Der neue französische Präsident François Hollande hat nur eine Chance, wenn er diese schnell und entschlossen packt. Frankreichs neuer Präsident muss zum französischen Schröder werden. Sonst verlieren Frankreich und mit ihm die ganze Eurozone.
Stefan Brändle
François Hollande im Elysée – ein erwartetes und doch erstaunliches Wahlergebnis. Erwartet, weil seit längerem klar war, dass Nicolas Sarkozy abgestraft würde. Der Amtsinhaber erhielt die Quittung für fünf Jahre Polit-Narzismus: Ständig auf sich bezogen, darf sich der Präsident nicht wundern, dass die Franzosen die Wahl in ein Plebiszit für oder gegen seine Person verwandelten. Und es fiel klar gegen ihn aus.
Sarkozy hatte die Wiederwahl 2012 schon nach seiner ersten Wahl 2007 verloren. Damals lud er seinen Freundesclan in Luxusbars ein, jetsettete auf einer Milliardärsjacht und verdreifachte sein Salär. 2008 setzte die Krise ein, und Sarkozy kam nicht mehr aus dem Loch, das er sich selbt geschaufelt hatte. Schade nicht nur für das Multitalent, schade für Frankreich: Sarkozy hätte die Chance gehabt, als mutiger Reformer in die Geschichte Frankreichs einzugehen. Nun wird von seinem Fünfjahresmandat wenig übrigbleiben.
Hollande profitierte natürlich von der «Anti-Sarko»-Stimmung. Trotzdem ist ihm der Sieg nicht in den Schoss gefallen. Noch vor einem halben Jahr galt der 57-jährige Sozialist in seiner eigenen Partei als zweite Garnitur – vielleicht in ein Parteibüro passend, aber gewiss nicht auf einen Präsidententhron. Doch Hollande legte einen fehlerlosen Wahlkampf hin und wuchs im entscheidenden TV-Duell über sich hinaus. Nicht nur eine persönliche Leistung – auch eine erstaunliche Metamorphose.
Hollande wird sich aber nicht auf den Lorbeeren ausruhen können. Der zweite linke Staatschef nach François Mitterrand sollte die Lehren aus dem Sarkozy-Debakel ziehen: Die günstigste, vielleicht die einzige Gelegenheit, den «Wechsel» (Hollandes Wahlslogan) wirklich zu bewerkstelligen, bietet nur das erste Amtsjahr. Und die französische Wirtschaft hat es bitter nötig. Alle vergleichbaren Nachbarstaaten haben schon drakonische Strukturreformen beschlossen: Italien, Spanien und England in den letzten Monaten, Deutschland schon seit 2003. Nur Frankreich ziert sich. Dabei krankt die Wirtschaft im europäischen Vergleich an den höchsten Staatsausgaben (56 Prozent des Bruttoinlandproduktes), der kürzesten Arbeitszeit (35 Stunden) und dem niedrigsten Rentenalter (62 Jahre).
Kein Wunder, wachsen die Arbeitslosigkeit (10 Prozent) und die Staatsschuld (1700 Milliarden Euro). Die französische Wirtschaft hat in einem Jahrzehnt den Anschluss an Deutschland verloren. Nun wartet sie auf die Strukturreformen, die SPD-Kanzler Schröder dem grossen Nachbar längst verordnet hatte.
Ist der Sozialist im Elysée bereit dazu? Das wird sich bald weisen. Bisher wollte Hollande lieber auf EU-Ebene den Fiskalpakt neu aushandeln als in seinem eigenen Land den Arbeitsmarkt oder den Staatsapparat modernisieren. Seine Nähe zu den Gewerkschaften ist aber auch ein Vorteil: Mit etwas Geschick kann Hollande Reformen durchziehen, die unter einer konservativen Regierung nur Streiks und Blockaden ausgelöst hätten. Der sozialistische Ex-Premier Lionel Jospin hatte 1997 bis 2002 vorgemacht, wie das möglich ist.
Hollande hat – wie Sarkozy 2007 – eine Chance, aber nur, wenn er sie schnell und entschlossen packt. Frankreichs neuer Präsident muss zum französischen Schröder werden. Sonst verlieren Frankreich und mit ihm die ganze Eurozone. Hollande will ja auch nicht, dass die Finanzmärkte gewinnen.