(Bild: Chris Schneider)
Ich sass gerade in einer Konferenz, als ich am vergangenen Freitag die Nachricht vom Amoklauf in einer Schule in Connecticut las. Ich musste das Meeting verlassen, weil ich in Tränen ausbrach. Diese schreckliche Nachricht erinnerte mich an einen anderen schrecklichen Tag, den 20. April 1999, als in der Columbine High School mein Sohn Daniel ermordet wurde.
Ich musste auch daran denken, wie oft ich in den 13 Jahren, die seitdem vergangen sind, bei jedem neuen Amoklauf gedacht habe: «Oh Gott, nicht schon wieder!» Aber ich werde jetzt nicht mehr fragen: «Wie konnte das nur geschehen?» Denn für ein Land, dass nichts gegen solche fürchterlichen Vorfälle unternimmt, obwohl sie immer wieder passieren, kann ein Amoklauf schwerlich eine Überraschung sein. Da hilft es auch nichts, wenn sich alle fragend am Kopf kratzen und überlegen, was nun zu tun sei.
Viele Amerikaner wollen die eigentliche Ursache nicht wahrhaben. Sie konzentrieren sich vor allem auf das besondere Krankheitsbild des Täters, um damit zu erklären, dass schärfere Waffengesetze den Amokläufer nicht gestoppt hätten. So gehen sie der grossen Frage aus dem Weg: Warum gibt es in den USA so viele Schiessereien?
Jede Ausrede recht
Das US-Gesundheitssystem ist damit gescheitert, diejenigen psychisch gestörten Menschen zu identifizieren, die potenziell gefährlich sind, um sie zu behandeln. Einige dieser Menschen wissen wahrscheinlich auch gar nichts über ihren Zustand. Andere Familien vermeiden eine Behandlung, weil sie zu teuer ist, oder weil sie altmodischerweise fürchten, dass sie dadurch stigmatisiert werden. Unterdessen erleichtern wir solchen gestörten Menschen den Zugang zu Waffen, die sie unbedingt haben wollen, um erst andere Leben auszulöschen, bevor sie sich dann selber töten.
«Das einzige Problem, das die US-Waffenindustrie kennt, ist der Mangel an Waffen, aber niemals ihre Existenz.»
Amerika hat es zugelassen, dass die Waffenindustrie mit Hilfe ihrer Lobbyisten die Waffengesetze geschrieben hat. Die Waffenlobby ist sehr gut darin, Ausflüchte für die vielen Schiessereien zu finden. Jede Ausrede ist recht, sei es vom fehlenden Schulgebet, sei es die Multikulti-Gesellschaft oder schlicht die «Wild West»-Tradition. Andere klischeemässige Sprüche lauten: «Nicht Waffen, sondern Menschen erschiessen Menschen.» Aber mit diesen Sprüchen löst man nicht das Problem.
Das einzige Problem, das die US-Waffenindustrie kennt, ist der Mangel an Waffen, aber niemals ihre Existenz oder gar ihre grosse Zahl. Sie fragen eher: «Warum waren die Lehrer denn nicht bewaffnet?» Für sie sind militärische Waffen in den Handen von Zivilisten kein Problem. Sie sehen die Sache so: Wir sind sicherer, wenn wir uns selbst schwerer bewaffnen. Nun ja: Wenn das so stimmen würde, müssten die USA die sicherste Nation der Welt sein. Aber das sind wir ganz offensichtlich nicht.
Der leichte Zugang zu Waffen in den USA ist ein Irrweg
Man hört immer wieder, es gebe keine einfachen Lösungen für das US-Waffenproblem. Das ist richtig. Aber wir können hierzulande noch nicht einmal vernüftig über die Waffengewalt diskutieren und schon gar nicht über Lösungsmöglichkeiten reden, ohne zu hören zu bekommen: «Das ist nicht jetzt nicht der richtige Zeitpunkt» oder «Wir dürfen die Rechte der vielen gesetzestreuen Waffenbesitze mit neuen Gesetzen nicht noch weiter einschränken» oder gar «das Tragen von Waffen ist ein garantiertes Verfassungsrecht.»
Es liegt auf der Hand, warum die westlichen Industrieländer ganz anders mit diesem Thema umgehen. Denn dort sind sich alle einig, dass der leichte Zugang zu Waffen, wie er in den USA möglich ist, ein verhängnisvoller Irrweg ist. Oder wie soll man es sonst nennen, wenn jedes Jahr 10’000 Menschen in den USA erschossen und weitere 70’000 durch Schusswaffen verletzt werden?
Ich jedenfalls habe die Schnauze voll von einem Amerika, das nichts tut. Das können wir besser.