Leserkommentare im Internet sind oft rechts. «Islam ausrotten» heisst es in Foren, in denen sich auch SVP-Nationalräte tummeln. Ist das Netz von Rechten vereinnahmt? Ein Streifzug durch den alltäglichen Wahnsinn im Internet.
Mit weissem T-Shirt und braun gebrannten Muskeln posiert T.S.* auf seinem Facebook-Foto. Im Hintergrund das Auto einer Security-Firma. Er schreibt, seit zehn Jahren komme bei ihm der Groll hoch: «Bin ich der Einzige, der es schnallt, dass die Einwanderung schädlich ist?» In einem längeren Beitrag lässt er seinem Frust vollen Lauf. Warum man ausgerechnet die arrogantesten Völker in die Schweiz einlade? Wenigstens gabs die Masseneinwanderungsinitiative: «Endlich wachen sie auf, vollgeil!!!!» Doch die Initiative bringe nicht die gewünschte Wirkung, schreibt T.S. weiter. Man müsse endlich handeln, damit man «einen späteren garantierten Aufstand mit Toten verhindert». Die Linken sollen sich in Acht nehmen, «wenns brutal knallt». Jetzt könne man noch politisch handeln, später nur noch mit Gewalt.
Solche Äusserungen sind in diversen Facebook-Gruppen keine Ausnahme. Es ist der alltägliche Wahnsinn, der sich im Netz abspielt. Wer sich in Online-Foren oder Leserkommentaren bewegt, muss früher oder später zum Schluss kommen: Es wimmelt nur so von Rechtsextremen im Netz.
Ein Bericht auf 20minuten.ch, der steigende Spitalkosten beschreibt, hat vielleicht zehn Leserkommentare. Geht es um ein neues Asylzentrum, erscheinen schnell hundert Wortmeldungen. Wieso schreiben viele Leser nur dann, wenn es um Ausländer oder den Islam geht? Gibt es eine neue Rechte, die sich im Netz formiert? Oder sind es bloss ein paar Versprengte, die durch das Internet eine grösstmögliche Bühne erhalten?
Die Stimme der Protestwähler
Der Politologe Louis Perron, der in Zürich eine politische Beratungsfirma führt, hat eine Erklärung: «Ein Grund, weshalb SVP-Themen mehr kommentiert werden, liegt vermutlich darin, dass sich diese Wählerschaft klar gegen gewisse Dinge richtet.» SVP-Wähler seien oft klassische Protestwähler – gegen Ausländer, gegen hohe Steuern. Wähler der bürgerlichen Mitteparteien seien hingegen mehrheitlich «zufrieden mit dem Status quo, deshalb hauen sie auch weniger in die Tasten», meint Perron.
Wer einen Eindruck erhalten will, wie solche Leserkommentar-Fluten entstehen, findet schnell etwas bei 20minuten.ch oder Newsnet. Auffällig oft schreiben Leser SVP-Parolen in die Kommentare und klicken dann auf «Daumen hoch». Ein Text bei blick.ch beschäftigt sich mit Zäunen um Asylzentren. Ein Leser meint: «Die SVP hat recht.» Man müsse an die Bevölkerung denken und diese vor Kriminalität schützen. 2200 Leser stimmen diesem Votum zu, 400 lehnen es ab. Wie kommt dieses Verhältnis zustande?
Perron meint: «Ich kann mir vorstellen, dass ein Teil davon organisiert ist, ein anderer Teil ist spontan.» Organisierte Kommentare? «Man kann Leserkommentare organisieren, beziehungsweise kaufen», ergänzt Perron. Welchen Anteil diese an der Gesamtzahl der Leserreaktionen ausmachen, bleibt offen.
Auf der Hut vor Manipulationen
Bei 20minuten.ch ist man auf der Hut vor solchen Manipulationen. Grundsätzlich geht Laura Hüttenmoser, Leiterin der Community-Abteilung, davon aus, dass die Diskussionen echt seien. Es komme dennoch vor, dass versucht wird, «die Diskussionen zu manipulieren». Die Kommentierenden verwenden dann «oft dieselben Worte, Satzbausteine oder Argumente und schreiben zum selben Zeitpunkt. Unsere Freischalter bemerken dies, veröffentlichen jeweils einen Kommentar und löschen die andern.»
Der Online-Chef von «Blick», Rüdi Steiner, meint: «Ob die Kommentare organisiert sind oder nicht, das ist schwer zu sagen.» Dass SVP-Themen «für viel Resonanz» sorgen, kann er bestätigen. Die Erklärung dafür sieht er weniger in gezielten Manipulationen. Vielmehr in der «emotionalen Themenführung und hohen Betroffenheit», die solche Themen auszeichnen. Die SVP emotionalisiere wie keine zweite Partei. Am ehesten schaffen das vielleicht die Jungsozialisten (Juso) : «Auch hier gibt es daher immer viele Kommentare.»
In der SVP-Gruppe auf Facebook fallen Sätze wie: «Islam muss ausgerottet werden. So ein krankes Volk.»
Eine Meinungslawine bei Ausländer- und Islam-Themen kann man auch in sozialen Medien beobachten – Facebook ist dafür ein gutes Beispiel. In der SVP-Gruppe auf Facebook bricht eine neue Welle der Empörung aus. Eine Frau – sie sieht aus wie 50 und lächelt vor einem Palmenstrand ins Bild – teilt einen Artikel über islamische Rebellen. Es geht um den Schutz von Christen vor Muslimen – ein gefundenes Fressen für die Mitglieder. «Die vermehren sich wie die Chüngel», schreibt der Erste, ohne sachlichen Bezug zum Artikel. Ein anderer: «Wir können nur hoffen dass die irgendwann so viel sind, dass ihre Inzestrate sich noch steigert, und dann haben die nur noch behinderte Kinder.» Gemeint sind: Muslime. Bei einem anderen Beitrag fällt der Satz: «Islam muss ausgerottet werden. So ein krankes Volk.»
Pikantes Detail: Die Facebook-Gruppe, in der diese Sprüche fallen, trägt nicht nur den Namen der SVP, es sind auch etliche SVP-Nationalräte darin vertreten: Lukas Reimann, Yvette Estermann, Jean-François Rime und Dominique Baettig.
Zum Auskotzen ins Forum
Auf Anfrage reagieren die Parlamentarier gar nicht oder nehmen zurückhaltend Stellung: Man «bedauere solche Äusserungen», es sei «reine Provokation». SVP-Nationalrat Jean-François Rime gibt zu Protokoll, er habe «keine Kenntnis von dieser Gruppe». Wenig später verschwindet sein Name von der Mitgliederliste.
Die meisten Mitglieder der Gruppe sehen auf den Facebook-Fotos ganz freundlich aus. Es sind keine Glatzköpfe, die Bomberjacken und Springerstiefel tragen. Die Aussagen, die sie ins Netz schreiben, sind jedoch meist diskriminierend, oft rechtsextrem. Was sind das für Leute, die solche Sätze schreiben?
Samuel Althof, Leiter der Fachstelle für Extremismus und Gewaltprävention, kennt diese Leute. Er kennt sie nicht nur im virtuellen Raum, er trifft sich auch im wahren Leben mit ihnen. «Internet-Streetworking» nennt er das (siehe Interview hier). Er beobachtet eine starke Wut, die sich in solchen Internet-Foren entlädt: «Es wird behauptet, gewettert, gewütet und entwertet.» Bei bestimmten Personen frage er sich, «was diese Leute sonst noch während des Tages machen, ausser ihre Meinung in Foren kundzutun». Er kommt zum Schluss: «Diese Internet-Foren werden zu einem Ort, in welchen sich die User manchmal regelrecht auskotzen.»
Die grosse Röhre einer kleinen Minderheit
Solche Orte gabs früher auch schon. Man sagte dazu: Stammtisch. Am Online-Stammtisch funktioniert aber einiges anders. Der virtuelle Raum ist nur schwer fassbar, in der Regel schreibt man anonym, in Facebook-Gruppen fühlt man sich unbeobachtet, die Hemmschwelle sinkt. Vieles, was im Internet steht, würde in der Öffentlichkeit höchstens hinter vorgehaltener Hand gesagt. Wer in der realen Öffentlichkeit rechtsextreme Parolen von sich gibt, gerät schnell in Konflikt mit Polizei und Mitbürgern. Auf Facebook darf alles gesagt werden, heftige Äusserungen werden gar mit «Likes» goutiert. Es fehlt an sozialer Kontrolle.
Auf News-Seiten ist das anders. Dort wird genau hingeschaut. Beim Newsnet-Verbund, dem der «Tages-Anzeiger», die «Basler Zeitung» und die «Berner Zeitung» angehören, kommen täglich bis zu 6000 Leserkommentare zusammen. Davon werden zirka 70 bis 80 Prozent freigeschaltet. Christian Lüscher vom «Tages-Anzeiger» sagt, dass eine «Kerntruppe» die meisten Kommentare schreibe. Etwa 20 Prozent aller Kommentierer schreiben 80 Prozent der Kommentare.
Bei blick.ch sind es etwas weniger Kommentare als bei Newsnet: täglich rund 1600. Nur etwa 40 Prozent davon werden freigeschaltet. Bei 20minuten.ch wird ungefähr ein Viertel aller Leserkommentare nicht veröffentlicht. Manche schreiben in Dialekt, andere Kommentare beinhalten Werbung, und einige sind beleidigend oder diffamierend. Im Zweifel wird ein Kommentar nicht freigeschaltet, sagt die «20 Minuten»-Community-Abteilungsleiterin Laura Hüttenmoser. Bei heiklen Themen wie beispielsweise dem Palästina-Israel-Konflikt «hängen wir die Kommentar-Funktion nicht an», sagt Hüttenmoser.
Die Veranwortung der Journalisten
Die Kommentare in Online-Foren schlagen oft derart über die Stränge, dass plötzlich konkrete Bedrohungen im Raum stehen. Ein Beispiel dafür lieferte ein Artikel in der «Basler Zeitung» im November letzten Jahres. «Basler Muslime rufen zum heiligen Krieg auf», war der Titel, in dem es um das Verteilen von Koran-Schriften auf dem Claraplatz ging. Der Artikel kursierte in verschiedenen Foren und Blogs – unter anderem auch in dem rechtspopulistischen Portal pi-news (Politically Incorrect). Auf Facebook kommentierte jemand: «Man sollte mal mit 20 Personen, mit Axt und Baselballschläger, vor einem solchen Stand aufkreuzen und fragen: Ihr wollt Krieg? Das könnt ihr haben. Und dann alles zu Brennholz verarbeiten.» Ein anderer schrieb: «Raus mit dem Pack. Oder ins KZ!!!!»
BaZ-Autor Daniel Wahl sagt im Rückblick: «Den Bericht würde ich in dieser Weise nochmal so schreiben. Aber ich würde darauf achten, dass die Reaktionen schneller gescannt und diffamierende Aussagen sofort gelöscht werden.» Das Problem dabei: Reaktionen auf Facebook lassen sich nur mit viel Aufwand finden und löschen.
Wahl attestiert seinem Beitrag «kein einziges beleidigendes Wort». Extremismus-Experte Althof sieht das anders. Er fordert mehr Verantwortung von Journalisten, die über dieses Thema schreiben. Der Artikel von Wahl habe «gar das Potenzial, den Religionsfrieden zu gefährden».
Rechte Gewalt geschieht «spontan»
Sind Lesermeinungen eine Gefahr in der echten Welt oder sind es nur virtuelle Worthülsen, die im Netz verpuffen? Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) bestätigt auf Anfrage: «Grundsätzlich nimmt der NDB alle Gewaltandrohungen seitens Rechtsextremer ernst.» Dabei werden «auch Inhalte im öffentlich zugänglichen Bereich des Internets», also Facebook-Gruppen beispielsweise, beobachtet.
Welche Plattformen überwacht werden, darf NDB-Sprecherin Isabelle Graber nicht sagen. Sie weist jedoch darauf hin, dass «schon verschiedentlich Gewalttaten verhindert» werden konnten. Der Schwerpunkt liegt insbesondere auf Kundgebungen und anderen Treffen von gewalttätigen Rechtsextremen.
Der Nachrichtendienst des Bundes listet 35 Gewalttaten auf, die 2013 von rechtsextremer Seite verübt wurden.
Rechtsextreme Gewalttaten gibt es nur vereinzelt. In Basel gab es unlängst das Beispiel einer rassistisch motivierten Tat. Ein junger Mann attackierte einen 64-jährigen Mann aus Angola mit einem Messer.
Im aktuellen Lagebericht des NDB heisst es: Die rechtsextreme Szene trete «kaum mehr öffentlich und organisiert auf». Es gebe vereinzelt Gewalttaten, die «meist spontanen Charakter» haben.
Von Facebook an den Grill
Der NDB listet 35 Gewalttaten auf, die im Jahr 2013 von rechtsextremer Seite verübt wurden. Vom linksextremen Spektrum wurden 207 Gewalttaten registriert. Beide Seiten unterscheiden sich grundsätzlich: Linksextreme Gewalt richtet sich in erster Linie gegen den Staat, es handelt sich in den meisten Fällen um Sachbeschädigungen. Der NDB rechnet beispielsweise die Krawalle der Berner Partydemonstration «Tanz dich frei» (August 2013) zu linksextremer Gewalt. Rechtsextreme Täter gehen dagegen häufig spontan und unter Alkoholeinfluss auf Mitbürger los. Die Dunkelziffer ist in beiden Lagern hoch.
Wie rechte Kreise das Internet nutzen, um gewaltlos zu protestieren, zeigt ein Beispiel aus dem Kanton Aargau: In Aarburg sollen 90 Asylsuchende einquartiert werden, die Einwohner sind empört. Es folgt ein Schreiben an Regierungsrätin Susanne Hochuli (Grüne) und eine Kampagne im Netz. Anwohner Felix Grendelmeier gründet eine Facebook-Gruppe «NEIN! zum Mega-Asylzentrum in Aarburg», schnell hat die Gruppe 1500 Mitglieder. Über die Gruppe verabreden sich die Aarburger zu einer Protest-Grillparty. Hochuli reagiert auf Twitter mit Humor: «Ich grilliere zwar gerne, aber nicht gegen Asylsuchende.»
Schliesslich treffen sich über 300 Aarburger vor der geplanten Unterkunft und demonstrieren gegen den Einzug der Asylsuchenden. Ihr Protest war ein Erfolg: Wenig später schaltete sich der Gemeindeamman Hans-Ulrich Schär ein und blockierte den Einzug. Die SVP Aargau fordert nun den Rücktritt von Regierungsrätin Hochuli. Bis auf Weiteres bleibt unklar, ob die Asylsuchenden in Aarburg einziehen werden – sicher ist: Sie werden nicht mit offenen Armen empfangen.
*Name der Redaktion bekannt.