In wenigen Tagen wird Joël Thüring Grossratspräsident. Das Amt gibt dem skandalgeschüttelten SVP-Politiker die Chance, sich neu zu erfinden. Ein Porträt mit Posen.
Da steht er und weiss nicht, wie das Licht im Saal angeht. Die Ordnungsglocke findet er nicht, den bösen Blick ebenso wenig. Joël Thüring steht, so er gewählt wird, ein paar Tage davor, Präsident des Grossen Rates zu werden – doch die Handgriffe sitzen noch nicht.
Dabei hat der Grossrat ganz andere Sorgen: Er muss seine Antrittsrede schreiben, die seine Transformation einleiten soll vom SVP-Kettenhund zum Staatsmann.
«Das ist aber ein interessantes Votum»: Der Grossratspräsident ist verpflichtet, der Diskussion im Ratssaal konzentriert zu folgen. (Bild: Hans-Jörg Walter)
Thüring hat als Politiker so viele Skandale und BaZ-Kampagnen überlebt wie aktuell wahrscheinlich nur SP-Baudirektor Hans-Peter Wessels. Er ist bis in die eigenen Reihen umstritten, wird darüber hinaus mitunter offen verachtet.
Der 33-Jährige leitete im letzten Jahr sowohl den Wahlkampf des bürgerlichen Regierungstickets wie denjenigen seiner Partei. Das SVP-Plakat mit der Terroranalogie «Paris, Würzburg, Nizza – Basel?» war sein Einfall. Darauf gekommen sei er, erzählt er belustigt, als er in der Badewanne lag.
Der Populist und Spalter als Repräsentant und Einiger – kann das gut gehen?
Den Auftakt zu seinem Amtsjahr wird Thüring am Dreiländereck abhalten. Er wird über die wirtschaftliche Prosperität der Region sprechen, über die Bedeutung des Hafens und über diesen besonderen Ort, der drei Länder miteinander verbindet.
Über Grenzen also und die Zusammenarbeit darüber hinweg. «Teile meiner Rede», sagt Thüring, «werden in SVP-Kreisen wahrscheinlich nicht nur auf Anklang stossen.»
«Ist jetzt erst die Eintrettensdebatte?» Die Geschäftsordnung ist der engste Begleiter des Grossratspräsidenten. (Bild: Hans-Jörg Walter)
Es ist eine neue Rolle, in die der Parteisekretär, Spindoctor, SVP-Einpeitscher als Grossratspräsident schlüpft. Eine, die ihm erlaube, eine neue Seite von sich zu zeigen. «Ich werde jetzt nicht ein Jahr lang als Anti-SVPler durch die Stadt laufen», sagt er, «aber ich werde auch nicht die Haltung der SVP vertreten». Sondern jene des Parlaments und seine persönliche.
Viele Gelegenheiten, um Akzente zu setzen, wird er allerdings nicht erhalten: Als Grossratspräsident ist er zunächst nicht viel mehr als ein Sitzungsleiter, der den geordneten Gang der Dinge im Parlament sicherstellen muss. Dazu darf er das Schulreislein des Grossen Rats organisieren und am Ende seiner Amtszeit eine Musikformation in den Rat laden. Daneben bleiben ein paar Reden, die er vor Verbänden und Vereinen halten darf.
«Will der angesprochene Regierungsrat, der gerade im ‹Blick› blättert, noch etwas sagen?»: Der Grossratspräsident darf die Exekutive nie aus den Augen verlieren. (Bild: Hans-Jörg Walter)
Zu gewinnen, zu verlieren gibt es in diesem Amt nicht viel. Thüring wollte es trotzdem haben, deshalb liess er sich vor vier Jahren ins Ratsbüro wählen, assistierte er der letzten Grossratspräsidentin Dominique König ein Jahr lang als Statthalter.
Auch wenn das Amt in der Aussenwahrnehmung bedeutungslos ist, eröffnet es doch Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen. Zumindest glaubt Thüring das und nennt als Beispiel das Problemdossier Baselbiet.
«Hier kann ich versuchen, Gräben zuzuschütten. Nicht durch politische Vorstösse, sondern mehr auf der Beziehungsebene, in der Kontaktpflege.» Thüring sagt, das Klima sei durch gegenseitige Häme vergiftet. «Ich will dazu beitragen, Vorurteile abzubauen und die Beziehung mit dem Baselland zu versachlichen.»
«Fertig geplaudert, jetzt wird abgestimmt»: Die Pausenklingel gehört zu den wichtigsten Machtmitteln des Grossratspräsidenten. (Bild: Hans-Jörg Walter)
Vorurteile abbauen, versachlichen, Gräben zuschütten – das tönt wie ein Anti-SVP-Programm. Thüring winkt amüsiert ab: «Vielleicht gelingt es mir ja auch, Vorurteile gegenüber der SVP abzubauen.» Vor allem aber gegenüber seiner Person.
Auch wenn Thüring bestreitet, er brauche das Amt zur Imagekorrektur. «Was die Leute über mich denken, war mir schon immer egal, sonst wäre ich nicht in der SVP.»
Tatsache ist: Wer heute seinen Namen in die Suchmaschinen einspeist, landet bei einigen unangenehmen Geschichten, wie jene, als er wegen einer nicht bezahlten Militärersatzabgabe betrieben wurde. Der KV-Mann kann für seine berufliche und politische Zukunft ein paar positive Schlagzeilen als Grabenzuschütter gebrauchen.
Zukunft versperrt
Möglicherweise wird sein Jahr auch der Schlusspunkt einer politischen Karriere, die sich festgefahren hat. Seit über zehn Jahren mischt Thüring in der Basler Politik mit, doch weiter als auf den Chefsessel im Parlament dürfte sie erst mal nicht führen. Für eine Regierungsratskandidatur schleppt er zu viel Ballast mit, den Nationalrat versperrt ihm Parteipräsident Sebastian Frehner.
Thüring sagt, er werde das Jahr für eine Standortbestimmung nutzen: «Alles ist offen. Es ist möglich, dass ich mich danach von der Politik verabschiede.» Rehabilitiert und gesellschaftlich anerkannt ins Privatleben zurück?
«Da mach ich mir keine Illusionen. Wenn ich mal draussen bin, gibts keine Einladungen mehr. Dann interessiert sich keiner mehr für mich.»
«Wer schafft mir jetzt den pöbelnden Weber von der Tribüne?»: Thüring und Redaktor Beck haben den Polizeiknopf entdeckt. (Bild: Hans-Jörg Walter)