Italien gerät bei der Aufnahme von Flüchtlingen an seine Grenzen

Die elegante italienische Riviera ist zum Symbol für die Flüchtlingsproblematik geworden. Seit Tagen harren Hilfesuchende bei Ventimiglia an der rauen Küste aus, während sich die Politik um Kontingente streitet.

A group of migrants protect themselves with emergency blankets from a sudden rain storm as they huddle on the seawall at the Saint Ludovic border crossing on the Mediterranean Sea between Vintimille, Italy and Menton, France, June 14, 2015. On Saturday, some 200 migrants, principally from Eritrea and Sudan who attempted to cross the border, were blocked by Italian police and French gendarmes. REUTERS/Jean-Pierre Amet

(Bild: JEAN-PIERRE AMET)

Die elegante italienische Riviera ist zum Symbol für die Flüchtlingsproblematik geworden. Seit Tagen harren Hilfesuchende bei Ventimiglia an der rauen Küste aus, während sich die Politik um Kontingente streitet.

Sie gehen hier nicht weg. Auch am Montag nicht. Es war der fünfte Tag, an dem die Flüchtlinge aus Eritrea, dem Sudan, Kongo und Somalia auf den Felsen vor Ventimiglia verharrten. Nicht auf Lampedusa, nicht in einem der überfüllten Auffanglager in Sizilien oder Apulien, sondern auf den rauen Felsen der eleganten italienischen Riviera. Vor sich, in ein paar Hundert Metern Entfernung die azurblaue Küste Frankreichs und eine Hundertschaft französischer Gendarmen.

Es sind nur einige Dutzend Männer, die hier nur unter dem Schutz weisser Bettlaken oder silbern glitzernder Thermodecken vegetieren und auf die Weiterreise nach Frankreich warten. Doch längst sind die Unbeugsamen von Ventimiglia zu einem Symbol geworden für ein Europa, das an der immer dringender werdenden Flüchtlingsfrage scheitert.



Migrants sleep on the rocks of the seawall at the Saint Ludovic border crossing on the Mediterranean Sea between Vintimille, Italy and Menton, France, June 15, 2015. On Saturday,some 200 migrants, principally from Eritrea and Sudan, attempted to cross the border from Italy and were blocked by Italian police and French gendarmes. REUTERS/Eric Gaillard TPX IMAGES OF THE DAY

Die raue Küste bei Saint Ludovic als Schlafplatz: Seit Tagen harren Flüchtlinge zwischen Ventimiglia und Menton (Frankreich) aus. (Bild: ERIC GAILLARD)

Frankreich hat trotz des Schengener Abkommens strenge Grenzkontrollen zeitweise wieder eingeführt, auch Deutschland und Österreich überwachten in den Tagen des G-7-Gipfels in Elmau ihre Grenzen stärker (mehr dazu). Die Massnahmen, die am Montag enden sollten, dienten auch zur Durchsetzung des umstrittenen Dublin-II-Abkommens. Danach müssen sich Ankömmlinge im Land ihrer Ankunft in der EU registrieren lassen und dort auch bleiben. Davon sind vor allem Italien und Griechenland betroffen.

Am Montag berieten die EU-Innenminister in Brüssel zum Thema Migration. Auf eine feste Quotenregelung zur Aufnahme von Flüchtlingen konnten sich die EU-Staaten bislang nicht einigen. Frankreich hat die Zurückweisung von Flüchtlingen an der französisch-italienischen Grenze inzwischen verteidigt. «Italien muss sich um sie kümmern, das ist das europäische Recht», sagte Innenminister Bernard Cazeneuve am Montag. Er verweist weiterhin auf die sogenannten Dublin-II-Regeln, wonach Asylanträge in dem Land bearbeitet werden müssen, über das ein Flüchtling in die EU eingereist ist.

Und so kam es zu den Bildern, die vor allem in Italien für Unverständnis und Unmut sorgen: Möglicherweise mehrheitlich asylberechtigte Flüchtlinge, die in Norditalien auf Felsen vor dem offenen Meer ausharren; mit Afrikanern überfüllte Bahnhöfe von Rom über Mailand bis Bozen. Immer mehr provisorische Auffanglager in italienischen Städten, mit wild kampierenden Flüchtlingen in überfüllten Parkanlagen.

In Rom haben Militär und Rotes Kreuz ein Zeltlager in der Nähe des Bahnhofs Tiburtina aufgeschlagen. Am Mailänder Hauptbahnhof wurden die Migranten samt Frauen und Kindern erst in durchsichtigen Pavillons aus Plexiglas untergebracht, bevor die Turnhalle einer Schule bereitgestellt wurde. Auch über die sogenannte Balkan-Route drängen die Menschen ins italienische Friaul, das sich bislang vor dem Ansturm sicher wähnte.



A migrant uses soap to bathe in the sea at the Saint Ludovic border crossing on the Mediterranean Sea between Vintimille, Italy and Menton, France, June 14, 2015. On Saturday, some 200 migrants, principally from Eritrea and Sudan who attempted to cross the border, were blocked by Italian police and French gendarmes. REUTERS/Eric Gaillard TPX IMAGES OF THE DAY

Das Meer ist nicht nur Fluchtweg, sondern auch für die Körperhygiene da. Improvisation ist angesichts der Zahl der Flüchtlinge gefragt – vor allem für sie selbst. (Bild: ERIC GAILLARD)

Offiziell sollen sich derzeit 76’000 Flüchtlinge in italienischen Auffanglagern befinden, die für nur 25’000 Menschen ausgelegt sind. 54’000 Neuankömmlinge wurden allein dieses Jahr in Italien gezählt. Die Saison der Überfahrten über das Mittelmeer hat gerade erst begonnen.

Auch die Migranten in Ventimiglia haben die Macht der von ihnen geschaffenen Bilder registriert. Einige von ihnen drohten sich ins Wasser zu stürzen, andere sollen in einen Hungerstreik getreten sein. Am Wochenende marschierte eine Handvoll französischer Neonazis an der Grenze auf, um den Ankömmlingen ihre Unerwünschtheit noch offenkundiger zu machen. In Frankreich und Italien nutzen fremdenfeindliche Parteien wie Front National oder Lega Nord die Situation für ihre Zwecke aus. Lega-Chef Matteo Salvini schreibt auf Facebook Kommentare wie: «Nicht nur Krätze, jetzt auch Malaria im Bahnhof von Mailand!»

Lega-Chef Matteo Salvini schreibt auf Facebook Kommentare wie: «Nicht nur Krätze, jetzt auch Malaria im Bahnhof von Mailand!»

Innenpolitisch schwelt ein Streit über die Unterbringung der Flüchtlinge. Während etwa der Gouverneur der Lombardei, Roberto Maroni (Lega Nord), den Gemeinden Strafen androht, die Flüchtlinge aufnehmen wollen, verspricht Ministerpräsident Matteo Renzi (Demokratische Partei) das Gegenteil: Prämien für aufnahmewillige Kommunen.

Renzi fordert seit Monaten eine Einigung der EU-Staaten und drohte zuletzt mit einem «Plan B». Was darunter genau zu verstehen sein soll, definierte der Premier wohl absichtlich nicht genau. Die Sorge der EU-Partner, Italien könnte künftig gar keine Flüchtlinge mehr registrieren und so deren Weiterreise erleichtern, ist längst politisches Kapital.

Nach dem Dublin-II-Abkommen müssen Ankömmlinge im EU-Staat ihrer Ankunft registriert werden und dort auch bleiben. De facto umgehen viele Flüchtlinge die Kontrollen und gelangen dennoch in andere EU-Länder. Frankreich, Deutschland und Österreich kontrollierten zuletzt wegen des G-7-Gipfels die Grenzen schärfer.

Laut UNHCR kamen dieses Jahr bislang 103’000 Menschen über das Mittelmeer in die EU, die meisten aus Libyen. 54’000 von ihnen erreichten Italien, 48’000 Menschen Griechenland. Die meisten Flüchtlinge stammen aus Eritrea, Somalia, Syrien und Nigeria. 2014 überquerten mehr als 200’000 Flüchtlinge das Mittelmeer. 3419 Menschen starben 2014 beim Versuch das Mittelmeer zu überqueren (zurück zum Text).

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