Strukturschwäche oder fehlende Arbeitsmoral? Der Baselbieter Landrat verschleppt Geschäft um Geschäft.
Der Ton im Baselbieter Landrat hat sich in den letzten Wochen drastisch verschärft. Mit ungewohnt deutlichen und harschen Worten haben die Landräte von links bis rechts den Vorsteher der Volkswirtschafts- und Gesundheitsdirektion (VGD), Peter Zwick kritisiert. Ein Sonderbericht der Geschäftsprüfungskommission (GPK) hat einiges zu Tage gefördert, im Landrat war die Rede von «Misswirtschaft» und «Manipulation», bisweilen verabschiedete sich die sachliche Diskussion um offensichtliche Missstände im VGD in ein Hickhack, geprägt von persönlichen Animositäten.
Es ist einfach, an anderen Kritik zu üben. Zur Selbstkritik hingegen bedarf es einiges an Reflexionsleistung und Selbstbewusstsein. Wie steht es eigentlich mit dem Leistungsausweis des Landrates? Wie effizient wird in den Sälen des Baselbieter Parlaments gearbeitet? Der kritische Beobachter könnte sich beispielsweise die Frage stellen, warum bezüglich der parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) zum VGD noch kein Entscheid gefallen ist. Das entsprechende, von den Grünen eingereichte, Verfahrenspostulat datiert vom 21. Juni. Inzwischen hat der grüne Fraktionspräsident Klaus Kirchmayr noch ein zweites solches Postulat eingereicht. Die Forderung: Für Entscheide zu PUKs sollen klar definierte Behandlungsfristen geschaffen werden. Damit will Kirchmayr «Verzögerungsmanöver» verhindern.
Grosser Rat ist schneller
Ein weiteres prominentes Geschäft – dessen Relevanz im Vergleich zur PUK durchaus diskussionswürdig ist – wird schon länger verschleppt beziehungsweise hat es noch nicht einmal auf die Traktandenliste geschafft: die Umbenennung der St. Jakobshalle in «Roger Federer Arena». Das Geschäft wurde zeitgleich im Basler Grossen Rat eingereicht, dessen abschlägiger Entscheid fiel vor rund einer Woche. Geduld scheint eine der wichtigsten Eigenschaften zu sein, die ein Landrat heute haben muss. Auf die Behandlung ihrer Vorstösse warten die Parlamentarier regelmässig Monate oder gar Jahre.
Ist der Landrat faul? Werden unbliebsame Geschäfte gar absichtlich verschleppt? Zu den deutlichsten Kritikern der landrätlichen Arbeitsmoral gehört der grünliberale Fraktionspräsident Hans Furer. Er sieht zwei Hauptursachen für die ineffiziente Arbeitsweise. Im Landrat herrsche eine Kultur ohne jede Dynamik, «vieles ist, wie es ist, weil es schon immer so war». Es sei kein Wille da, Veränderungen herbeizuführen, sagt Furer.
«Die Geschäfte der Regierung werden bevorzugt behandelt.»
Verändern müsste man so einiges, ist der Anwalt überzeugt. «Angefangen bei der Traktandenliste der Landratsitzungen, deren Aufbau man dringend überdenken müsste», sagt Furer. Auf der Liste werden nämlich die Geschäfte aus dem Regierungsrat bevorzugt, sprich zuerst behandelt. Meist gelingt es den Landräten nicht, in der fünfstündigen Sitzung die ganze Liste abzuarbeiten. Die nächste Sitzung beginne dann aber nicht etwa dort, wo zuletzt aufgehört wurde, sondern wiederum mit Geschäften der Regierung, sagt Furer. «Dies führt zu einer Ungleichbehandlung der Geschäfte.»
Auch über die Sitzungsdauer ist Furer unglücklich, er habe auch schon Abendsitzungen vorgeschlagen, grossen Anklang fand er aber nicht mit seiner Idee. Ein Vergleich von Sitzungsdauer und Häufigkeit des Landrates mit derjenigen des Basler Grossen Rates zeigt deutlich: Die Grossräte sitzen länger und häufiger, nämlich rund 24 Mal jährlich für sechs Stunden gegenüber knapp 20 Sitzungen à fünf Stunden in Liestal.
Schwerfällig und ohne Disziplin
Der Fraktionspräsident der Grünen, Klaus Kirchmayr, sieht die Ursache für die Ineffizienz des Landrates ebenfalls in den Strukturen: «Der Landrat ist nicht faul, sondern einfach ein wenig schwerfällig organisiert.» Er spüre wenig Wille, an Bestehendem zu rütteln. Ihm fehle beispielsweise eine Möglichkeit, unbestrittene Vorlagen im Schnellverfahren zu behandeln – etwas, das im Grossen Rat regelmässig geschieht. Kirchmayr würde es zudem begrüssen, wenn künftig auch ausserhalb von Budgetdiskussionen vermehrt eine Beschränkung der Redezeit bestehen würde. «Allerdings begünstigt eine solche Regel diejenigen, welche ohnehin ständig das Wort ergreifen», während die unerfahreneren Landräte eher benachteiligt würden, sagt Kirchmayr.
Den Umstand, dass in letzter Zeit die persönlichen Vorstösse aus dem Landrat zugenommen haben, sieht Kirchmayr in den Fehlleistungen der Regierung begründet. «Wir im Parlament haben unsere Kontrollfunktion stärker wahrgenommen», und dies äussere sich eben in jener Zunahme. Kirchmayr, der selbst alles andere als zurückhaltend ist, was persönliche Vorstösse betrifft, fände eine Limitierung dieser Vorstösse undemokratisch und kontraproduktiv. «Ohne parlamentarische Vorstösse gäbe es heute keine priorisierte Investitionsplanung, dafür aber ein neues Bruderholzspital.» Wenn ein Landrat hingegen mehrmals scheitere mit seinen Ideen, führe dies automatisch zu einer Disziplinierung, ist Kirchmayr überzeugt.
«Manche Vorstössen dienen nur dazu, sich wieder in Erinnerung zu rufen.»
Ratskollege Hanspeter Weibel (SVP) glaubt hingegen nicht, dass alle Vorstösse wirklich so relevant sind. Er stellt klar: «In den Kommissionen wird sehr gut gearbeitet.» Die grosse Sitzung des Landrates werde jedoch auch als Plattform für die eigene politische Manifestation missbraucht. Weibel, Präsident der Geschäftsprüfungskommission, ist der Meinung, dass insgesamt zu viele persönliche Vorstösse eingereicht werden. «Manchmal habe ich das Gefühl, es gehe weniger um die Sache als vielmehr darum, sich selbst wieder in Erinnerung zu rufen», sagt Weibel. Ginge es wirklich um Inhalte, dann würde eine direkte Anfrage an die entsprechende Direktion meist ausreichen. Aber das sei eben nicht so öffentlichwirksam.
Wenn im Landrat die Behandlung von Geschäften verschoben werden müsse, dann sei das insbesondere deshalb problematisch, weil man sich als gewissenhafter Parlamentarier gleich mehrmals in die gleiche Thematik einarbeiten müsse. «Dadurch verpufft viel Energie.» Bei der PUK zum Bericht der GPK teilt Weibel die Einschätzung nicht, das Geschäft sei verschleppt worden. «Ich finde es richtig, dass man zuerst die Diskussion im Rat abgewartet hat.»
Kritik an der Sitzungsführung
Hört man sich im Landrat um, wird immer wieder Kritik an der Sitzungsführung des Landratspräsidenten Jürg Degen geäussert – allerdings nur anonym. Das ist bequemer. Insbesondere würde Degen zu unsicher auftreten und den Votanten nicht Einhalt gebieten, wenn diese über die Stränge schlagen würden.
Degen gibt gegenüber der TagesWoche zwar zu, dass er seine Rolle als Präsident des Landrates noch finden müsse. Gleichzeitig stellt er aber fest, dass die Stimmung an den Sitzungen manchmal schwierig sei, dann wenn sich gewisse Parlamentarier zu persönlichen Angriffen hinreissen lassen. Das Verhalten mancher Parlamentarier sei bisweilen grenzwertig. «Ich habe eigentlich keine Lust, hier den Sheriff zu markieren», er habe sich auch schon an seine Zeit als Lehrer erinnert gefühlt, sagt Degen. Er erhalte viele Rückmeldungen und sei offen für Kritik, «aber ich kann es einfach nicht allen recht machen».
«Ich muss meine Rolle als Landratspräsident noch finden.»
Dieselben Landräte, die Degen kritisieren, üben im gleichen Atemzug jeweils noch schärfere Kritik an der Landeskanzlei, insbesondere am Landschreiber Alex Achermann – natürlich ebenfalls nur hinter vorgehaltener Hand. Die Ansprüche an den Parlamentsdienst sind riesig, dieser solle unabhängig sein und nur noch dem Landrat zur Verfügung stehen. Heute arbeiten Achermann und seine Mitarbeiter sowohl für die Regierung als auch für das Parlament.
Hat die Kanzlei überhaupt genügend Ressourcen, alle diese Wünsche zu erfüllen? Ja, sagt Alex Achermann, doch weil die Ansprüche zunehmen würden, müsse man trotzdem nach Lösungen suchen. «Zu Beginn des Jahres nehmen wir eine gründliche Auslegeordnung vor.» Er sehe die Aufgabe der Kanzlei darin, die Zusammenarbeit von Regierung und Landrat zu koordinieren. So diese denn stattfindet, und man sich nicht gegenseitig die Schuld zuweist.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 23.11.12