Im innersten Zirkel der Macht – soll die Schweiz in den UNO-Sicherheitsrat?

Ein temporärer Sitz im Sicherheitsrat würde die Schweizer Präsenz auf dem internationalen Parkett sichtbarer machen. Und könnte dabei helfen, gemeinsam mit anderen Kleinstaaten notwendige Reformen innerhalb der Vereinten Nationen voranzubringen.

Recht statt Macht: Diese Haltung könnte die Schweiz mit mehr Präsenz am UNO-Hauptsitz in New York stärken.

(Bild: Keystone/Sergey Guneev)

Ein temporärer Sitz im Sicherheitsrat würde die Schweizer Präsenz auf dem internationalen Parkett sichtbarer machen. Und könnte dabei helfen, gemeinsam mit anderen Kleinstaaten notwendige Reformen innerhalb der Vereinten Nationen voranzubringen.

Die UNO hatte kürzlich einen runden Geburtstag. Dieser, der 70., blieb aber weitgehend unbeachtet. In der Schweiz ohnehin, weil man hier mit den Jubiläen von Morgarten und Marignano beschäftigt war.

Der UNO-Geburtstag erhielt so wenig Aufmerksamkeit wie derzeit der Weltsicherheitsorganisation an sich zuteil wird. Sie ist die grosse Abwesende im Iran-Abkommen, sie fehlt auch in Syrien und in der Ukraine und an vielen anderen Orten der Welt. Dafür gibt es zwei Hauptursachen: die Blockaden im Sicherheitsrat und das fehlende Geld.

Während das allgemeine Interesse in der Schweiz an der UNO-Politik nicht sehr gross ist, kam kürzlich doch eine Debatte zur keineswegs neuen Frage auf, ob sich die Schweiz bemühen soll, in der Periode 2023/2024 dem Sicherheitsrat anzugehören. Dieses wichtigste UN-Gremium setzt sich aus den fünf permanenten Vetomächten (USA, Russland, China, England und Frankreich) und zehn nicht-permanenten, nach einem regionalen Verteilschlüssel für zwei Jahre gewählten Mitgliedern zusammen.

Neutralität ist kein Hindernis

Der Sicherheitsrat ist das Herzstück der UNO. In Streitfällen, die den Weltfrieden gefährden können, fordert er in einem ersten Schritt die Parteien auf, den Konflikt mit friedlichen Mitteln zu lösen. In einer nächsten Stufe kann er wirtschaftliche Sanktionen verhängen und in einer weiteren Stufe auch militärische Zwangsmassnahmen beschliessen. Solche werden nach einem seit über zwei Jahrzehnten geltenden Verständnis auch von der Schweiz mitgetragen. 2001 bestätigte der Bundesrat auf Anfrage des ehemaligen Basler Nationalrats Remo Gysin, dass die Schweiz militärische Überflüge gestatte, die einen UNO-Beschluss zur Basis haben.

Ob die Schweiz je Mitglied des Sicherheitsrats werden soll, ist schon im Vorfeld des UNO-Beitritts von 2002 diskutiert und von den damaligen Beitrittsgegnern problematisiert worden. Dennoch beschloss der Bundesrat im Januar 2011 nach Konsultationen der massgebenden parlamentarischen Gremien, die Schweiz auf der Kandidatenliste der westlichen Regionalgruppe einzuschreiben. 

Nun liegt die Bewerbung um einen solchen Sitz zwar in der Kompetenz des Bundesrats, wagen will er einen solchen Schritt aber nur mit Rückenwind aus dem Parlament. Die Aussenpolitischen Kommissionen hatten ihrerseits Anhörungen mit Diplomaten aus neutralen Staaten (Österreich und Irland) durchgeführt. Diese gehörten, wie übrigens auch Belgien und Schweden, bereits mehrfach und problemlos dem Sicherheitsrat an.

Zwischen Eigeninteressen und Reformbedarf

Solche Befragungen, die man übrigens auch in anderen Fragen innerhalb der Schweiz im interkantonalen Vergleich machen kann, entsprechen der richtigen, leider aber noch immer viel zu wenig praktizierten Methode, Erfahrungen anderer zu verarbeiten, statt alte und überholte Dogmen zu rekapitulieren.

Bereits 2009 hatte der Bundesrat die wichtigsten Argumente für einen solchen Schritt vorgetragen und dabei zwischen dem nationalen Eigeninteresse und dem Interesse an einer Verbesserung der UNO unterschieden. Im ureigensten Interesse der Schweiz liegen die erweiterten Kontaktmöglichkeiten, die eine Mitwirkung im Sicherheitsrat mit sich bringen sowie die sichtbarere Präsenz der Schweiz auf dem internationalen Parkett. Hinzu kommt, dass die Schweiz im innersten Zirkel der Macht etwas lernen könnte.

Zugleich bemüht sich die Schweiz auch ohne spezifisch nationale Agenda seit einigen Jahren intensiv um die dringend nötige UNO-Reform. Seit zwei Jahren koordiniert die Schweiz, das heisst der Basler Spitzendiplomat Paul Seger, die 27 UNO-Mitglieder umfassende ACT-Gruppe (für Accountability, Coherence, Transparency). Diese verfolgt das Ziel, das Kompetenzgefälle zwischen Sicherheitsrat und Generalversammlung zu reduzieren, die fünf ständigen Ratsmitglieder zu einem Verzicht auf ihr Vetorecht in Fällen von Genozid, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu bewegen und dafür zu sorgen, dass bei gezielten Sanktionen die rechtsstaatlichen Prinzipien besser berücksichtigt werden.

Wider die Gefälligkeitsvetos

Der Reformbedarf ist offensichtlich. Gerade in den letzten Tagen hat Russland, bloss um seinen kleinen Freunden in der Republika Srpska einen Gefallen zu erweisen, mit seinem Veto die Anerkennung des Genozids von Srebrenica verhindert. Auch die USA sind immer wieder in der Palästinafrage mit Gefälligkeitsvetos zur Stelle. Mit der angestrebten Reform wäre dies nicht mehr möglich.

Zu den Verbesserungen würde ferner die Aufwertung des Generalsekretärs (im Moment ist es Ban Ki-moon) gehören, sie würde seine Wahl weniger von den Grossen abhängig machen und ihm mehr Kompetenzen zuweisen. Reformen des UN-Managements, der Grundlagen, Strukturen und Prozesse, drängen sich auf, denn der Aufgabenbereich der 193 Länder umfassenden UNO hat sich seit der Gründung der Organisation stark erweitert.

Das ist nicht nur eine betriebsökonomische Angelegenheit. Verbunden damit ist das Ziel, den Sicherheitsrat dahin zu bewegen, dass er in Zukunft den humanitären Fragen früher Beachtung schenkt und sich so ein Teil der teuren Einsätze von Friedenstruppen erübrigt.

Die Schweiz muss in der UNO einen mittleren Kurs zwischen überrissenen Weltverbesserer-Ambitionen und Schneckenhaus-Mentalität verfolgen

Was kann ein Kleinstaat wie die Schweiz in einer Grossorganisation wie der UNO zustande bringen? Die Schweiz muss einen mittleren Kurs zwischen überrissenen Ambitionen weltverbesserischer Art und isolationistischer Schneckenhaus-Haltung verfolgen. Sie muss sich um Allianzen bemühen und sich, wie sie es bereits tut, mit ähnlich eingestellten UNO-Mitgliedern zusammentun. Dazu ist eine Mitgliedschaft im Sicherheitsrat zwar nicht nötig, sie wäre aber förderlich – nicht nur in den angepeilten Jahren 2023/2024, sondern auch nach der temporären Aufwertung, die sich durch die Sicherheitsratsmitgliedschaft ergeben wird.

Nachdem der Bundesrat am 6. Juni 2015 eine entsprechende Botschaft dem Parlament zugestellt hat, warnen stockkonservative Kräfte mit ihren altbekannten Argumenten vor diesem als gefährlich eingestuften Schritt. Es gibt in der Schweiz Stimmen, die einen solchen Schritt – notabene nach 2022, also 20 Jahre nach dem UNO-Beitritt von 2002 – noch immer «überstürzt» finden.

Neutralität unter Mitsprache Russlands

Erwartungsgemäss meldete sich Alt-Diplomat Paul Widmer in solchen Fragen nicht zum ersten Mal zu Wort und warf dem Bundesrat in der NZZ vom 1. Juli vor, dass er bloss wegen «ein bisschen Prestige» die Glaubwürdigkeit der schweizerischen Neutralität beschädige und so einen zu hohen Preis für einen fragwürdigen Gewinn bezahle. Widmers zentrale Botschaft: «Für eine glaubwürdige Aussenpolitik brauchen wir mehr, nicht weniger Neutralität.»

Widmer räumt zwar ein, dass man zwischen den strengen Neutralitätspflichten im Fall eines Kriegs und den freiwilligen Neutralitätsvorleistungen zur Pflege der Glaubwürdigkeit unterscheiden muss. Indem er die Akzeptanz auch durch schwierige Mitglieder der Staatengemeinschaft (er nennt Russland und Israel) zu einem zentralen Punkt macht, räumt ausgerechnet der ansonsten gerne die schweizerische Unabhängigkeit hochhaltende Neutralitätsapologet solchen Mächten eine Art von indirektem Mitspracherecht ein, wie die Schweiz ihre Neutralität zu verstehen hat.

«San Francisco-Momente» nutzen

Zurück zur UN-Geburtstagsfeier, die vor einem Monat, am 26. Juni 2015, in San Francisco über die Bühne gegangen ist und wenig Beachtung gefunden hat. In Anwesenheit des Ortsbürgermeisters und des Gouverneurs von Kalifornien, der demokratischen Fraktionschefin Nancy Pelosi sowie einer Übersetzerin, die schon 1945 dabei war und der pakistanischen Kinderrechtsaktivistin und Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai hielt der wenig charismatische Generalsekretär Ban Ki-moon eine ziemlich spröde Kurzansprache.

Den geplagten Menschen dieser Welt rief er zu, dass sie nicht alleine seien, zudem verwies er auf bevorstehende Agendapunkte gegen die Weltarmut und die Folgen des Klimawandels. Zudem wurde ein Video ins Netz gestellt, in dem Schauspieler Michael Douglas als UN-Friedensbotschafter einige Gedanken zum Jubiläum äussert.

Der inspirierendste Gedanke war, dass es immer wieder «San Francisco-Momente» gebe, die man sich zu eigen machen müsse. Sicher muss die Institution auch nach 70 Jahren oder gerade nach 70 Jahren neuen Elan finden – oder präziser formuliert, es sind ihre Mitglieder und darum auch die Schweiz, die den nötigen Elan aufbringen müssen.

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