«Ich habe gelernt hinzustehen – aber auch, mich nicht zu wichtig zu nehmen»

Nach über acht Jahren im Grossen Rat ist Schluss: Mirjam Ballmer verabschiedet sich aus der Basler Politik und öffnet ein neues Kapitel in ihrem Leben. Ein Gespräch über Abschied, die kommenden Regierungsratswahlen, Erwartungsdruck und vernachlässigte Balkonpflanzen.

Verabschiedet sich von Basel: Mirjam Ballmer zieht nach Fribourg.

 

(Bild: Nils Fisch)

Nach über acht Jahren im Grossen Rat ist Schluss: Mirjam Ballmer verabschiedet sich aus der Basler Politik und öffnet ein neues Kapitel in ihrem Leben. Ein Gespräch über Abschied, die kommenden Regierungsratswahlen, Erwartungsdruck und vernachlässigte Balkonpflanzen.

Politik ist Mirjam Ballmers Leidenschaft. Nun hört sie auf. Vor drei Monaten hat die 33-Jährige überraschend ihren Rücktritt aus dem Grossen Rat bekannt gegeben. Die Grossratssitzung vom kommenden Mittwoch wird ihre letzte sein, auch das Amt als Co-Präsidentin der Grünen Basel-Stadt gibt sie demnächst ab. Ballmer zieht zu ihrem Lebenspartner nach Fribourg.

«Ich freue mich auf diese Phase in meinem Leben, auch wenn der Anfang vermutlich nicht so einfach wird», sagt Ballmer im Interview.

Mirjam Ballmer, Sie ziehen sich aus der Basler Politik zurück. Gehen Sie mit einem guten Gewissen?

Ja, sehr.

Für Ihre Partei ist Ihr Rücktritt ein grosser Verlust – Sie galten lange als mögliche Nachfolgerin von Regierungspräsident Guy Morin.

Mag sein, dass man aufgrund meiner Funktion als Co-Präsidentin der Grünen Basel-Stadt vielleicht das Gefühl hat, dass ein Loch entsteht. Solche Löcher werden aber immer schnell wieder gefüllt. Ich mache mir keine Sorgen um unsere Partei, wir haben sehr gute Leute.

Waren Sie überrascht über die Reaktionen auf Ihren Rücktritt?

Dass mein Rücktritt einen gewissen Überraschungseffekt haben würde, war mir schon bewusst. Die Menge der Reaktionen hat mich aber doch erstaunt. Ich habe sehr viele persönliche Mitteilungen bekommen, was mich extrem gefreut hat.

Wann stand Ihr Entscheid fest?

Ich habe mich schon eine Weile mit der Frage beschäftigt. Schon beim Entscheid, für den Nationalrat zu kandidieren, war mir klar, dass ich – sollte dies nicht klappen – nachher eine neue Perspektive brauche. Der definitive Entscheid ist dann im Verlauf der zweiten Hälfte letzten Jahres gereift – und er ist mir nicht leicht gefallen. Ich mache sehr gerne Politik. Aber der Wunsch, auch noch eine andere Seite des Lebens zu sehen, mal eine andere Stadt kennenzulernen oder eine grössere Reise unternehmen zu können, wurde immer stärker. Ich freue mich auf diese Phase in meinem Leben, auch wenn der Anfang vermutlich nicht so einfach wird.

«Ich sah die Erwartungshaltung nicht nur als Belastung an, sondern auch als Wertschätzung.»

Wehmut?

Da der Entscheid in mir gereift ist, bin ich überzeugt, das Richtige zu tun. Trotzdem fällt mir dieser Schritt nicht leicht, ja. Ich werde jedoch weiterhin oft in Basel sein. Den Job bei Pro Natura behalte ich – und auch für das BVB-Verwaltungsratsmandat bin ich bis Ende 2017 gewählt. Zudem sind Freunde und Familie hier. Es ist also vor allem ein Abschied von der Zeit als Parlamentarierin.

Haben Sie Ihren Rücktritt absichtlich so früh bekannt gegeben, um sich als mögliche Nachfolgerin von Guy Morin aus dem Rennen zu nehmen?

Ja.

Wie zu hören ist, wollten Sie gar nie in seine Fussstapfen treten – alle gingen aber davon aus. Hatte man falsche Erwartungen an Sie?

Es ist nicht so, dass ich absolut keine Lust auf ein Regierungsamt habe. Ich mache extrem gerne Politik, ich möchte ein Exekutivamt in meinem Leben nicht ausschliessen. Aber in meiner jetzigen Lebenssituation ist ein solches Amt einfach nicht das Richtige. Ich möchte mich nicht bereits jetzt so stark einspuren lassen: Man hat in einem solchen Amt nicht mehr viele Freiheiten, eine hohe Belastung mental und zeitlich, ist stark exponiert und wird es nach dem Rücktritt bleiben. Obwohl mich kaum jemand fragte, gingen viele einfach davon aus, dass ich die klassische Karriere verfolge und das der nächste logische Schritt sei – dabei gibt es heute so viele Lebens- oder Karriereformen. Für mich war die Aussicht auf ein Regierungsratsamt nie der Grund für mein Engagement. Ich habe mich immer auf meine aktuellen Aufgaben konzentriert.

«Ich möchte ein Exekutivamt in meinem Leben nicht ausschliessen. Aber in meiner jetzigen Lebenssituation ist ein solches Amt einfach nicht das Richtige.»

Wie meinen Sie das?

In den bürgerlichen Parteien fördern die fast immer männlichen Parteiexponenten systematisch junge Männer, die dann auch Ämter bekommen. So zieht man die Leute bewusst nach. Es ist speziell, dass das Präsidium der Bau- und Raumplanungskommission des Grossen Rates seit drei «Generationen» bei der LDP ist – und erst noch in der gleichen Anwaltskanzlei (Kanzlei Vischer, Anm. d. Red.). Klar wurden die Leute auch immer vom Grossen Rat gewählt, aber es zeigt eben, dass diese Parteinetzwerke funktionieren.

Passiert das bei den Linken weniger?

Wir können diesbezüglich sicher etwas von den Bürgerlichen lernen. Bei uns läuft die Nachwuchsförderung unterdessen aber auch viel besser. Wir haben eine sehr aktive Jungpartei und binden diese auch bei uns ein. Es läuft aber weniger über einzelne Ziehväter oder -mütter, sondern mehr über die Parteistrukturen generell, das finde ich besser.

Die SVP will mithilfe von CVP, FDP und LDP den Sprung in die Regierung schaffen. Ist Basel bereit für einen SVP-Regierungsrat?

So wie sich die Basler SVP die letzten Jahre verhalten hat und sich auch in der Phase der Nomination präsentiert, ist die Partei nicht regierungsfähig. Ich sehe auch keinen valablen Kandidaten – geschweige denn eine Kandidatin, die sich mit politischen Themen hervorgetan hätte.

Was würde bei einer bürgerlichen Mehrheit in der Regierung anders?

Es würde sehr viel auf dem Spiel stehen. Vor allem im sozialen und im ökologischen Bereich wären viele Errungenschaften von Rot-Grün, an die sich die Leute vielleicht schnell gewöhnt haben oder die schnell als selbstverständlich angesehen werden, gefährdet. Die Sozialleistungen wurden in Basel-Stadt trotz der Zunahme der Fälle nie abgebaut, die Familienmietzinsunterstützung beispielsweise konnte sogar ausgebaut werden. Oder die Energiegesetzrevision würde unter bürgerlicher Hand sicher nicht so fortschrittlich ausfallen. Auch Sparmassnahmen beim Staatspersonal wären unter einer bürgerlichen Mehrheit rasch realisiert. Man sieht ja im Grossen Rat immer wieder die Absichten der Bürgerlichen: Sie wollen um jeden Preis sparen.

Gab es auch Diskussionen, die Ihnen auf die Nerven gingen?

Ja, die ewige Parkplatzdiskussion. Oder wenn falsche Zusammenhänge konstruiert werden wie bei der verkehrsfreien Innenstadt und dem Ladensterben. Das ist so realitätsfremd und nicht mehr nachvollziehbar.

Sie haben jung mit der Politik angefangen. Inwiefern hat die Politik Sie eigentlich verändert?

Ich habe sehr viel gelernt in dieser Phase. Als Co-Parteipräsidentin etwa, strategisch für die Partei zu denken und auch Geduld zu haben, wenns mal nicht genau so läuft, wie man es geplant hat. Ich habe auch gelernt, für etwas hinzustehen – aber auch, sich wieder zurückzunehmen und sich nicht zu wichtig zu nehmen. Es hat viele positive Veränderungen geben, von denen ich als Person viel profitieren konnte.

Gar nichts Negatives?

Man muss aufpassen, dass man sich nicht völlig in einer politischen Kapsel bewegt. Man ist den anderen oft drei Schritte voraus, weil man alle Geschäfte schon mehrfach diskutiert hat und muss achtgeben, dass man auch beim dritten Mal die Argumente der anderen nochmals prüft. Politik ist ein bisschen eine eigene Welt – es ist deshalb wichtig, dass man den Fuss sonst noch irgendwo in der Gesellschaft hat.

«Bis jetzt konnte ich nicht mal meine Pflanzen auf dem Balkon pflegen.»

Konnten Sie denn nicht mehr sich selber sein?

Doch für mich bin ich ich selber geblieben, ob das Umfeld das auch so wahrnimmt, kann ich nicht beurteilen. Meine Möglichkeiten und Freiheiten für Spontanes wurden natürlich eingeschränkt. Ich habe gemerkt, dass ich mir selber manchmal zu wenig Sorge getragen habe in dieser Zeit. Ich war teilweise so im Fahrwasser, dass ich kaum mehr abschalten konnte. Die ständige Verfügbarkeit ist eine Belastung. Da kann ich noch lernen, besser damit umzugehen.

Was werden Sie nun mit so viel Zeit machen?

Ich freue mich, künftig wieder regelmässig Sport machen zu können, Zeit für mich, für kulturelle Anlässe, richtige Ferien, meinen Partner und meine Freunde zu haben. Ich kann mir auch gut vorstellen, mich in einem Verein zu engagieren, zum Beispiel im Bereich der Flüchtlingshilfe oder im Urban Gardening. Bis jetzt konnte ich nicht mal meine Pflanzen auf dem Balkon pflegen. Ob ich in Fribourg wieder in die Politik einsteige, lasse ich im Moment offen.

Und in zwölf Jahren kommen Sie dann als Regierungsrätin nach Basel zurück?

(lacht). So weit plane ich wirklich nicht!

Mirjam Ballmer

Mirjam Ballmer rückte im Dezember 2007 für die damalige Nationalrätin Anita Lachenmeier in den Grossen Rat nach und war dort Mitglied der Bau- und Raumplanungskommission. Die 33-Jährige arbeitet als Projektleiterin für Naturschutzpolitik bei Pro Natura und ist bis im April Co-Präsidentin der Grünen Basel-Stadt. Zudem ist sie Verwaltungsrätin der BVB.

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