In Hamburg ist Gutes gelungen

Der G20-Gipfel von Hamburg ist vorbei. Der nächste Gipfel wird kommen. Wo? Ist wenig wichtig. Wie? Ist wichtiger. Wozu? Das geht gerne vergessen.

Aufräumen nach dem G20-Treffen: Hamburg war mehr als nur Chaos. (Bild: REUTERS/Fabian Bimmer)

Die publizistische Nachbearbeitung des Gipfels hat sich einseitig mit den Krawallen beschäftigt. Und sie hat – ebenfalls einseitig – zwei Punkte angesprochen: Wie man die gewaltbereiten Aktivisten besser in Schach halten kann (Stichwort: weitere Datenbanken), und dass die politische Linke die Ausschreitungen der Chaoten bisher stets verharmlost habe.
Gibt es nichts anderes zu sagen?

In dritter Linie wurde auch erörtert, ob die Ansiedlung des Gipfels im ohnehin von «Linken» dominierten Hamburg nicht ein Fehler gewesen sei und ein Treffen auf einer fernen Insel, in der Wüste oder im Urwald besser gewesen wäre.

Die Kanadier, die 2002 als G-Gastgeber an der Reihe waren, verlegten das Treffen in die Berge nach Kananaskis und schirmten die «Gruppe» der informellen Weltdirigenten mit der «Operation Grizzly» vom Rest der Welt ab. 2003 lag das G8-Treffen nur halb ab der Welt, nämlich in Evian am Genfersee, was zu Krawall- und Polizeieinsätzen auch auf schweizerischem Territorium führte.

Einseitige Interessen

In Hamburg versuchten friedliche Demonstranten – mit wenig Erfolg – die Frage der Verhältnismässigkeit des Polizeieinsatzes zu thematisieren. Dies verbunden mit dem Vorwurf, dass es bereits in den ersten Stunden (noch vor den Ausschreitungen der gewalttätigen Demonstranten) Ordnungskräfte gewesen seien, die einige Unordnung hergestellt und «den Takt» vorgegeben hätten.

Wäre es nur um das Treffen von Trump und Putin gegangen, hätte man alles einfacher haben können.

Nicht überraschend meinte Markus Melzl, Gastkolumnist der «Basler Zeitung» und ehemaliger Sprecher der Staatsanwaltschaft, die Hamburger Ereignisse für eine pauschalisierende Diffamierung zum Anlass nehmen zu müssen, indem er seiner Leserschaft mitteilte, dass «ein grosser Teil» der Demonstranten es darauf abgesehen habe, Polizisten zu verletzen.

Bei der einseitigen Aufmerksamkeit blieb eine wichtige Frage kaum erörtert: Warum werden solche Gipfel überhaupt durchgeführt?

Völlig unverhältnismässig galt das Interesse der Begegnung zwischen den Häuptlingen der beiden Grossmächte USA und Russland: Wie haben sich Trump und Putin die Hand gegeben, wie lange haben sie miteinander gesprochen, was haben sie nachher über das Gesprochene gesagt und wie wurde das nachträglich Gesagte «zu Hause» aufgenommen? Wenn es nur um ein solches Treffen gegangen wäre, hätte man alles einfacher haben können.

Der G20-Gipfel fand in Hamburg statt, weil Deutschland turnusgemäss die Präsidentschaft der Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer innehatte und die deutsche Regierungschefin (Angela Merkel) sich für Hamburg entschied und den Entscheid mit der Weltverbundenheit dieser Stadt begründete. Als Symbol dieser Verbundenheit wurde der Kreuzknoten gewählt: Je grösser seine Belastung, desto stärker zieht er sich zusammen.

Fromme Wünsche

Die Durchführung in Hamburg wurde mit zwei Argumenten verteidigt: Erstens lasse man sich nicht von Krawallanten gleichsam vorschreiben, wo man sich treffen wolle. Und zweitens sei es gut, wenn es zu Begegnungen zwischen der offiziellen Welt und der Zivilgesellschaft komme.

Der zweite Punkt blieb allerdings ein frommer Wunsch. Zu einer wirklichen Begegnung wäre es nur gekommen, wenn dazu ein gemeinsames Forum vorbereitet worden wäre. So, wie es der Schweizer Ex-Brigadier und Politberater Peter Arbenz für das Weltwirtschaftsforum WEF in Davos 2002 zustande gebracht hatte.

Es zeugt von der Schwäche der UNO, dass derart wichtige Treffen nicht in ihrem Rahmen stattfinden.

Ein Forum nach dem Modell des «Spirit of Davos» wäre ein eigenartiges Treffen gewesen: eines, wie man leichthin sagt, zwischen gewählten Repräsentanten der Welt und selbsternannten Weltverbesserern. Das Gremium der 20 Staats- und Regierungschefs hat allerdings ebenfalls den Status von Selbsternennungen: Es ist ein sich selbst konstituierender Club, der nicht von einer besser legitimierten Institution – nämlich der UNO – mandatiert worden wäre.

Es zeugt von der Schwäche der aktuellen UNO, dass derart wichtige Treffen nicht in ihrem Rahmen stattfinden. Der UNO-Generalsekretär António Guterres war zwar dabei, ist aber überhaupt nicht in Erscheinung getreten. Die problematische Zusammensetzung zeigt sich an der Tatsache, dass zwar Südafrika dabei war, nicht aber viele wirtschaftsstärkere Staaten wie zum Beispiel Polen.

Die G20 kann Bedeutung beanspruchen: 2/3 der Bevölkerung sind «vertreten», 4/5 der globalen Wirtschaftsleistung versammelt und 3/4 des Welthandels abgedeckt. Rund 170 Staaten sind von diesen Treffen aber ausgeschlossen. Andererseits ist die G20 wenigstens repräsentativer als die G7, die den Kern im Kern bildet.

Hehre Absichten

Die sommerlichen Jahresversammlungen der «G» hatten 1975 ihren Anfang. Das erste Treffen dieser Art fand auf Initiative des französischen Staatspräsidenten Giscard d’Estaing als informelles «Kamingespräch» mit vier Fauteuils für die USA, Grossbritannien, Frankreich und die Bundesrepublik statt, in einem französischen Schloss und im Kontext der Unterzeichnung der Schlussakte der KSZE von Helsinki.

Die G20 gibt es seit 1999 als Treffen der Finanzminister und Notenbankchefs. Erst 2008, als die Finanzkrise eine breiter angelegte Politik nötig machte, wurde das Gremium auf die Ebene der Staats- und Regierungschefs angehoben.

Was 1975 als intimes Treffen und persönliche Aussprache der mächtigsten Staatschefs der westlichen Welt begonnen hatte, ist längst zu einer Grossmaschinerie der internationalen Politik ausgebaut worden, mit ganzjährigen Vorbereitungszeiten auf unteren Ebenen. Darin liegt sein Wert und nicht in den meist dünnen Schlusscommuniqués.

Logisch will sich eine engagierte Basis bei solchen Megatreffen Gehör verschaffen. Es sollte ihr aber nicht einzig darum gehen.

In Hamburg ist Gutes gelungen: Während die zurzeit in den Händen Trumps liegenden USA sich selber ausschlossen, bekräftigten die 19 die Massnahmen gegen den Klimawandel und stärkten die Gesundheits-, Bildungs- und Gleichstellungspolitik in eine Richtung, die von den Demonstranten eigentlich begrüsst werden muss. Gewiss fördern die G20 die Globalisierung, sie sind aber auch bestrebt, die ohnehin laufende Globalisierung gestaltend im Sinne eines konstruktiven Multilateralismus (statt einer auf Bilateralismus setzenden Machtpolitik) zu begleiten.

Der Club ist kein wirkliches Beschlussgremium, entschieden wird einzig über unverbindliche Resolutionen. Obwohl informell, werden diese schliesslich doch zu formellen Regeln, weil sie von internationalen Organisationen wie der OECD übernommen werden. Beide Seiten gewinnen auf diese Weise: die internationalen Organisationen an Bedeutung, die G20 an Legitimität.

Erreichtes und Unerreichtes

Seit ein paar Jahren werden diese Treffen von engagierten Basisbewegungen begleitet, die ein Gegenforum bilden. Diese bunte Opposition wurde erstmals zu einem Medienereignis, als die Seattle-People im Dezember 1999 gegen die ungenügend vorbereitete WTO-Milleniums-Runde auf die Strasse gingen, die in der gleichnamigen amerikanischen Stadt abgehalten wurde.

Im Juni 2001 kam es in eskalierter Form zu antikapitalistischen und globalisierungsfeindlichen Protesten zunächst beim EU-Gipfel in Göteborg, dann am G8-Gipfel in Genua. 2015 verurteilte der Menschenrechtsgerichtshof Italien wegen des brutalen Polizeieinsatzes, zu dem es damals gekommen war.

Was haben die Demonstranten in Hamburg zustande gebracht ausser ehrliches Entsetzen und so scheinheilige wie willkommene Empörung über das Verhalten der Chaoten? Was haben sie erreicht, ausser dem kleinen Triumph, dass Melanie Trump gehindert wurde, rechtzeitig am Partneranlass teilzunehmen?

Aus der Sicht der Demonstranten bestand ein elementarer Erfolg darin, dass sie und ihre Anliegen wahrgenommen wurden. Es liegt in der Logik solcher Megatreffen, dass sich eine engagierte Basis ebenfalls Gehör und Sichtbarkeit verschaffen will. Diese sollte aber nicht darin ihre Priorität sehen. Wichtiger ist, dass sie in den Zwischenzeiten auf ihre nationalen Regierungen in ihrem Sinne einwirken. Dies im Hinblick auf das Treffen im nächsten Jahr in Argentinien und im übernächsten Jahr, 2019, in Japan, wie schon jetzt festgelegt worden ist.

Randnotiz

Übrigens: Der schweizerische Finanz-Bundesrat, der Maurer Ueli, war bei einem Abschnitt des Hamburger-Begegnungslaufs mit von der Partie. Er verdankte die Einladung den deutschen Gastgebern. Ging er, der wie alle SVP-Grössen die Vielreisereien des Bundesrats kritisiert, gerne oder nur widerwillig hin?

Als er noch Sport-Bundesrat war, zeigte sich Maurer ebenfalls an internationalen Treffen, was auch nicht ohne Fliegerei ging. Jetzt konnte er stolz erklären, dass seine kleine Schweiz immerhin in Sachen Finanzen eine Grossmacht sei.

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