Im schönsten Garten der Welt

Von Niki de Saint Phalles Tarotgarten in der Toskana hält man im ersten Augenblick nichts – und im zweiten alles.

Ok, ganz so farbenfroh siehts da nicht aus. Aber fast!

Von Niki de Saint Phalles Tarotgarten in der Toskana hält man im ersten Augenblick nichts – und im zweiten alles.

1955, Barcelona: Niki de Saint Phalle steht im Parc Güell und staunt. Dass so was möglich ist, mitten in einer Metropole! Ein Park mit bunten Skulpturen, wohlgeformten Treppen und Arkaden, ein Meisterwerk. Von da an sitzt die Idee im Kopf der jungen Künstlerin: ein öffentlicher Garten, grosszügig und lebendig soll er sein, irgendwo auf der Welt, wo die Menschen hinkommen und sich so fühlen sollen, wie sich Niki in diesen Tagen in Antoni Gaudís Park gefühlt hat.

50 Jahre später, irgendwo in der scheissheissen Toskana: Ich schlurfe hinter meinem Vater einen ewig langen Hügel rauf zu diesem Tarotgarten. «Wieso müssen wir diesen langweiligen Park anschauen gehen?», maule ich. «Das ist kein Park», entgegnet mein Vater. Seine Augen glänzen, er sieht ein bisschen wahnsinnig aus. «Das ist ein Kunstwerk!». Na dann. Ich stöhne. Die Flasche mit Wasser habe ich im Auto gelassen, es ist Hochsommer, die Luft flirrt, ich habe Durst und keine Lust auf einen Park, schon gar nicht auf einen Kunst-Park und erst recht nicht auf einen Kunst-Park, den mein Papa toll findet.

Auch die Asiaten freuts

«Gleich sind wir da.» Mein Vater schaut mich glücklich an. «Es wird dir gefallen.» Ich grunze unzufrieden. Dann sehe ich den Eingang. Er sieht langweilig aus, wie bei jedem anderen Museum auch. Schlichter Steinbau mit Eintrittsbogen. Das einzig Interessante daran ist, dass er mitten im Nichts steht, nur ein paar Bäume recken sich hinter ihm in die Höhe. Ein paar Asiaten stehen davor. Auch sie haben diesen wahnsinnigen Blick drauf. Okay, irgendwas muss es mit diesem Park auf sich haben, denke ich. Wir treten ein.

Die Tickets sind teuer. Weiter hinten gibt es Merchandise zu kaufen – es sieht verdächtig bunt aus. Rosina Wachtmeister in all ihrer Pracht! Ich lache bitter. «Los jetzt!», drängt mein Vater und schiebt mich in den Park hinein. Wir laufen ein paar Meter, ich klage noch ein bisschen über affektierte Künstler, die sich im Ego-Wahn austoben, und dann findens alle geil, aber niemand weiss, worums wirklich geht, nämlich um Geld, um gutes Geld, mit dem man locker zehn Tage lang hätte Gelati kaufen können. Wir biegen um die Ecke, ich denke noch immer an Rosina Wachtmeister, diese beknackte Hausfrauenkünstlerin, die nichts kann ausser anbiedern und… ich stutze. 

Na, was habe ich dir gesagt?

Vor mir steht ein schwarzes Maul, aus dem eine Treppe … fliesst. Anders ists nicht zu beschreiben. Das Maul gehört einer irren Figur in Hellblau, mit einem roten und einem blauen Auge, auf der noch eine Figur sitzt, ein Kopf, ganz aus kleinen silbernen Spiegeln. Aus dem Kopf ragt eine winkende Hand. Ich bin baff. «Na, was habe ich dir gesagt?» Mein Vater lacht triumphierend. Ich will mich nerven, kann aber nicht.



Hier lässt sich gut speisen: Die versteckte Autorin in Niki de Saint Phalles Spiegelraum, in dem sie während der Bauarbeiten im Park wohnte.

Hier lässt sich gut speisen: Die versteckte Autorin in Niki de Saint Phalles Spiegelraum, wo die Künstlerin während der Bauarbeiten im Park wohnte.

Frühjahr 2017, in der Nähe von Capalbio, Toskana – begeistert springe ich die Treppen zur dicken Justitia-Figur hinauf: «Das musst du dir anschauen!» Mein Freund steht unten vor dem Treppenschlund, genau da, wo es mir vor zwölf Jahren die Sprache verschlug. Er sagt nichts, schaut nur auf das Wasser, das über die Treppe in ein kleines Becken fliesst. Ich lache. Die Tarot-Figuren stehen immer noch genau so da wie damals, wie Wächter einer Fantasie, denen nichts und niemand was anhaben kann.

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Hinkommen: Ohne Auto so gut wie unmöglich. Mieten in Perugia, Rom oder Florenz und hinfahren. Auf dem Weg bei der Thermalquelle von Saturnia einen Zwischenstopp einlegen – das Baden ist umsonst und fast so grossartig wie der Tarotgarten!

Ausruhen: Wer in der Nähe übernachten will, quartiert sich im preisgünstigen Agrialbergo ein paar Kilometer entfernt ein. Schlichte Zimmer, hauptsächlich Fahrradtouristen. Und ein opulentes Kuchenbuffet zum Frühstück.

Aufessen: Sandwich mitnehmen und sich an Niki de Saint Phalles Esstisch im Spiegelhaus setzen.

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