Hollande steht im Regen

Frankreichs Staatsspitze schlingert: Nach vier Monaten muss Präsident François Hollande seine Regierung erneut umbilden. Sein politisches Dilemma bleibt aber.

French President Francois Hollande delivers a speech in the rain on the Ile de Sein, an island located near the Pointe-du-Raz, off the Brittany coast, August 25, 2014. Earlier in the day, President Hollande asked his prime minister to form a new governmen (Bild: PHILIPPE WOJAZER)

Frankreichs Staatsspitze schlingert: Nach vier Monaten muss Präsident François Hollande seine Regierung erneut umbilden. Sein politisches Dilemma bleibt aber.

François Hollande stand am Montag wieder einmal im Regen. Auf der Île de Sein, einer Bretagne-Insel, wo im Zweiten Weltkrieg 128 Fischer den Widerstand gegen die Nazis aufgenommen hatten, verlas der durchnässte Präsident durch seine benetzte Brille mühsam eine patriotische Rede. Doch dafür interessierte sich nun wirklich niemand. 500 Kilometer entfernt, im Pariser Machtzentrum, empfing Premierminister Manuel Valls im Eilverfahren einen Minister nach dem anderen und nahm ihnen einen Treueschwur ab. Wer ihn verweigert, fliegt aus der Regierung.

Damit versucht Valls seine Autorität wieder herzustellen, oder das, was davon geblieben ist. Am Wochenende hatten gleich zwei prominente Untergebene, Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg und Bildungsminister Benoît Hamon, einen neuen Wirtschaftskurs gefordert – mit weniger Sparen und Deutschlandhörigkeit, dafür mehr Defizit und Wachstumsförderung.

Valls: «Er oder ich»

An sich liegen Hollande und Valls auf einer ähnlichen Linie, kritisieren sie doch die «Austeritätspolitik» in Europa. Am Sonntag hatte der Präsident noch abgewunken, Montebourgs Ausfall sei «nicht schockierend» und auch «nicht neu».

Der zum rechten Flügel der Sozialisten zählende Valls liess jedoch verlauten, die beiden Ministerrebellen hätten die «gelbe Linie» überschritten – was immer das heissen mag. Dann stellte er Hollande gemäss Pariser Medien vor die Wahl: «Er oder ich», bedeutete der Premier, genauso ein Heisssporn wie Montebourg. «Wenn du nicht entscheidest, dann ohne mich.»



Past French Interior Minister Manuel Valls (L) and then Minister for Industrial Recovery Arnaud Montebourg attend the questions to the government session at the National Assembly in Paris in this picture taken January 8, 2014. Current French Prime Ministe

Haben im Moment einander Nichts zu sagen: Manuel Valls (L) Arnaud Montebourg. (Bild: CHARLES PLATIAU)

Dass Valls den Richtungsstreit mit dem Globalisierungsgegner und Protektionisten Montebourg bewusst dramatisiert, hat nicht nur mit Wirtschaftspolitik zu tun. Am Sonntag war der «linke Sarkozy», wie der Premier gerne apostrophiert wird, in einer Umfrage auf einen Schlag um neun auf 36 Sympathiepunkte zurückgefallen. Ganz offensichtlich reisst ihn der schwächelnde Präsident – Hollande kommt noch auf 17 Umfrageprozent – mit sich in den Abgrund.

Das will Valls nicht tatenlos hinnehmen. Denn er hat das gleiche Fernziel wie Hollande und Montebourg: die Präsidentschaftswahlen von 2017.

Zu dem Zweck braucht Valls eine loyale Regierungsmannschaft, die auch Erfolge an der Wirtschaftsfront – Frankreich zählt 3,3 Millionen Arbeitslose – vorzuweisen hat. Deshalb will er Montebourg und Hamon loswerden, aber auch widerspenstige Ministerinnen wie Christiane Taubira (Justiz) und Aurélie Filippetti (Kultur). Sie kritisierten den autoritären Sozialdemokraten Valls fast ebenso laut wie die Grünen, die im April aus der Regierung ausgetreten waren.

Hollande sei «schlimmer als Sarkozy»

Der Premier muss laut Communique des Präsidialamtes bis am Dienstag eine Regierung bilden, die «in Übereinstimmung zu dem vom Staatschef definierten Kurs» steht. Hollande schwebt, wie er vor wenigen Tagen sagte, ein gemässigter Sparkurs «ohne Konfrontation» zu Deutschland vor.

Ein möglicher Nachfolger für Montebourg im Wirtschaftsministerium wäre Pascal Lamy, der frühere Vorsteher der Welthandelsorganisation WTO. Ein anderer Kandidat ist der sozialistische Veteran Jean-Marie Le Guen. Ein geschickter Schachzug wäre es für Valls, kooperative Grüne wie Jean-Vincent Placé in die Regierung zurückzuholen, um den Kreis seiner Kritiker zu reduzieren.

Einzelne Abgeordnete der Parti Socialiste (PS) könnten aber in die Opposition gehen. Links von den Sozialisten hat Hollande ohnehin nur noch Feinde; der Volkstribun Jean-Luc Mélenchon von der «Linksfront» hält ihn für «schlimmer als Sarkozy». Zwischen der Rechts- und Linksopposition eingezwängt, könnte die Regierung in der Nationalversammlung fallweise die Mehrheit verlieren.

Das bedroht auch Hollandes Hauptreform, die Senkung der Unternehmensabgaben und der Staatsausgaben um 50 Milliarden Euro. Sie wartet immer noch in den Schubladen.

Angesichts dieser düsteren Aussichten sprach die Pariser Presse am Montag von «Sturm» und «Chaos» an der Regierungsspitze. Die konservative Oppositionspolitikerin Valérie Pécresse beschrieb Frankreich als Galeere («la galère» heisst auch so viel wie «Plage») mit einem geschwächten Kapitän, einem ehrgeizigen Steuermann und einer Mannschaft «in voller Meuterei».

Die Rechten sind die Nutzniesser

Wenn die bürgerliche Grosspartei UMP keine Neuwahlen verlangt, dann einzig, weil sie intern selber zerstritten ist; die Hahnenkämpfe zwischen Nicolas Sarkozy, Alain Juppé und François Fillon kommen bei den Franzosen so schlecht an wie Hollandes Schwächen.

Nutzniesser ist einzig der rechtsextreme Front National. Deren Präsidentin Marine Le Pen verlangte am Montag umgehend die Auflösung der Nationalversammlung und Neuwahlen. Ihre Forderung hat momentan keine Chance. Wie die Linksfront wird Le Pen aber noch lauter gegen Euro und das deutsche «Spardiktat» Stimmung machen.

Um seine linke Wählerschaft bei der Stange zu halten, muss Hollande in diese Kritik wohl oder übel einstimmen. Zugleich muss er aber die Defizitvorgaben gegenüber Brüssel einhalten. Ein unlösbarer Widerspruch. Frankreichs neue Regierung wird nicht solider sein als die bisherige – die gerade mal vier Monate hielt.

Nächster Artikel