Für den Marokkaner Hakim Lahbati ist die Schweiz das Land, das ihm das Leben gerettet hat. Zum Dank dafür hat er beschlossen, zu Fuss – und mit einer Botschaft – die Schweiz zu umrunden. Eine Geschichte wie aus dem Märchenbuch.
Am Samstag, den 27. Juli feiert Hakim Lahbati seinen 48. Geburtstag. Dass er das kann, verdanke er der Schweiz, sagt er. Ohne die Hilfe, die man ihm hier zuteil kommen liess, wäre er längst tot.
Es war anfangs 1997, der Marokkaner Lahbati lebte mit Frau und Kind in Saudiarabien und arbeitete dort als Goldschmied, als er plötzlich sehr krank wurde. Er habe kaum mehr Treppen steigen können, sagt er, und am Körper hätten sich Ödeme ausgebreitet. Notfallmässig kam er ins Spital, wo man eine schwere Niereninsuffizienz (fortschreitendes Nierenversagen) feststellte. Das könne man medikamentös behandeln, sagten ihm die Ärzte, doch sein Zustand verbesserte sich nicht. Seine Familie und seine Freunde organisierten den Heimflug nach Marokko.
Im Spital in Casablanca erfuhr Hakim Lahbati, dass er nur mittels Dialyse (Blutreinigungsverfahren) überleben könne. Und letzlich eine Nierentransplantation unausweichlich sei. Nach zwei Monaten Dialyse-Behandlung, dreimal die Woche, waren seine Ersparnisse nahezu aufgebraucht. Wie viele Marokkaner hatte er keine Krankenversicherung, und für eine einzige Dialyse bezahlte er etwa 470 Franken, dazu kamen noch die Kosten für die Medikamente. Für Lahbati stand fest: Sein Leben ging zu Ende. «Aber ich wollte nicht, dass meine Familie mir beim Sterben zusah.» Er entschied sich, seine Heimat zu verlassen, und die ihm verbleibende Zeit allein zu verbringen. Erste Station sollte Genf sein, wo sein Bruder lebte. «Von da aus wollte ich zum Wandern in die Berge.» Es kam anders.
Der unbekannte Retter
In Genf angekommen, sass er am Seeufer. Da habe ein Mann ihn in seiner Muttersprache angesprochen: Er sehe sehr schlecht aus, ob er ihm helfen könne. Hakim Lahbati erzählte ihm seine Geschichte. Worauf der Mann geantwortet habe, das sei noch nicht das Ende. Er solle sich hierhin wenden, und er drückte ihm einen Zettel in die Hand. «Er hatte mir die Adresse vom Roten Kreuz in Genf aufgeschrieben.» Als Lahbati vom Zettel wieder aufblickte, war der Mann verschwunden. «Ich habe ihn nie mehr gesehen und bis heute frage ich mich, wer das war.»
Beim Roten Kreuz sei er gut aufgenommen worden. Man half ihm beim Stellen eines Asylantrags, der aufgrund seines Gesundheitszustandes auch schnell und positiv beurteilt wurde, man organisierte Lahbatis Überweisung ins Dialysezentrum des Basler Unispitals und besorgte ihm ausserdem eine kleine Wohnung in Basel. Die Kosten übernahm das Schweizerische Rote Kreuz.
Bruder spendete die Niere
Hakim Lahbati begann, ins Leben zurückzukehren. Die Zeit zwischen den Dialysen füllte er mit Hilfsarbeiterjobs, mit Deutschbüffeln und Joggen. Er lernte neue Leute kennen, baute sich einen Freundeskreis auf. Und die Zeit während der Dialysen – jeweils viereinhalb Stunden – nutzte er zum Lesen und Meditieren. «Um meine innere Ruhe zu finden – die Quelle für die Kraft, die ich benötigte.» Denn eine Dialyse-Behandlung, sagt er, zehre enorm an den körperlichen Kräften. Neun Jahre lang dauerte die Dialysebehandlung, dann hatte sich Lahbatis Gesundheitszustand so weit stabilisiert, dass er für eine Nierentransplantation parat war. Als Spender hatte sich sein Bruder in Genf angeboten.
Am 27. Februar 2006, nachdem die Kompatibilität von Organspender und -empfänger abgeklärt war, fand die Operation statt. Sie verlief ohne Komplikationen, eine Woche später konnten beide Lahbatis das Spital verlassen. «Ich fühlte mich unglaublich stark», sagt Hakim Lahbati, «wiedergeboren». Gleichzeitig war da plötzlich auch die Frage, was er denn nun mache mit der vielen gewonnenen Zeit. «Die letzten Jahre waren durch die regelmässige Dialyse und der Arbeit dazwischen klar strukturiert.»
Lahbati entschloss sich, eine Ausbildung zu machen. Und zwar im Pflegebereich. Er habe von dort so viel erhalten, sagt er, dass er etwas zurückgeben wollte. Er stieg bei der Rehab Basel ein, zunächst als Pflegehilfe, danach absolvierte er die Ausbildung zum Pflegeassistenten und nun, im August, beginnt er die Lehre als Fachmann Gesundheit.
Reborn to run
Auch beim Joggen hat er stetig zugelegt. Das Laufen war in den Jahren hier in Basel seine grosse Leidenschaft geworden. Durch die Langen Erlen, dem Rhein oder der Birs entlang, er nahm an Marathons teil, trat dem Basler Lauftreff bei – und vor vier Jahren kam ihm die Idee, dass er damit auch etwas tun kann, was er als «aus tiefstem Herzen», wie er sagt, tun möchte: sich bei der Schweiz für das wiedergewonnene Leben bedanken. «Dafür möchte ich die ganze Schweiz umarmen.»
Weil das aber mit den Armen etwas schwierig ist, beschloss er, sie zu Fuss zu umrunden. In vier Etappen, jeweils eine Ferienwoche pro Jahr, wollte er laufen und ausserdem in den lokalen Spitälern die Patienten auf den Dialysestationen besuchen, «um ihnen zu sagen, dass sie die Hoffnung nicht verlieren sollen». «Reborn to run», so der Name von Lahbatis Aktion.
Drei Etappen hat er inzwischen hinter sich, bei der vierten und letzten – von Airolo nach Genf – hatte das schlechte Wetter vor zwei Wochen seinen Plan durchkreuzt. Der Nufenenpass, den er auf dem Weg ins Wallis überqueren musste, war wegen des Schneefalls geschlossen. Aber Hakim Lahbati hat gelernt, nicht so schnell aufzugeben: Er läuft nun die vierte Etappe ebenfalls in Etappen, an den arbeitsfreien Wochenenden.
Am Freitag ist er nun aufgebrochen, um vom Tessin aus den Nufenenpass unter die Füsse zu nehmen. Bis nach Martigny im Wallis will er es schaffen, bevor er nach Basel zurückkehrt. Montag bis Freitag arbeitet er, dann reist er nach Martigny zurück, wo er den Lauf wieder aufnimmt. So solls an den kommenden Wochenenden weitergehen bis nach Genf, wo er vor vier Jahren gestartet ist und wo er am 27. Juli, seinem 48. Geburtstag, ankommen will.