Im wilden Nordwesten

Auf der dritten Etappe unserer Reise durchs Baselbiet machen wir Halt in Roggenburg. Die Gemeinde im Lützeltal gilt als Basel-skeptisch. Auch die Regierungsratswahl im eigenen Kanton interessiert nicht. Das Dorf beschäftigt sich vor allem mit sich selber – und ist ganz glücklich damit. 

(Bild: Alexander Preobrajenski )

Auf der dritten Etappe unserer Reise durchs Baselbiet machen wir Halt in Roggenburg. Die Gemeinde im Lützeltal gilt als Basel-skeptisch. Auch die Regierungsratswahl im eigenen Kanton interessiert nicht. Das Dorf beschäftigt sich vor allem mit sich selber – und ist ganz glücklich damit. 

Weiter raus ins Baselbiet als nach Roggenburg geht es nicht. Die Laufener spötteln über die 280-Seelengemeinde, sie liege hinter dem Mond. Auf die andere Seite des Mondes gelangt man in einer 45-minütigen Fahrt aus Basel, über Laufen, Röschenz und eine von Schlaglöchern entstellte Strasse, die durch französisches Territorium führt.

Wer mit dem öffentlichen Verkehr anreist, braucht eine verbindliche Tagesplanung: Zehn magere Busverbindungen am Tag führen von Roggenburg zurück nach Laufen – und auch das nur, weil die Gemeinde drauflegt, 2000 Franken pro Jahr bezahlt das Dorf, damit es nicht nur neun Kurse pro Tag sind.

Sie kämpfen in Roggenburg, das ist der erste Eindruck. Es ist auch viel verloren gegangen in den letzten Jahren und Jahrzehnten. 1989 die Zugehörigkeit zum Kanton Bern, als sich das Laufental dem Baselbiet anschloss und die Roggenburger auf die Barrikaden gingen. Schon vorher, Mitte der 1980er Jahre, verschwand der letzte Lebensmittelladen aus dem Dorf, vor zwei Jahren dann die eigene Post.

Ein Exot führt die Gemeinde

Eines sind die Roggenburger aber nicht gewillt preiszugeben: den inneren Zusammenhalt. Diese Woche ist Fasnacht, den Umzug die kurze Hauptstrasse hoch, verfolgen nur wenige Zuschauer, denn der Grossteil der Bewohner macht selber mit. Einer, der am Strassenrand steht, ist Gemeindepräsident Peter Hufschmid. Der 67-Jährige ist das, was man gemeinläufig als Exot versteht, doch dass er die Gemeinde leitet, sagt einiges über Roggenburg aus.

Gekommen ist der pensionierte Architekt vor zehn Jahren, zuvor hat er lange in Australien gelebt, aufgewachsen ist er in Basel. Er zog nach Roggenburg, weil er die Abgeschiedenheit suchte, er kam, um zu malen und schreiben, sagt er. «Und für lange Waldspaziergänge.» Für Aussteiger ist Roggenburg mit seinen starken inneren Kräften aber der falsche Ort. «Jeder engagiert sich im Dorf, man kann gar nicht anders.» Hufschmid half mit, wo sie ihn brauchten, und so führte eines zum nächsten, bald landete er in den Kommissionen und schliesslich im Gemeinderat. Seit einem halben Jahr steht er dem Dorf vor, und das ist auch so eine Geschichte.

Roggenburg prägen seit eh und je drei Gross-Familien. Von den 148 im Telefonbuch ausgewiesenen Anschlüssen laufen 14 auf den Namen Jacquemai, 13 auf Bloch und 8 auf Walther. Die drei Clans bestimmen den Gang der Dinge im Dorf. Da kam Hufschmid gerade recht, weil er als neutraler Vermittler akzeptiert wird und ohne familiengebundene Interessen agieren kann.

Sistierte Träume

Aber agieren ist womöglich das falsche Wort für seine Arbeit. Roggenburg ist eine der ärmsten Gemeinden im Baselbiet, zwei Drittel des Budgets stammen aus dem Finanzausgleich. Nennenswerte Unternehmen gibt es keine, 60 Prozent der Werktätigen arbeiten auswärts, die Daheimgebliebenen in der Landwirtschaft. Fragt man Hufschmid nach den Zukunftsperspektiven, antwortet er, Roggenburg solle so bleiben, wie es ist. Klar, es liegen Pläne in der Schublade, der Gemeinderat träumte lange von einer Sporthalle, doch man müsse das realistisch sehen, «dafür wirds wohl kein Geld geben».

Hufschmid will vor allem bewahren, die eigene Primarschule beispielsweise, die für viel Geld renoviert wurde. Nun steht sie jedes Jahr auf der Kippe, ist ein Jahrgang nicht kinderreich genug, droht die Schliessung. Hufschmid will sie um jeden Preis halten: «Ohne Schule sind wir für Familien nicht attraktiv.»

Angst vor Kürzungen

So ist Hufschmids Forderung an die Politik in Liestal und auch den neuen Regierungsrat: «Sie soll den kleinen Gemeinden nicht zu viel aufbürden, der Finanzausgleich darf nicht geschwächt werden.» Die Sparbemühungen des Kantons sind bereits spürbar. Das Bau-Inspektorat in Laufen soll geschlossen werden, dann müssten die Roggenburger nach Liestal. «Das mag als Kleinigkeit erscheinen, doch für uns hätte das grosse Nachteile.»

Auch bei der Sanierung der basellandschaftlichen Pensionskasse hofft Hufschmid auf ein Entgegenkommen des Kantons. Roggenburg müsste 160’000 Franken einschiessen, ein Betrag den die klamme Gemeinde nicht aufbringen kann. Für die Schieflage sei das «bodenständige, konservative Dorf» schliesslich nicht verantwortlich. «Wir haben nicht an der Börse spekuliert.»

Allem Unbill zum Trotz führt Hufschmid eine Gemeinde mit intaktem Dorfleben. Man hat eine eigene Fasnacht, ein Kürbisfest, eine rauschende Erstaugust-Feier und im September feiert die Bevölkerung erstmals seit 2005 wieder ein Dorffest. Thema: «Der wilde Nordwesten».

Kampf um Autonomie

Das widerspenstige Dorf, eingekeilt zwischen den Kantonen Jura und Solothurn und dem Nachbarn Frankreich, besinnt sich dann wieder auf sich selber. Aber das tun sie in Roggenburg eigentlich immer. Vom Kanton Bern wollten sie sich nicht lösen, weil Bern weit weg war, und sie deshalb in ihrer Autonomie nicht gestört wurden.

Doch heute scheint auch Liestal in weiter Ferne, hinter dem Mond geradezu. Zwei einsame Plakate werben für Thomas Weber, den SVP-Mann für den Regierungsrat. Die grosse Politik interessiert nicht. Die Stimmbeteiligung bei den letzten Wahlen war verschwindend tief.

Mehr Interesse zeigte Roggenburg 2011 an der Abstimmung übers Basler Theater, als es um eine Erhöhung der Subventionen ging. Über 80 Prozent der Bevölkerung lehnten das ab – bei relativ hoher Stimmbeteiligung. Hufschmids Erklärung: «Das Basler Theater ist vielleicht zu experimentell.» Im Dorf erzählt man sich auch eine andere Begründung. Die bauernschlauen Roggenburger waren sich bewusst, dass wenn Geld nach Basel fliesst, es bei ihnen vielleicht fehlen würde.

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Wir waren im «Rössli», der letzten Beiz im Dorf und haben mit dem ehemaligen Pöstler gesprochen, der mit einer der ersten Ausländerinnen in Roggenburg, einer Norwegerin, verheiratet ist. Und wir erzählen vom Stolz der Gemeinde, den Motocross-Rennen, die jedes Jahr Tausende Besucher ins Dorf bringen.

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