Zur Enttäuschung des «Ziegelwerfers» schickt das Basler Strafgericht diesen in eine stationäre psychiatrische Behandlung. Der Prozess selber war zum Teil trotz aller Ernsthaftigkeit ziemlich unterhaltsam.
Es begann mit einem fröhlichen «guete Morge mitnand». Im Sweatshirt trat Jerry K.* in den Gerichtssaal, ein Blick zu den zahlreichen Medienvertretern – und los ging es. Gerichtspräsident Marc Oser erkundigte sich nach der finanziellen Situation des 32-Jährigen, der zurzeit noch im Gefängnis Bässlergut sitzt und dort so gut wie kein Geld braucht. Dieses hätte er auch in Freiheit nicht, eine IV-Rente ist das höchste, was er zu erwarten hat. Wichtig war die Frage nach dem Geld darum, weil die «Ziegel-Aktion» einen rechten Batzen kostete.
Noch wichtiger als die Finanzen aber war die Frage: Was tun mit dem Mann, der aus Angst, in die Psychiatrie gesteckt zu werden, im Mai 2011 gut zwei Tage lang eine ganze Stadt auf Trab hielt und als «Ziegelwerfer» in die Geschichte einging?
Ein narzisstischer Italiener
Psychiatrische Gutachter sind bei solchen Verhandlungen unerlässlich – und so kam er, der Fachmann, und erzählte von seinem Gutachten. Er diagnostizierte für Jerry K. eine kombinierte Persönlichkeitsstörung, eine paranoide Schizophrenie und eine narzisstische Persönlichkeitsstörung. Jerry K. konnte die Diagnosen weitgehend nachvollziehen, bloss bei der narzisstischen Persönlichkeitsstörung musste er intervenieren: «Ich bin Italiener», sagte er: «Kennen Sie einen Italiener, der kein Narzist ist?» Auch die Schizophrenie wusste er zu differenzieren, indem er bemerkte, dass doch in uns allen mehrere Persönlichkeiten steckten. «Sie sind ja abends im Ausgang und zu Hause auch nicht dieselben Personen wie jetzt im Gerichtssaal», sagt er den Richtern.
Bei der Verhandlung ging es nicht darum, eine Strafe für Jerry K. zu bestimmen. Ziel war es, eine geeignete Massnahme zu definieren für den Mann, dessen Schuldunfähigkeit erwiesen ist. Vom Gutachter über den Staatsanwalt bis zum Verteidiger war man sich einig: Für Jerry K. wäre es das beste, in eine forensisch-psychiatrische Abteilung eingeliefert zu werden – was schliesslich auch so bestimmt wurde. Für den ehemaligen Dachdecker Jerry K. wird das keine neue Erfahrung sein, er hat jahrelange psychiatrische Behandlungen hinter sich – stationäre wie ambulante. Was aber nicht heisst, dass ihm die Vorstellung von einem erneuten Psychiatrieaufenthalt behagt. Im Gegenteil. Und genau aus dieser Angst heraus passierte im Mai 2011, was passierte.
Jerry K. warf aus Trauer über das Ableben seiner Goldfische und aus Frust über seine Erkrankung Gegenstände aus dem Fenster – und rief so die Polizei auf den Plan. Diese wollte sich Zutritt zu seiner Wohnung verschaffen, was für Jerry K. gleichgesetzt war mit: ihn «wegen der Vorgeschichte» wieder in die Psychiatrie einweisen. «Ich wollte mich schützen und kletterte darum aufs Dach.» Er bestritt nicht, zuvor Dinge aus dem Fenster seiner Wohnung geworfen zu haben. Bloss für die Bierdose, die auf der Strasse landete, sei er nicht verantwortlich. Ebenso unwahr sei, dass er das Aquarium aus dem Fenster geworfen habe. Diesen Punkt korrigierte das Gericht zum Schluss der Verhandlung. Und sprach Jerry K. vom Vorwurf der versuchten einfachen Körperverletzung frei. Erwiesen seien jedoch die Punkte Sachbeschädigung, Störung von Verkehr und Allgemeinheit und Drohung und Gewalt gegen Beamte.
…und ein intelligenter Siech
Zurück zum Frühling 2011. Der «Ziegelwerfer» tat vom Dach aus, was der Name sagt – er warf Ziegel auf die Bruderholzstrasse im Gundeli. Und verletzte einen Polizisten leicht an der Schulter, weshalb er von diesem Punkt nicht freigesprochen wurde. Das Gericht glaubte ihm aber, dass es nie sein Ziel gewesen sei, jemandem zu schaden. «Ich wollte vermeiden, dass man mich gewaltsam vom Dach holt.» Gegen eine weitere ambulante Behandlung indes hätte er nie etwas einzuwenden gehabt, selbst wenn er manche der verschriebenen Medikamente nicht ganz regelmässig eingenommen habe. Auch im Vorfeld der «Ziegel-Aktion» setzte er Medikamente ab und provozierte so eine Psychose. Zu stark seien die Medikamente teilweise gewesen. «Wie Beton im Kopf.»
An der Verhandlung wurde schnell klar, dass Jerry K. recht hat, wenn er sagt: «Ich bin eigentlich ein intelligenter Siech.» Offenbar hat er es sogar geschafft, als «Ziegelwerfer» zum heimlichen Star der Polizei zu werden. Die Sondereinheit bat ihn nach dem Einsatz, einen Ziegel zu signieren. Dennoch: Eine Wiederholung der «Ziegel-Aktion» will niemand. Doch gemäss den Fachleuten würde ein hohes Rückfallrisiko bestehen, käme Jerry K. jetzt auf freien Fuss. Die Wahrscheinlichkeit, Dritte zu gefährden, sei gross, hiess es vom Gericht. Darum müsse Jerry K. nun dorthin zurück, wo er nie mehr hin wollte.
Die Zivilforderungen hingegen wurden abgewiesen. Jerry K. wird wohl nie über ein geregeltes Einkommen verfügen.
*Name geändert