Aleksandra Despotovic, serbische Seconda mit Schweizer Pass, erklärt bei einem Quartierspaziergang durch Kleinhüningen, warum die SVP von Integration keine Ahnung hat.
Aleksandra Despotovic (23) hat das Licht der Welt in Belgrad erblickt, aber praktisch ihr ganzes Leben in der Schweiz verbracht. Aleksandra könnte als Musterbeispiel für gelungene Integration herhalten. Ihr Baseldeutsch ist lupenrein. Sie studiert an der FHNW Pädagogik für die Sekundarstufe. Dazu arbeitet sie Teilzeit im Lernhaus des Schweizer Arbeiterhilfswerkes. Hier unterrichtet sie Jugendliche, die sozialhilfeabhängig sind, in Mathe und Deutsch, um sie für den Lehrstellenmarkt fit zu machen. Darunter auch Schweizer Jugendliche mit bildungsfernem Hintergrund. Und den Schweizer Pass hat sie auch.
Das Setting könnte passender nicht sein. Wir treffen uns «ennet der Wiese» bei der Endstation des 8er-Trams im Café Kulturwiese. Das Wirtepaar sind eine Brasilianerin und ein Schweizer. Das Menu ist indisch. Bedient werden wir von einer Baslerin mit türkischen Eltern, und an uns vorbei marschiert ein Trupp Schweizer Pensionäre zum rituellen Nachmittagsjass. Eigentlich wohnt Aleksandra in Allschwil. Aber ihr Partner, ein Bündner mit italienischen Wurzeln, lebt in Kleinhüningen, weshalb sie das vermeintliche Ghetto an der Grenze auch als ihr Quartier begreift.
Mit der Nationalität nimmt man es nicht so genau
Wir machen uns auf zum Quartierspaziergang entlang der Kleinhüninger Mainstreet: die Kleinhüningerstrasse. Mit Kleinhüningen meinen wir die Arbeitersiedlung zwischen «Chemie» und Wiese, die zur Hälfte formal zum Klybeckquartier gehört. Etwa in der Mitte der Kleinhüningerstrasse findet man beim offiziellen Gemeindebann denn auch das Kleinhüninger Wappen. Und wer prangt darauf? Attila der Hunnenkönig. Angeblich stammt der Name Kleinhüningen etymologisch von den Hunnen ab. Laut Legende war es das westlichste Siedlungsgebiet der Hunnen. Tatsächlich verwechselt die Überlieferung aber wohl die Hunnen mit den Magiaren, die das Dorf im Mittelalter einmal geplündert haben. Was soll’s. In Kleinhüningen nimmt man es mit der Nationalität nicht so genau.
«In Kleinhüningen», meint Aleksandra, «begegnet man sich immer erst auf Augenhöhe. Unabhängig von Herkunft, Geldbeutel und sogar Ideologie. Erst mal lernt man den Menschen kennen. Wenn man sich nett findet, vertragen sich sogar klassische SVP-Wähler mit Afrikanern.»
Kaum ausgesprochen, wird Aleksandra, nicht gerade auf Augenhöhe, aber umso herzlicher, von einem hünenhaften Jamaikaner begrüsst. Hundert Meter weiter treffen wir Raja Muneeb. Der 29-jährige Schweizer ist Sohn pakistanischer Eltern und Inhaber des Internetcafés Kleinhüningen. Dank einem Stehtisch und Aschenbecher vor und einem breitgefächerten Getränkeangebot im Laden ist das Internetcafé an warmen Tagen auch beliebter Quartiertreffpunkt. Täglich sieht man Brasilianer, Italiener, Spanier, Afrikaner, Schweizer, ja sogar den Schreinermeister aus der Hinterhofwerkstatt einträchtig bei Kaffee, Bier und Alcopops tratschen und scherzen. Unterhalten kann sich Muneeb mit allen. Er beherrscht nicht weniger als acht Sprachen.
Wenn man sich nett findet, vertragen sich sogar klassische SVP-Wähler mit Afrikanern.
Aleksandra hat sich, wie wohl die meisten Basler Einwandererinnen, praktisch selbst integriert. Sie verbrachte ihre Kindheit im Bachlettenquartier. «Meine ersten Freundinnen waren eine Italienerin, eine Spanierin, eine Slowakin und eine Pakistani. «Ich hab erst in der Schule gemerkt, dass es Familien gibt, die nicht nur im Kindergarten, sondern auch zuhause Deutsch reden.»
Neben dem brasilianischen Coiffeur mit Billardtisch, zwei türkischen und einem italienischen Lebenmittelgeschäft und einem von waschechten Rastafaris betriebenen Reggaestudio finden sich kleine Handwerksbetriebe, eine Fahrschule und anderes Kleingewerbe. Der Stern-Kebab lockt mit gutem, preiswertem Essen. Und einem gutmütigen Wirt, der auch der abenteuerlichsten Gestalt noch Kredit gewährt wenn’s mal an Geld mangelt.
Zu den Stammgästen des kurdischen Beizers gehören zahlreiche Schweizer, die man eher der SVP-Wählerschaft zuordnen würde. Doch selbst die rechtsgerichteten Quartierpoleten plustern empört die Backen, wenn man ihnen erzählt, dass der Wirt mangels Deutschkenntnissen gar nicht hier sein dürfte, wenn die Gesetzeslage der SVP-Integrationsinitiative entsprechen würde.
Fordern statt fördern? Bullshit!
Immerhin hatte Aleksandra das Glück, dass ihre Eltern aus der Mittelschicht stammen und von Anfang an in der Schweiz bleiben wollten. Entsprechend legten sie Wert darauf, dass die Kinder gut ausgebildet wurden. Ihr Vater hatte über einen gemeinsamen Bekannten in Belgrad einen ex-jugoslawischen Bauunternehmer in Basel gefunden, der froh um einen gleichsprachigen Ingenieur war. Parallel dazu lernte der Vater intensiv Deutsch und arbeitete sich bis zum Leiter Grossprojekte im Basler Tiefbauamt hoch. Die Mutter hat erst Deutsch gelernt, als sie wieder in den Beruf einstieg. Sie ist heute Ärztin im Kantonsspital.
Zweisprachig aufgewachsen, fiel Aleksandra auch das Erlernen anderer Fremdsprachen nicht schwer. Heute beherrscht sie Hochdeutsch, Mundart, Serbisch, Französisch, Englisch und Italienisch. Und alles nahezu perfekt. Italienisch sogar besser als ihr italienischstämmiger Partner.
Wir beenden den Quartierspaziergang in der linksalternativen Capribar. Die Leute im Barkollektiv arbeiten für Gotteslohn und organisieren neben kulturellen und Bildungsveranstaltungen passenderweise Gratisdeutschkurse. Eines der Hauptanliegen der SVP-Integrationsinitiative ist, dass mehr gefordert wird, statt nur zu fördern. Für Aleksandra absoluter «Bullshit». Sie selber hat null und nichts an Förderung genossen. Im Gegenteil. «Obwohl ich Bestnoten hatte, wollten mich die Lehrer nicht fürs Gymnasium empfehlen – wegen angeblicher Deutschdefizite.» Ihren Schwestern sei es ähnlich ergangen.
Die sogenannte Integrationsinitiative der SVP hält sie sogar für kontraproduktiv. «Natürlich sind ausführliche Information und auch das Nachhaken, wenn es nicht klappt, sinnvoll. Aber man muss auch erkennen, dass halt nicht jeder gleich gut Sprachen lernt. Und wenn ich hierher komme, um in einer Fabrik zu arbeiten, muss ich doch kein Deutsch auf Maturaniveau können.» Aus eigener Erfahrung weiss sie, dass man Deutsch am besten realitätsbezogen lernt. «In Deutschkursen sollte man lernen, wie man die Steuererklärung ausfüllt, was ja viele Schweizer auch nicht können. Oder am Projekt seine Pflichten und eben auch Rechte kennenlernen, und wie man die korrekt einfordert.»
«Die SVP propagiert Bulimie-Lernen»
Die zwingende Integrationsvereinbarung hält Aleksandra Despotovic für den grössten Unsinn. «Die SVPler denken, dass Integration eine Art Dressurakt ist. Aber echte Integration hat viele Facetten. Statt die hiesigen Gepflogenheiten, Gesetze und Sprache mit konkretem Alltagsbezug zu lernen, propagiert die SVP regelrechtes Bulimie-Lernen: Man stopft sich pünktlich zum Prüfungstermin alles rein, kotzt es bei der Prüfung wieder aus und vergisst das Ganze.» Das grösste Integrationsproblem hätten vielleicht die Initianten selber. «Das Klischee vom Einheimischen und Gastarbeiter muss endlich raus aus den Köpfen. Die Leute bleiben. Sie verändern die Stadt. Diese Veränderungen sind oft positiv und sicher nicht rückgängig zu machen.»
Tatsächlich war Kleinhüningen noch vor 15 Jahren ein recht trostloses Pflaster. Heute wirkt das Quartier, auch an Sonntagen, bunt, lebendig und kommunikativ. «Und obwohl fast alle hier finanzielle, gesundheitliche oder andere Probleme haben. Die Stimmung ist ungleich fröhlicher als zum Beispiel im Gellert. Hier kennt und hilft man sich. Eine authentisch gewachsene Diversität. Was, wenn nicht das ist denn erfolgreiche Integration?»
Das Volksbegehren verlangt, dass alle Migranten (ausgenommen die sogenannten Expats) Integrationsvereinbarungen abschliessen müssen. Bei Nichteinhaltung der zwingenden Vereinbarung sollen sie keine Aufenthaltsbewilligung mehr erhalten. Die Forderungen an die Migranten: Deutschkenntnisse, Kenntnisse des Rechtssystems und der «grundlegenden Normen und Regeln für ein geordnetes Rechtssystem».
Der Gegenvorschag der Regierung sieht hingegen ein gesetzlich festgelegtes Begrüssungsgespräch mit Dienstleistungscharakter vor. Dabei sollen die Neuzuzüger auf die Angebote für Integrations- und Sprachkurse etc. aufmerksam gemacht werden. Deutschkurse sollen subventioniert werden. Nach sechs Monaten laden die Behörden die Migranten zu einem zweiten Gespräch ein. Bei Problemfällen können sie eine Integrationsvereinbarung abschliessen und mit Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung drohen.
Die Regierung betont allerdings, dass die Massnahmen der Situation angepasst und verhältnismässig sein müssen. Schlechte Deutschkentnisse zum Beispiel seien noch lange kein Ausweisungsgrund.