Istanbul United – was vom Schulterschluss der Fans auf dem Taksim bleibt

In die Basler Kinos hat es «Istanbul United» nicht gebracht. Die Fussballkulturbar didi:offensiv zeigt heute, Dienstag, die Dokumentation vom vorübergehenden Schulterschluss der verfeindeten Ultragruppierungen der drei grossen Istanbuler Fussballclubs während der Protestbewegung 2013 auf dem Taksim-Platz.

«Wenn das möglich ist, können wir alles erreichen» – der unvorstellbare Zusammenschluss der Ultrafans der Istanbuler Grossclubs während der Protestbewegung im Sommer 2013. (Bild: Screenshot, Trailer)

In die Basler Kinos hat es «Istanbul United» nicht gebracht. Die Fussballkulturbar didi:offensiv zeigt heute, Dienstag, die Dokumentation vom vorübergehenden Schulterschluss der verfeindeten Ultragruppierungen der drei grossen Istanbuler Fussballclubs während der Protestbewegung 2013 auf dem Taksim-Platz.

Revolutionen sind historische Augenblicke der Verwandlung, wenn sie gelingen, werden neue Staatsysteme installiert und Gesellschaften verändern sich. Es bleibt auch etwas zurück, wenn solche Bewegungen ihre Ziele verfehlen. Die Demonstrationen auf dem Istanbuler Taksim-Platz vor eineinhalb Jahren endeten nicht mit dem Sturz der Regierung des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, aber sie haben der Gesellschaft das autoritäre Wesen ihres Staates vergegenwärtig.

Gratisvorstellung

«Istanbul United» wird als Kickoff-Veranstaltung des «Flutlicht»-Filmfestivals (siehe unten) an diesem Dienstag, 16. Dezember, um 20 Uhr in der Fussballkulturbar didi:offensiv am Erasmusplatz gezeigt. Der Eintritt ist frei.

Jenseits des grossen Nachrichtenbetriebes, hat die Protestbewegung zum Erstaunen der Einwohner Istanbuls für einen kleinen historischen Moment gesellschaftliche Aussenseiter zu Helden werden lassen: Die für ihre Gewaltbereitschaft gefürchteten Ultrafans der drei Istanbuler Fussballvereine Fenerbahçe, Beşiktaş und Galatasaray.

Um diesen Augenblick dreht sich die eindrückliche Dokumentation «Istanbul United», die die beiden Filmemacher Olli Waldhauer und Farid Eslam während der Unruhen gedreht haben.

ISTANBUL UNITED offizieller Trailer – Kinostart 18.9. from PORT AU PRINCE on Vimeo.

Ein enormer Hass erfüllt einen Teil dieser Fussballfans aus der türkischen Hauptstadt, regelmässig gibt es bei den Zusammenstössen von Fangruppen der drei grossen Istanbuler Vereine Verletzte, manchmal sogar Tote. Der Film zeigt diese Menschen, wie sie diesen Hass spüren, wie sie ihn schüren und pflegen. Männer, die lieben, die zusammenhalten, die ein Alltagsleben führen. Leute, deren Leben jedoch ohne ein klares Feindbild nicht zu funktionieren scheint.

Der kraftvolle Zusammenschluss

Die Istanbuler Ultras sind also kampferprobte Leute, sie führen seit Jahren regelmässig mehr oder weniger gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei, die sie fast genauso verachten wie die Anhänger der Rivalen. Als dann plötzlich ganz andere Menschen gegen diese Polizei kämpfen, politische Aktivisten, auch Frauen, ergibt sich eine erstaunliche Verschmelzung. Die Fans solidarisieren sich mit den Demonstranten, und diese Kraft vereint dann sogar die verfeindeten Anhänger der drei Clubs.

Es gibt in dieser Dokumentation einen Moment, in dem eine Aktivistin sagt: «Ich hätte mir in meinen kühnsten Träumen niemals vorstellen können, dass die Fans von Beşiktaş, Fenerbahçe und Galatasaray sich jemals zusammenschliessen. Als ich diese Gruppen dann wirklich Seite an Seite marschieren sah, da habe ich gedacht: Wenn das möglich ist, können wir hier alles erreichen.»

Der Zusammenschluss der Ultras war ein kraftvolles Signal an die Bewegung, der man in diesem Film geradezu erschreckend nahe kommt. Immer wieder befindet die Kamera sich mitten im Geschehen, es brennt, das Bild wackelt, weil der Kameramann flüchten muss, schreiende Menschen rennen durch Tränengaswolken in den Strassen. Der Film zeigt beeindruckende Szenen des Widerstandes, die viel wirklicher erscheinen als die Bilder aus den TV-Nachrichten.

Die Ultras, die Gewalt und die Botschaft

Waldhauer und Eslam zeigen auch die Ambivalenz der Gewalt. Die Fussballfans, für die kriminelle Aktionen zum Alltag gehören, werden in vielen Szenen durch den Pathos der Bildsprache heroisiert, und wenn sie auf dem Taksim-Platz für eine demokratische und freie Gesellschaft kämpfen, sind sie aus mitteleuropäischer Perspektive ja tatsächlich Helden.

Wenn sie nach Fussballspielen ganz ähnliche Scharmützel mit der Polizei austragen, sind sie hingegen immer noch Leute, die sich auf verirrten Pfaden bewegen. Männer, die Gewalt und Hass schüren. Gewalt sei «Teil der kulturellen Atmosphäre, in der wir leben», sagt ein Fenerbahçe-Anhänger irgendwann, und das ist die desillusioniernde Botschaft am Ende des Films.

Der Augenblick des Schulterschlusses verpufft, alle Seiten kehren in ihre Positionen zurück, und es dauert nicht lange, bis sie sich wieder gegenseitig bekämpfen. Aber irgendein Frieden stiftender Impuls, so das Fazit des Films, wird bleiben von diesem kurzen Moment der Gemeinsamkeit.

Fussballkultur und Filmfestival

Die Vorführung von «Istanbul United» ist ein Appetithappen für das «Flutlicht»-Filmfestival, das vom 16. bis 18. Januar 2015 zum zweiten Mal in der Bar du Nord stattfindet. An den drei Festival-Tagen, die in dieser Form in der Schweiz bisher einmalig sind, werden diverse Dokumentarstreifen, Spielfilme und Kurzfilme gezeigt, die sich um den Fussballsport, seine Phänomene und seine bekannten und auch weniger bekannten Protagonisten drehen.

» Zum Programm des Flutlicht-Filmfestivals

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