Gelände und dient der Flughafenerweiterung.
Arbeiter reparieren die «Tauchsieder» auf dem Dioxin-Ofen. (Bild: Roland Schmid)
Das Projekt kostet 84 Millionen Dollar – fast doppelt so viel wie ursprünglich budgetiert – und wird von den USA finanziert und realisiert. Seit 2012 leitet die amerikanische Baufirma die Arbeiten. Die damalige US-Aussenministerin Hillary Clinton und ihr Mann, Ex-Präsident Bill Clinton sowie andere US-Prominenz liessen sich in Da Nang blicken und nutzten die Gelegenheit für lautstarke PR. Die Botschaft: Welt schau her, wir tun was für Vietnam!
Hoch oben über Hanoi: Der Chief of Mission in Vietnam von USaid Joakim Parker. (Bild: Roland Schmid)
Joakim Parker ist in Vietnam Missionschef von USAid, der amerikanischen Behörde für Entwicklungszusammenarbeit. Er leitet im Auftrag von Washington das Da Nang-Projekt. Der Weg zu ihm in den 15. Stock eines Bürohochhauses in Hanoi führt durch Sicherheitskontrollen, über das Durchsuchen des Gepäckes, das Abgeben des Passes und das Einverständnis, dass das Interview mitgeschnitten werden darf und dass verwendete Passagen vor der Verwendung vorgelegt werden.
Diesen Punkt streicht allerdings die Presseverantwortliche als sie erfährt, dass die Geschichte in der ihr nicht geläufigen deutschen Sprache erscheinen wird.
Frage an Joakim Parker: Wieso engagieren sich die USA in Da Nang erst Jahrzehnte nach dem Krieg?
Es sei nie zu spät, sagt Parker. Und weiter: «Unser erstes Ziel ist es, einen sichtbaren Beitrag zu leisten an die wachsende, positive Zusammenarbeit zwischen den USA und Vietnam. Zudem haben wir es hier mit einer Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung zu tun. Auch will Vietnam den Flughafen in dieser schnell wachsenden Stadt erweitern. Das ist ein weiterer Grund für unser Engagement.»
Wie aber beurteilen die Dioxin-Opfer die Reinigung in Da Nang?
Dazu der Leiter der örtlichen Agent Orange-Opfer-Vereinigung (DAVA), Pham Thanh Tien: «Das Wichtigste für die Opfer ist nicht diese Reinigung, viel wichtiger wäre die Unterstützung der betroffenen Familien, die es alle sehr, sehr schwer haben. Es fehlt an Geld, um ein menschenwürdiges Leben zu führen. Ihnen sollten die USA zuerst helfen.» Natürlich sei für die Zukunft ein entgifteter Boden ebenfalls wichtig, um neue Gift-Opfer zu vermeiden.
Eine nicht ganz optimale Technologie
«Die verwendete Technologie der USA ist nicht optimal», sagt Le Ke Son, einst der oberste Agent-Orange-Beamte von Vietnam. (Bild: Roland Schmid)
Le Ken Son leitete bis 2014 zehn Jahre lang das nationale «Steering Commitee 33», die Agent Orange-Koordinationsstelle der Regierung. Er war sozusagen der oberste Agent-Orange-Beamte Vietnams. Die Da Nang-Reinigung begann in seiner Amtszeit, im Jahr 2012. Le Ke Son macht auf skandalträchtige Sicherheitslücken aufmerksam, die der Öffentlichkeit nicht bekannt sind: «Die Technologie, die von den USA in Da Nang angewendet wird, ist nicht optimal. Die Erhitzung der verseuchten Erde erzeugt Abluft, Abwässer sowie Sedimente, die erneut mit Dioxin verseucht sind.»
Das Dioxin wird also keineswegs vollständig vernichtet, wie offiziell verkündet wird. Zudem dauert die Reinigung viel länger. Zuerst sagten die Verantwortlichen, sie sei 2016 zu Ende. «So wie es jetzt ausschaut, wird es um Jahre länger gehen», sagt Le Ke Son.
Da Nang ist kein Einzelfall
Gesprücht wurde Agent Oragen überall in Vietnam, aber einige Orte sind noch immer Hotspots, wie die Karte der Agent-Orange-Opfer-Organisation Vava zeigt. (Bild: Roland Schmid)
Neben Da Nang gibt es im Land rund dreissig weitere gefährliche Dioxin-Hotspots. Zwei dieser ehemaligen südvietnamesischen Luftwaffenstützpunkte sollen in den kommenden Jahren ebenfalls gereinigt werden. Beide liegen in dicht besiedelten Gegenden: Bien Hoa östlich von Ho Chi Minh Stadt, dem früheren Saigon, und Phu Cat in Zentralvietnam. In Bien Hoa ist das Agent Orange-Gift TCDD wegen belasteten Böden und Sedimenten noch immer in Nahrungsketten. Die Menschen werden weiter vergiftet.
Schon jetzt ist klar, dass dort nach den Fehlern in Da Nang andere Technologien eingesetzt werden müssen. Technologien, die aber erst im Entwicklungsstadium sind. Der offizielle Fahrplan, wonach bis 2020 sämtliche Hotspots sauber sein sollen, erscheint unrealistisch.
Unsichtbar wie ein Gespenst: Auf diesem Feld treibt Agent Orange noch immer sein Unwesen. (Bild: Roland Schmid)
Wie teuer die weiteren Aktionen werden und wer letztendlich bezahlt, ist ungewiss. Auch ungewiss ist, wie sich die andauernde Weigerung der USA auswirken wird, substanziell für die angerichteten Schäden zu bezahlen. Der Agent Orange-Experte Le Ke Son sieht es so: «Das ist eine sehr komplizierte Sache. Es gibt hier Leute, die sagen, Agent Orange sei das Gespenst in der Beziehung zwischen Vietnam und den USA. Etwas, was wir sehen und doch nicht sehen. Agent Orange ist eine komplizierte Geschichte, die zusammenhängt mit humanitären, politischen und ökonomischen Fakten.
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Die TagesWoche widmet dem Ende des Vietnamkriegs vor 40 Jahren einen Schwerpunkt – mehr dazu im Dossier.
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