«Ich habe die Leichtathletik lieben gelernt»

Kariem Hussein, der neue Europameister im 400-m-Hürdenlauf, spricht über seine Fussballvergangenheit, die Faszination seiner Sparte und über Nichtpräsentes.

Kariem Hussein präsentiert seine Goldmedallie.«Erfolg ist mir immer wichtig gewesen.» (Bild: WALTER BIERI)

Kariem Hussein, der neue Europameister im 400-m-Hürdenlauf, spricht über seine Fussballvergangenheit, die Faszination seiner Sparte und über Nichtpräsentes.

Kariem Hussein, Ihr Trainer Flavio Zberg, sagte nach dem Goldlauf, Sie und er hätten beide gespürt, dass etwas Grosses in der Luft gelegen hätte, weder Sie noch er aber darüber gesprochen hätten. Wie erlebten Sie dieses Zusammenspiel?

Kariem Hussein: Ein perfektes Rennen war eine Zieldefinition. Ich bin ein Mensch, der seine Ziele gerne formuliert hat und der es mag, wenn ihm Zuversicht zugesprochen wird. Aber am Donnerstag, dem Tag zwischen Halbfinal und Final gingen Flavio und ich zusammen joggen. Da stellten wir beide fest: Zu besprechen gibt es nichts mehr. Es ist alles klar.

Wie präsent ist Ihnen der Gold-Lauf?

Als Fakt? Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Ich versuchte schon auf der Bahn, mir des Ganzen, des Titelgewinns, bewusst zu werden. Gelungen ist mir dies bedingt. Das braucht wohl noch Zeit.

Und das Rennen selber?

Ähnlich unbestimmt. Unbewusst nahm ich sicher vieles auf. Aber diese Eindrücke kann ich nicht alle abrufen. Zwischen Hürde 5 und 9 gibt es keine Erinnerungen. Nichts. Ab dem zweitletzten Hindernis aber machte sich eine einzigartige Klarheit breit: Ich hatte die Führung übernommen. Und in diesem Augenblick nahm ich die wahnsinnige Unterstützung des Publikums wahr. Ein letzter, gewaltiger Motivationskick. Es gibt nichts Schöneres, Aufbauenderes. Dieses Gefühl trug mich.

Glückte mit dem Sieg und den 48,96 Sekunden der perfekte Lauf?

Nein, das würde ich nicht sagen. Aber es war ein guter Mix zwischen Vorlauf und Halbfinal. Bei diesen Bedingungen war’s wohl das Optimum. Vor allem erfreulich war, dass am Schluss noch Kraft dagewesen ist.

Ihre Leichtathletik-Karriere ist vergleichsweise kurz. Wie erklären Sie sich den raschen Aufstieg?

Erfolg ist mir immer wichtig gewesen. Weil sich dieser im Fussball mit meinem Studienwunsch (Medizin) nicht hätte kombinieren lassen, suchte ich mit 19 nach Alternativen. Der Zehnkampf faszinierte mich. Ich sagte mir: Da musst du nicht absolute Spitze sein, um vorne mitmischen zu können. Werner Dietrich (die Ostschweizer Trainerkoryphäe) beobachtete mich sodann: bei Einsätzen im Hochsprung, über 110 m Hürden, 200 m und 400 m. Das führte zur Idee mit den 400 m Hürden, und der Versuch glückte nicht schlecht.

Der Hürdenlauf faszinierte Sie?

Ja, es passte einfach. Ich brachte koordinative Fähigkeiten mit, Rhythmusgefühl, Ausdauer, Schnelligkeit. Rasch entwickelte sich eine Leidenschaft. Ich habe die Leichtathletik lieben gelernt. Zwar fehlte der Ball, aber sie ist ästhetisch, unabhängig der Leistung. Sie fordert Körper und Geist. In der Leichtathletik braucht es den Ehrgeiz, immer mehr zu geben. Nur dann gibt es Erfolg, Fortschritte, gute Leistungen, bereitet es Freude. Das unterscheidet die Leichtathletik vom Fussball. Mit einem Ball und zehn Kollegen macht’s immer Spass.

Wo sehen Sie Steigerungspotenzial?

Ich kann mich weiter verbessern, das ist klar. Erst fünf Jahre widme ich mich dieser Disziplin. Das ist vergleichsweise kurz, auch wenn ich der älteste EM-Finalist gewesen bin. Aber ich habe keine Leichtathletik-Grundschule, habe wohl noch keine 30 Rennen über diese Distanz in den Beinen. Da müssten rein logisch stabilere Läufe möglich werden. Müsste ich die Hindernisse schöner überwinden können. Sollten sich Fortschritte beim Avisieren, Antizipieren erarbeiten lassen.

Wohin soll Ihr Weg führen?

Perspektiven sehe ich deutlich. Ich will besser werden. Will weitere Titel gewinnen. Doch nur schon für Finalplätze an Weltmeisterschaften, Olympischen Spielen braucht es noch einiges. Und vielleicht gewinne ich auch auf einer solchen Stufe einmal eine Medaille. Das ist das sportliche Ziel. Ebenso möchte ich das Medizinstudium zügig abschliessen.

 

Nächster Artikel