Ankara steht beim Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) abseits. Offiziell begründet die Regierung ihre Zurückhaltung mit der Sorge um das Leben von 49 türkischen Geiseln, die sich in der Gewalt des IS befinden. Es werden aber auch Anschläge der Jihadisten befürchtet, die in der Türkei über ein schlagkräftiges Netzwerk verfügen.
Sieben Bundeswehrsoldaten werden an diesem Freitag in den Nordirak aufbrechen, um Kämpfer der kurdischen Peschmerga-Armee im Umgang mit deutschen Waffen für den Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) auszubilden. Unterdessen steht die Türkei, die eine 1200 Kilometer lange gemeinsame Grenze mit dem Irak und Syrien hat, weiterhin abseits – obwohl die Jihadisten immer näher kommen. Am Donnerstag soll der IS in einem Blitzangriff 16 kurdische Ortschaften unmittelbar an der Grenze zur Türkei eingenommen haben.
Dabei könnte die Türkei mit der südtürkischen Nato-Luftwaffenbasis Incirlik, auf der sich seit den 1950er-Jahren auch ein Stützpunkt der US Air Force befindet, einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen den Islamischen Staat leisten. Aber Ankara verweigert den Bündnispartnern die Nutzung des Flugplatzes. Man will mit dem Kampf gegen die Jihadisten nichts zu tun haben.
IS hält 49 türkische Konsulatsangestellte als Geiseln
Vizepremier Yalcin Akdogan begründete diese Haltung kürzlich mit dem Argument: So lange der Islamische Staat 49 Geiseln festhält, die bei der Erstürmung des türkischen Konsulats im nordirakischen Mosul Anfang Juni verschleppt wurden, seien der Türkei die Hände gebunden. «Die Geiseln sind unsere oberste Priorität, jedes Leben eines unserer Bürger ist für uns sehr wichtig», so Akdogan.
Zuvor hatte bereits Staatspräsident Tayyip Erdogan erklärt: «Das Leben der 49 Geiseln ist, was für uns Bedeutung hat.» Im Klartext heisst das: Die türkische Regierung ist erpressbar. Und nicht erst seit der Geiselnahme von Mosul. Lange genossen die islamistischen Kämpfer im türkisch-syrischen Grenzgebiet praktisch freies Geleit. Sie konnten die Südtürkei als Ruhe- und Rückzugsraum nutzen.
Der Verdacht steht im Raum, die Türkei habe die Terrormiliz sogar aktiv mit Waffen unterstützt, in der Hoffnung, den Sturz des Assad-Regimes beschleunigen zu können.
Dutzende Terrorzellen zu Anschlägen in der Türkei bereit
Ankara weist diese Vorwürfe zwar zurück. Unbestreitbar ist aber, dass die Türkei lange die wichtigste Transitroute für Kämpfer war, die aus westlichen Ländern in den Jihadisten zogen. Nach Erkenntnissen westlicher Geheimdienste führte der Weg vom Istanbuler Atatürk-Flughafen zu den syrischen Grenzübergängen Reyhanli, Öncünpinar und Akcakale.
Letzterer wird auf syrischer Seite vom IS kontrolliert. Inzwischen versucht die Türkei zwar, den Strom der Rekruten zu stoppen. Nach Angaben von Aussenminister Mevlüt Cavusoglu wurden etwa 1000 potenzielle Dschihadisten ausgewiesen und 6000 an der Einreise in die Türkei gehindert.
«Die Türkei folgt ihren nationalen Interessen und Werten, nicht dem, was andere Länder tun», sagt Vizepremier Akdogan.
Doch viele sind längst im Land. Und das dürfte, neben der Sorge um das Schicksal der Geiseln, der eigentliche Grund für die Zurückhaltung der Regierung in Ankara sein. Man befürchtet Racheakte der Jihadisten. In Istanbul und anderen türkischen Städten gibt es nach Geheimdiensterkenntnissen Dutzende IS-Zellen, die zu Terroranschlägen in der Türkei bereit und in der Lage sind.
Die Türkei folge «ihren nationalen Interessen und Werten, nicht dem, was andere Länder tun», erklärte Vizepremier Akdogan. Was das in der Praxis bedeutet, ist unklar.
Zwar wies Präsident Recep Tayyip Erdogan am Mittwoch Vorwürfe über ein mangelndes Engagement gegen den Islamischen Staat zurück. Es sei «nicht wahr», dass die Türkei der Terrormiliz Waffen liefere oder verwundete IS-Mitglieder verarzte.
Die Istanbuler Zeitung «Taraf» hat allerdings andere Erkenntnisse: Noch im August seien neun Jihadisten in der Türkei auf Staatskosten in einem Hospital versorgt worden, berichtete die Zeitung. In den Krankenakten, die «Taraf» nach eigenen Angaben einsehen konnte, seien die Nachnamen der Patienten nur mit Initialen angegeben.