In Basel funktioniert die Abgabe seit 1977

«Horror-Mieten», «massive Zwangsabgaben» und Plattenbaumonster hinter dem Bundeshaus: Auf Abstimmungsplakaten schwingen die Gegner des neuen Raumplanungsgesetzes wieder die grobe Keule.

Zu grosse Bauzonen müssen die Gemeinden zurückzonen, verlangt das neue Raumplanungsgesetz. (Bild: Stefan Bohrer)

«Horror-Mieten», «massive Zwangsabgaben» und Plattenbaumonster hinter dem Bundeshaus: Auf Abstimmungsplakaten schwingen die Gegner des neuen Raumplanungsgesetzes wieder die grobe Keule.

Einmal mehr sind Familien, Mittelstand und Gewerbe die Verlierer», behauptet das Komitee gegen das am 3. März zur Abstimmung gelangende Raumplanungsgesetz. In Zeiten von Abzockerei und Sparpaketen zählen Gegner auf Angst und Frust der Mieter und Eigenheimbesitzer, obwohl die umstrittenen Punkte die meisten Einwohner der Schweiz gar nicht ernsthaft treffen.

Die Vorschrift etwa, dass Gemeinden mit viel zu grossen Bauzonen diese auf die Grösse des geschätzten Bedarfs von 15 Jahren reduzieren müssen, trifft erheblich den Kanton Waadt und massiv das Wallis, wo man, wenn die Vorlage angenommen wird, für die neue Vorschrift sicher eine schlaue Schlupflochpraxis fände.

Oder die bekämpfte Mehrwertabgabe: Sie soll die durch Planungsmassnahmen (Einzonungen, Ausnahmebewilligungen) entstehenden Wertgewinne teil­weise abschöpfen. So schlimm kann sie nicht sein, wird sie im Kanton Basel-Stadt doch seit rund 35  Jahren erfolgreich praktiziert. 1977 wurde sie mit einer Quartier­planung an der Gartenstrasse, die privaten Eigentümern gesteigerte Nutzung ihrer Liegenschaften brachte, vom Volk bewilligt.

In den letzten zehn Jahren sind aus der Basler Mehrwertabgabe im Schnitt fünf Millionen Franken pro Jahr in einen Fonds geflossen, aus dem der Bau öffentlicher Anlagen gefördert wird. Das geltende Bundesrecht schreibt zwar seit 1980 eine Mehrwertabschöpfung vor. Aber mit Ausnahme von Basel und Neuenburg haben das die Kantone ignoriert.

Die alten Fronten

Im Streit um die Mehrwertabgabe kämpfen heute ungefähr die gleichen Kreise um ihre Interessen, die schon 1975 das Referendum gegen das erste Raumplanungsgesetz ergriffen und dessen Ablehnung erreicht haben. Allen voran der Schweizerische Gewerbeverband, mit dabei der Baumeisterverband, der Schweizerische Verband der Immobilienwirtschaft. Der Hauseigentümerverband hat 2012 beim Referendum formell nicht mitgemacht, wirbt jetzt aber wieder für ein Nein. Da geht es vor allem um das Geschäft und um Liegenschaftsrenditen. Unterstützung finden diese Inte­ressengruppen bei rechtsbürgerlichen Gruppen und auch von der SVP, die 1975 noch dafür war.

Wie vor 35 Jahren zeigt sich in der Debatte ein Stadt-Land-Graben. In Zentren, wo man dicht wohnt und fährt, schätzt man den Wert einer Planung, die öffentliche Interessen schützt und im komplexen Spiel der Aktivitäten von Grundeigentümern, Mietern, Gewerbetreibenden und Pendlern Güter abwägt und Grenzen setzt. Weiter weg von Städten, vor allem im Berggebiet, wo viele einen Fleck Boden besitzen und träumen, dass irgendwann sie oder ihre Enkel dort wohnen oder Land verkaufen könnten, steht Eigentumsfreiheit für Glück. Planer sind ein Ärgernis. In der Abstimmung über das erste Raumplanungsgesetz wurden die befürwortenden Agglomera­tio­nen mit 654 233 Nein zu 624 134 Ja knapp überstimmt. Die beiden Basel und der Kanton Zürich stimmten klar Ja, das Wallis lehnte mit 29 496 Nein gegen 6 877 Ja überwältigend ab.

Abgabe gegen Entschädigung

Die im neuen Raumplanungsgesetz vor­geschriebene Kombination beschränkter Bauzonen mit einer Mehrwertab­gabe verspricht in der künftigen Bauentwicklung finanzierbaren Gestaltungsraum. Zonenpläne bestimmen, wo wie intensiv und wo nicht gebaut werden darf. Wer durch planerische Nutzungssteigerung Wertgewinn erzielt, zahlt eine Mehrwertabgabe von minimal 20 Prozent. Die Abgabe ist das Gegenstück zum Recht auf Entschädigung, wenn ein nach heutigem Recht in absehbarer Zeit überbaubares Grundstück ausgezont wird.

Aus dem Fonds der Mehrwertabgabe finanziert Basel öffentliche Anlagen.

Raumplanung in der direkten Demokratie ist ein heikles Unterfangen. Auch Massnahmen, die sich um grösste Rücksicht auf Eigentümer, Kantone und Gemeinden bemühen, laufen Gefahr, von Interessengruppen blockiert zu werden. Aber das Beispiel Grossbritannien zeigt, dass starke Regierungen da nicht weiterhelfen.

Mit dem Versprechen, nach dem Krieg eine gerechtere Welt aufzubauen, setzte eine linke Labour-Regierung mit dem Town and Country Planning Act von 1948 radikale Änderungen in Kraft: Grundeigentümern liess man nur die ­bestehenden Nutzungsrechte. Weiter­gehende Baurechte waren neu vom Staat zu kaufen. Das System sollte Spekula­tion unterbinden, Infrastruktur finanzieren und die Bauentwicklung umfassend planbar machen.
Das funktionierte von Anfang an nicht. Grundeigentümer verkauften nicht mehr, weil sie voraussahen, dass die nächste konservative Regierung ihr amputiertes Eigentum wiederherstellen würde. Die Preise stiegen, und 1953 hoben die Tories das Gesetz auf. 1967 versuchte es die nächste Labour-Regierung mit einem verwässerten Gesetz. 1971 haben die Konservativen das System beerdigt.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 22.02.13

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