Der Ständerat und die vermaledeite Transparenz: Das Büro der kleinen Kammer hat diese Woche der Plattform Politnetz.ch verboten, die Beratungen im Ständerat zu filmen. Thomas Bigliel, Geschäftsführer von Politnetz, will das nicht hinnehmen. Seinen Ärger drückt er aber höchst staatsmännisch aus.
Das «Stöckligate» hat dem Politnetz (siehe unten) im vergangenen Winter nationale Beachtung verschafft. Mit ihrer Kamera deckten die Macher von Politnetz mehrere (und einigermassen peinliche) Auszählungsfehler im Ständerat auf.
Die Bewilligung für die Filmerei von der Pressetribüne aus war allerdings nur provisorisch – und ist nun aufgehoben: Das definitive Gesuch wurde am Montag nach einem verwirrenden E-Mail-Wechsel zwischen dem Büro des Ständerats und Politnetz abgelehnt.
Thomas Bigliel (27), Geschäftsführer von Politnetz und Präsident der Jungfreisinnigen in Graubünden, hat die Ablehnung irritiert. Aber nicht frustriert. Er wird das Gesuch erneut einreichen und bis zu dessen Beantwortung den Ratsbetrieb fotografisch dokumentieren lassen.
Dem jungen Chef von Politnetz ist an einem guten Auskommen mit dem Ständerat gelegen – kein böses Wort ist von ihm über die Verhinderungstaktik der kleinen Kammer zu hören.
Herr Bigliel, wo ist eigentlich das Problem? Das Büro des Ständerats hat gestern Montag Ihr Gesuch um ständige Filmaufnahmen abgelehnt, weil Sie anscheinend in einer Mail mitgeteilt hatten, sich mit Fotografieren begnügen zu wollen.
Das war ein Missverständnis – und wurde uns auch nicht offiziell mitgeteilt. Erst heute Morgen habe ich einen entsprechenden Hinweis von den Parlamentsdiensten erhalten, mit der Feststellung, dass das Politnetz ein Gesuch für Fotografie und nicht für Film stellt.
Und das stimmt?
Nein. Das Politnetz hat seit September eine Medienzugangsberechtigung für das Bundeshaus und darf im Rahmen dieser Bewilligung den Ratsbetrieb von der Pressetribüne aus fotografieren. Weil es für uns bequemer wäre, den Ständerat filmisch festzuhalten, haben wir ein zusätzliches Gesuch gestellt, auf dessen Beantwortung wir noch warten. Aus Höflichkeit haben wir das Büro des Ständerats vor der Frühlingssession darauf hingewiesen, dass wir trotzdem mit einer Kamera auf der Tribüne sitzen – aber nur fotografieren. Bei den modernen Kameras genügt ja ein Klick, und aus dem Fotoapparat wird eine Filmkamera. Wir wollten Missverständnisse vermeiden. Irritierenderweise hat der Ständerat das Mail als Teil des Gesuchs verstanden. Nun können wir wieder von vorne anfangen.
Wir halten also fest: Sie müssen das Gesuch um eine Filmbewilligung nun noch einmal einreichen.
Genau. Uns ist es ein grosses Anliegen, dass der Rat durch die jetzige Diskussion keinen Schaden nimmt. Es ist deshalb denkbar, dass wir im Moment von unserem Fotografie-Recht keinen Gebrauch machen und so verhindern, dass weiter Öl ins Feuer gegossen wird.
Es scheint, der Ständerat werfe Ihnen einen Stein nach dem anderen vor die Füsse.
Von aussen sieht es tatsächlich danach aus, dass der Ständerat mit sämtlichen Winkelzügen versucht, Transparenz zu verhindern. Das deckt sich aber nicht mit meinen Erfahrungen im bisherigen Umgang mit der kleinen Kammer: Dem Politnetz wird sehr viel Wohlwollen entgegengebracht. Und auch wir sind um den guten Ton bemüht. Wir wollen die Integrität und Würde des Rats aufrecht erhalten. Uns geht es um Transparenz. Unsere Intention war nie, Fehler des Ständerats aufzudecken oder ihn blosszustellen.
Das ist nun aber arg staatsmännisch. Haben Sie sich nicht ob der Verhinderungstaktik genervt?
Natürlich habe ich gestern auf der Ratstribüne ein gewisses Unverständnis verspürt. Aber wir wollen nicht auf Konfrontationskurs mit dem Ständerat, wir wollen mit ihm zusammenarbeiten!
Das Schweizer Fernsehen dokumentiert den Ratsbetrieb ebenfalls. Warum weichen Sie nicht auf diese Aufnahmen aus?
Weil die fix installierten Kameras bei Abstimmungen über den Rat schwenken und es nicht sichergestellt ist, dass wir sämtliche Stimmen fehlerfrei erfassen können. Das geht besser mit einem Fischauge von der Tribüne aus.
«Wir wollen nicht auf Konfrontationskurs mit dem Ständerat, wir wollen mit ihm zusammenarbeiten!»
Am Donnerstag wird ein Vorstoss von Ständerät This Jenny erneut diskutiert. Eine elektronische Abstimmungsanlage soll eingeführt werden, die allerdings nur die Schlussabstimmungen und nicht die Detailberatung erfasst. Genügt das Ihren Ansprüchen?
Nein. Aber jede Öffnung, die vom Parlament selber kommt, ist begrüssenswert. Der Ständerat hat eine Tradition von 150 Jahren. Der Prozess zur Transparenz kann nur schrittweise erfolgen.
Die Ständeräte fürchten sich, nicht mehr ungebunden abstimmen zu können, falls Ihre Entscheidungen aufgezeichnet werden. Können Sie dieses Argument nachvollziehen?
Ja. Ein Ständerat soll ja auch nicht im Interesse seiner Partei, sondern im Interesse seines Kantons abstimmen. Bisher ist das allerdings eine Diskussion, die sehr kopflastig und ideologisch geführt wird. Zuwenig beachtet wurde bisher, dass mit einer Aufzeichnung der Abstimmungen die Fehlerquote kleiner wird.
Fehler, die Sie im vergangenen Winter aufgedeckt haben. Das «Stöckligate» hat dem Politnetz grosse Aufmerksamkeit beschert. Hat sich das auch ihn Zahlen niedergeschlagen?
Ja, das haben wir gespürt. Allerdings haben wir seit unserer Gründung 2009 jedes Jahr einen grossen Zuwachs an Zugriffen verzeichnet.
Dennoch fehlt ein Businessmodell.
Das stimmt so nicht. Wir sind zwar ein Startup und leben von Investoren. Gleichzeitig läuft die wirtschaftliche Seite immer besser. Wir bereiten Inhalte für Medien auf, arbeiten mit dem Nationalrat zusammen, visualisieren Abstimmungsverhalten und haben einige Abnehmer.
Ist das Politnetz bereits selbsttragend?
Nein. Aber wir werden diesen Punkt noch in diesem Jahr erreichen.
Die Website politnetz.ch wurde 2009 als Internet-Startup gegründet und ist ein Diskussionsforum für Politiker und Bürger – laut Eigenwerbung die «grösste politische Plattform der Schweiz».
Die Macher von Politnetz arbeiten auch redaktionell: Sie begleiten Abstimmungen, Wahlen und die Sessionen der Eidgenössischen Räte. Zusätzlich wertet Politnetz die Entscheidungen im Nationalrat aus und bereitet sie visuell auf.
Ähnliche Projekte sind in den kantonalen Parlamenten von Appenzell Ausserrhoden, den beiden Basel, Bern, Freiburg, St. Gallen, dem Wallis und im Landtag des Fürstentums Liechtenstein geplant. Am weitesten fortgeschritten ist das Projekt in St. Gallen – dort steht nur noch ein Entscheid des Ratspräsidiums aus.
Quellen
Artikel in der «Berner Zeitung» vor der Frühlingssession.
Eine Zusammenfassung von «Stöckligate» per Storify.
Die Berichterstattung über die Ablehnung des Gesuchs in der NZZ, im «Blick» und im «Tages-Anzeiger».
Die Visualisierungen von Politnetz auf der Seite des Parlaments.
Der Vorstoss von SVP-Ständerat This Jenny für die Installation einer elektronischen Abstimmungsanlage.
Der Auftritt von Politnetz auf Twitter und Facebook.