Jetzt lobt ihn schon Hans Krankl – Marcel Koller und die Fussball-Euphorie in Österreich

Österreich liegt derzeit an der Spitze seiner Gruppe im Kampf um die Teilnahme an der Europameisterschaft 2016. Da haben selbst die härtesten Kritiker Probleme, noch etwas zu finden, was sie am Schweizer Teamchef Marcel Koller kritisieren sollten.

Darf sich als Vater der österreichischen Aufschwungs fühlen: Marcel Koller. (Bild: Reuters/Heinz-Peter Bader)

Österreich liegt derzeit an der Spitze seiner Gruppe im Kampf um die Teilnahme an der Europameisterschaft 2016. Da haben selbst die härtesten Kritiker Probleme, noch etwas zu finden, was sie am Schweizer Teamchef Marcel Koller kritisieren sollten.

Es mag schon was heissen, wenn Johann K. einmal voller Inbrunst eine Lobeshymne auf einen seiner Nachfolger anstimmt. Johann K., alias Hans Krankl, ehemaliger österreichischer Fussball-Teamchef (2002 bis 2005), der es bis heute nicht verkraftet zu haben scheint, dass er nicht mehr auf dem obersten Trainerstuhl des Landes sitzen darf, ist für seine gnadenlosen Analysen und Abrechnungen bekannt.

Nach dem 1:0-Erfolg der österreichischen Nationalmannschaft zuletzt in der EM-Qualifikation gegen Montenegro fiel aber selbst dem leidenschaftlichen Kritiker nichts Negatives mehr ein. «So stark habe ich unsere Nationalmannschaft schon lange nicht mehr gesehen», lobte Hans Krankl in seiner Kolumne, «das war die beste Leistung seit Jahren.»

Und das aus dem Mund eines Mannes, der nie ein grosses Hehl daraus gemacht hat, dass er lieber jemand anderes als Marcel Koller im Amt des österreichischen Teamchefs gesehen hätte. Er sei «immer für eine österreichische Lösung», erklärte Hans Krankl 2011 beim Amtsantritt des Schweizers und teilte damit die Ansicht seines Kollegen Herbert «Schneckerl» Prohaska – auch er ein ehemaliger Teamchef (1993 bis 1999). «Solche Trainer haben wir bei uns genügend», befand Prohaska und gab dem Zürcher zum Einstand gleich eine Botschaft mit auf dem Weg. Koller müsse sich «an den Erfolgen der heimischen Trainer messen lassen».

Den Kritikern fehlen die Argumente

Jetzt, drei Jahre später und vor dem richtungsweisenden Heimspiel gegen Russland vom Samstag gehen Kollers Kritikern zunehmend die Argumente aus. Und langsam stellt sich auch die Frage, wer sich wohl tatsächlich an welchen Erfolgen wird messen lassen müssen. Den Punkteschnitt, den Marcel Koller nach drei Jahren vorweisen kann (1,68), hat in den vergangenen drei Jahrzehnten jedenfalls kein österreichischer Teamchef erreicht.

Auch nicht Herbert Prohaska, unter dem sich Österreich 1998 (WM in Frankreich) das letzte Mal aus eigener Kraft für ein Turnier qualifizieren konnte. Mehr noch: Österreich ist im Kalenderjahr als einzige europäische Mannschaft noch ungeschlagen – noch so eine Bilanz, die auch international Eindruck macht.

Doch während die Leute rund um ihn in Euphorie verfallen und einige Medien bereits vorlaut und voreilig «EM wir kommen»-Slogans ausgaben, drückt Marcel Koller auf die Euphoriebremse. Ganz bewusst. Und ganz unösterreichisch. «Wir machen keine Hochrechnungen, das bringt auch nichts», erklärt der Zürcher und schwört das ganze Land auf «einen harten, steinigen Weg» ein. «Klar würden wir alle gerne nach Frankreich fahren, aber es ist noch zu früh.»

Denn bei allem berechtigten Optimismus nach dem Auftakt nach Mass in die EM-Qualifikation (sieben Punkte in den ersten drei Partien) – ein Ausrutscher am Samstag gegen den WM-Starter Russland und die Zukunft würde für die Rot-Weiss-Roten gleich wieder weniger rosig aussehen. Zumal auf die Österreicher, die nach Montenegro und Schweden nun auch Russland vor eigenem Publikum empfangen, 2015 dann noch die schweren Auswärtsspiele gegen diese drei stärksten Gruppengegner warten. «Die Tabelle sieht jetzt hervorragend aus, aber das ist nur ein Zwischenschritt», weiss auch Koller.

Österreich ohne Alaba – wie soll das gut gehen?

Das Duell mit Russland wird für die Österreicher also zur Reifeprüfung. Und das gleich in vielerlei Hinsicht. Denn am Samstag muss die Nationalmannschaft auch auf ihren Anführer und Antreiber verzichten – auf David Alaba. Der Bayern-Star fällt mit einer Knieverletzung aus, und im Moment weiss niemand so genau, wie gut die Österreicher das Fehlen des 22-Jährigen verkraften werden können.

Wenn schon Pep Guardiola den Wiener in seinem hochkarätigen Bayern-München-Ensemble für unersetzlich hält («Er kann überall spielen, auf allen Positionen. Unsere Flexibilität, unsere Spielweise – der Grund dafür ist David. Ohne ihn wird das ein bisschen schwer»), wie schwer muss dieser Ausfall dann erst für die österreichische Nationalmannschaft wiegen?

In der Ära Koller war Alaba jedenfalls die österreichische Lebensversicherung. Der 22-Jährige bestimmte das Tempo und den Rhythmus der Mannschaft, er marschierte voran, riss die Kollegen mit, war Assistgeber und übernahm auch vom Elfmeterpunkt die Verantwortung.

«Ich denke, niemandem sagen zu müssen, wie wichtig David für unser Team ist», sagt Marcel Koller, «der Ausfall schmerzt sehr.» Ein Kollektiv soll nun für Leithammel Alaba in die Bresche springen. «Wir haben Spieler, die diesen Ausfall auffangen können», glaubt der Teamchef.

Die Euphorie, die ist da

Eines hat Marcel Koller aber jetzt schon erreicht. Die Euphorie rund um Österreichs Nationalmannschaft ist so gross wie schon seit Jahren nicht mehr. Der Österreichische Fussballbund (ÖFB) vermeldet in der Erfolgsära des Schweizers Rekordbesuche rund um die Auftritte des A-Teams, das Freundschaftsspiel am 18. November gegen Brasilien zum Ausklang des Länderspieljahres war binnen 24 Stunden ausverkauft.

Marcel Koller selbst ist in seiner neuen Fussballheimat mittlerweile ein gefragter Werbestar. In einem aktuellen Spot für einen Verbandssponsor verwandelt sich ein österreichischer Fussballfan in Marcel Koller – am Ende spricht der Schweizer im Wiener Dialekt. «Das Wienerische könnte bei mir noch besser werden, aber der Schmäh war schon da», schmunzelt Koller.

Der 54-Jährige hat inzwischen auch leicht lachen. Auf dem Rasen, da hat er längst seine Handschrift und Spuren hinterlassen («es sieht schon sehr gut aus, was die Jungs auf den Platz bringen»), und im österreichischen Alltag hat er sich nach drei Jahren auch zurecht gefunden. Mit der typisch österreichische Mentalität – zwischen Raunzen und Ekstase ist auf der Gefühlsskala wenig Platz – konnte sich Koller mittlerweile ebenfalls anfreunden.

«Natürlich gibt’s in der österreichischen Seele Dinge, bei denen ein Schweizer an seine Grenzen stösst. Die Einstellung allgemein, und die Sichtweise dieser Einstellung. Dass man in Österreich oft vieles negativ sieht, ist schwierig. Ich lass mich davon aber nicht beeinflussen», erklärt Koller, der aber zusehends feststellt. «Das Raunzen, das mir am Anfang aufgefallen ist, das ist jetzt weg.»

Tabelle, Gruppe G
1. Österreich 7 Pkt.
2. Russland 5 Pkt.
3. Schweden 5 Pkt.
4. Montenegro 4 Pkt.
5. Moldawien 1 Pkt.
6. Liechtenstein 1 Pkt.

Nächster Artikel