Im Herzen des Juras und seiner Anhänger

Bern oder Jura? In Moutier ging es früher hart auf hart bei dieser Frage. Und heute? Ist alles ganz anders, sagt der schier unerreichbare Gemeindepräsident Maxime Zuber. Nur etwas bleibt unverändert: der Traum vom vereinten Jura.

(Bild: Michael Rockenbach)

Bern oder Jura? In Moutier ging es früher hart auf hart bei dieser Frage. Und heute? Ist alles ganz anders, sagt der schier unerreichbare Gemeindepräsident Maxime Zuber. Nur etwas bleibt unverändert: der Traum vom vereinten Jura.

Moutier, das Dorf der Freiheitskämpfer. Was wurde hier debattiert und gestritten in den wilden 70er Jahren. Damals schickte Bern schon mal seine Polizeigrenadiere hierher, um im Hôtel und Restaurant de la Gare für Ruhe zu sorgen.

«La Gare», das ist die Basis der Autonomisten. Oder war es zumindest. Das «Mouvement autonomiste jurassien» ist zwar weiterhin im Untergeschoss untergebracht (zu dem man neckischerweise per Rutschbahn gelangen kann), am Tag unseres Besuchs ist das Büro allerdings zu, weil die Mitarbeiter an der Grossratssitzung sind, wie es auf einem Zettel heisst. Noch muss man sich in Moutier nach Bern richten – falls einen kantonale Politik überhaupt interessiert.

Man kann sich aber auch ins schwer verrauchte und etwas trostlose Fumoir im Hôtel de la Gare setzen und sich erklären lassen, was aus der Türkei werden soll. Sie müsse sich öffnen, auch gegenüber Europa, erklärt der Journalist und frühere Hürriyet-Chefredaktor Ertrugul Özkök in einem Gespräch auf CNN Türk, das im Fumoir läuft.

Gekämpft wird nur am Fernsehen

Den Service im Saal übernehmen heute Abend ebenfalls Türken. Alte Jurassier hat es nur ein paar wenige. Sie stehen an der Bar und schauen Fernsehen. Fussball. Geredet wird nicht viel. Schwer vorstellbar, dass der Aufruhr hier in den 70er Jahren mal so gross war, dass die Polizei das Lokal mit Tränengas räumte.

Gekämpft wird heute nur beim Fussballmatch. Frankreich-Ukraine wird im vorderen Teil des Restaurants gezeigt. Die Franzosen und die Ukrainer stürmen 90 Minuten aufeinander los, der Schiedsrichter pfeift und pfeift und pfeift, sehr häufig Foul, dazwischen auch mal Offside (mal zu Recht, mal weniger). Irgendwie fallen in dem ganzen Hin und Her auch noch ein paar Tore (drei für Frankreich, wobei eines eigentlich irregulär war, ein reguläres dafür aberkannt wurde).

So schafft Frankreich die Wende also doch noch nach der blamablen 2-0-Niederlage beim Hinspiel in Kiew. Ein letzter Pfiff, Schluss, aus, der Rest ist Jubel, auf den Rängen, auf dem Platz, die Spieler tanzen und lassen ihren Trainer hochleben. «Frankreich ist Weltmeister», sagt der eine Gast an der Bar grinsend, zahlt und geht.

Übertriebene Emotionen

Manchmal gehen die Relationen eben etwas verloren, auch bei einem ehemaligen Weltmeister, der es gerade noch geschafft hat, sich für die nächste WM zu qualifizieren.

Wahrscheinlich hat man früher auch in Moutier manchmal etwas übertrieben. Und manchmal vielleicht sogar etwas sehr, vor allem in der Jurafrage.

Das ist heute anders, obwohl eine wichtige Abstimmung bevorsteht. Klar, man redet über die Forderung, dass ein Kantonswechsel des Berner Jura zum Kanton Jura geprüft werden soll. Klar, hängen auch einige Plakate in den Strassen, «Oui!», wagen wir uns doch! Schauen wir in die Zukunft! Klar, gilt Moutier auch heute noch als Zentrum der Autonomisten. Von einer grossen Begeisterung oder auch von Wut oder gar Hass ist im Städtchen mit seinen 7500 Einwohnern aber nichts mehr zu spüren.

Der charmante, aber leider nur sehr schwer erreichbare Monsieur Zuber

Warum? Was ist passiert, seit den 70er-Jahren? Das wollten wir von Maxime Zuber wissen, dem Gemeindepräsidenten von Moutier und starken Mann der Pro-Jurassier.

Also schrieben wir ihm eine E-Mail, zuerst auf Deutsch, was wahrscheinlich ein Fehler war, dann auf Französisch, was nach dem anfänglichen Fauxpas auch nichts mehr half, wir schickten ihm danach auch noch SMS und riefen ihn mehrfach an, keine Antwort. Wir dachten schon ans Aufgeben, da nahm Zuber das Telefon doch noch ab. «Excusez-moi», sagte er gleich zu Beginn. Er habe eben sehr viel zu tun in diesen Tagen. Darum habe er sich nicht gemeldet.

Pas de problème, Monsieur Zuber – falls Sie jetzt drei, vier Minuten Zeit für unser Fragen hätten.

Mais, bien sûr! Das Gespräch dürfe gerne auch länger gehen.

Wunderbar! Und wie hätten Sie’s denn gerne. Français ou allemand?

Français! Mit Freunden rede er sehr gerne Deutsch, aber sobald es politisch oder sonst «délicat» werde, dann nur Französisch. Auch im Berner Grossen Rat halte er seine Reden immer nur auf Französisch, denn sobald eine Minderheit ihre Sprache nicht mehr sprechen könne, verliere sie ihre Identität, ihre Existenz.

Also versuchen wir’s – auch wenn das Deutsch von Zuber möglicherweise etwas besser wäre als unser Französisch.

Mais non! Votre Français est parfait!

Zuber ist ein Charmeur, sehr eloquent, wie auch «Die Zeit» in einem interessanten Artikel über Moutier und die Jurafrage schon festgestellt hat. Zuber ist ganz anders als die jurassischen Kämpen aus den 70er-Jahren, auch wenn er sie als Kind schon bewundert hat und auch heute noch verehrt. «Die Ausgangslage ist eben eine ganz andere geworden», sagt Zuber: «Es geht nicht mehr um die Freiheit, um die Wahl zwischen dieser oder jene Flagge, sondern ganz einfach um einen Dialog, in dem wir die Frage klären können, wie unsere Region am besten organisiert werden kann.»

50,1 Prozent für den Kanton Jura!?

Für Zuber selbst steht die Antwort selbstverständlich schon fest. Der Berner Jura gehört zum Kanton Jura, weil der Berner Jura und der Kanton Jura eine gemeinsame Kultur haben und die entscheidenden Stellen in einem Staat nahe bei den Menschen sein müssen.

Das sieht laut Prognosen aber nur die Minderheit im Berner Jura so, Monsieur Zuber.

«Oh, da täuschen Sie sich aber!», sagt Zuber: «Der Kanton Jura wird mit 70 Prozent Ja stimmen, Moutier mit 60 und der Berner Jura mit 50,1.»

Monsieur Zuber, sind Sie möglicherweise ein hoffnungsloser Optimist?

Ganz und gar nicht, widerspricht Zuber: «Ich bin Mathematiker, ein Mann der Zahlen». Sagt es und lacht.

Weniger gerne hört er die nächste Frage: Inwiefern ist die Jurafrage auch eine Konfessionsfrage? Die Reformierten fürs reformierte Bern, die Katholiken für den Kanton Jura mit dem Bischofsstab im Wappen?

Na ja, sagt Zuber, bei den älteren Leuten spiele die Konfession möglicherweise schon noch eine gewisse Rolle. Aber bitte sehr. Auch in dieser Hinsicht habe sich in den vergangenen Jahrzehnten einiges verändert. «Oder wissen sie aufgrund meiner bisherigen Aussagen etwa, ob ich ein Katholik oder ein Reformierter bin? Sagen Sies mir: Für was halten Sie mich?»

Sie gelten als aufrechter Sozialist.

Genau, darum geht es: um Politik, um konkrete Fragen, nicht um Konfessionen oder Religionen, sagt Zuber: «Das zu vermischen, ist wie aus einem anderen Jahrhundert.»

Die Diskussion wird weitergehen

Aus dem letzten Jahrhundert – könnte man das nicht auch über die Forderung nach einem Kantonswechsel des Berner Jura sagen, in denen Allianzen und Zusammenschlüsse in ganz anderen Dimensionen ein grosses Thema sind, selbst in Moutier, im Hôtel de la Gare, wo man sich mit der künftigen Ausrichtung der Türkei beschäftigt?

Überhaupt nicht, sagt Zuber. Ihm gehe es nur darum, den institutionellen Rahmen den natürlichen Lebensräumen anzupassen. So möchte er den Jura in einem Europa der Regionen optimal positionieren, wie er den Medien früher schon mal gesagt hat.

Dieser Mann hat auf alles eine Antwort.

Wahrscheinlich wird das auch am Sonntag so sein, wenn sich herausstellt, dass er bei seiner Prognose über das Abstimmungsergebnis im Berner Jura möglicherweise doch etwas gar optimistisch war.

In diesem Fall könnte sich seine jurafreundliche Gemeinde sich immer noch überlegen, ob sie sich alleine dem Kanton Jura anschliessen möchte. Oder zusammen mit anderen wechselwilligen Gemeinden.

Auch dafür werden Monsieur Zuber viele gute Argumente einfallen. Und so wird er wohl auch in Zukunft nicht ganz einfach zu erreichen sein.

Die Bernjurassier haben die Wahl: Wollen sie dem Kanton Jura beitreten oder nicht? Davon handelt auch die Titelgeschichte «Die vergessene Schweiz» in der aktuellen Printausgabe.

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