Kann der Brexit noch verhindert werden? Fragen und Antworten

Das britische Unterhaus sagt Ja zum Brexit-Gesetz, die Regierung kann ihren Austritt bei der EU vorbereiten. Aber was bedeutet das? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

(Bild: Nils Fisch)

Das britische Unterhaus sagt Ja zum Brexit-Gesetz, die Regierung kann ihren Austritt bei der EU vorbereiten. Aber was bedeutet das? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Das britische Unterhaus hat für das sogenannte «Artikel 50-Gesetz» gestimmt. Worum geht es, und weshalb ist die Abstimmung wichtig?

Ende Januar entschied das höchste Gericht Grossbritanniens, dass Theresa May das Austrittsgesuch an die EU nur mit der Zustimmung des Parlaments stellen darf. Entsprechend unterbreitete die Regierung den Abgeordneten eine Gesetzesvorlage, die sie dazu verpflichtet, den formellen Ausstiegsprozess gemäss Artikel 50 des Lissabon-Vertrags bis spätestens 31. März 2017 in die Wege zu leiten. Nach einer Debatte, die nur wenige Tage dauerte, votierten die Abgeordneten des Unterhauses am Mittwoch, 8. Februar, mit einer grossen Mehrheit von 494 zu 122 Stimmen für das Gesetz. Damit steht dem Brexit nichts mehr im Weg (oder fast nichts – siehe unten).

Ist dieses Resultat überraschend?

Nein. Dass sich die wenigen Hundert Abgeordneten gegen den Brexit-Entscheid vom 23. Juni 2016 stellen würden, war kaum wahrscheinlich, obwohl sich eine Mehrheit der MPs letztes Jahr für den Verbleib in der EU stark gemacht hatte. Aber die Debatte war eine Gelegenheit für die EU-Freunde im Parlament – Liberaldemokraten, die Schottische Nationalpartei SNP, eine grosse Zahl von Labour-MPs, einige Konservative sowie die Abgeordneten der Grünen –, das Gesetz so abzuändern, dass der Spielraum der Regierung während der Verhandlungen eingeschränkt wird und sie keine freie Hand hat, den Brexit so umzusetzen, wie es ihr passt.

Was für Änderungsvorschläge wurden unterbreitet?

Labour-MPs wollten zum Beispiel eine Garantie, dass die Rechte aller EU-Bürger, die derzeit in Grossbritannien arbeiten, geschützt sind. Zudem sollte die Regierung dazu verpflichtet werden, das Parlament alle zwei Monate über den Verlauf der Verhandlungen mit der EU zu informieren. Andere Änderungsvorschläge forderten eine Zusicherung, dass die Steuern für grosse Konzerne nicht übermässig gesenkt würden oder dass ein zweites Referendum abgehalten wird, wenn die Verhandlungen abgeschlossen sind.

Waren die Pro-Europäer damit erfolgreich?

Überhaupt nicht: Jedes einzelne amendment scheiterte. Die Abstimmung ist also für Theresa May und die EU-kritischen Tories ein klarer Sieg, und sie können sich erst mal ohne grosse Einschränkungen an die Austrittsverhandlungen machen.

Und wie sieht es bei der Labour-Partei aus?

Labour ist in Schwierigkeiten. Das Problem besteht darin, dass der Grossteil der Labour-Wähler im Juni für den Verbleib in der EU stimmte – so wie es die Parteiführung und fast alle Labour-MPs empfahlen –, gleichzeitig aber viele Labour-Wahlkreise mit grosser Mehrheit für den Austritt stimmten. Viele Abgeordnete stehen also vor einem Dilemma: Stehen sie ein für ihre eigene Überzeugung und die der meisten Labour-Wähler im Land, oder vertreten sie die Interessen ihres Wahlkreises? Parteichef Jeremy Corbyn hatte die Fraktion angewiesen, für das Gesetz zu stimmen, um dem Referendums-Resultat nicht im Weg zu stehen.

Folgte ihm die Fraktion?

Mehrheitlich schon: Nur 52 von 232 Labour-MPs stellten sich gegen Corbyns Weisung. Der prominenteste war Clive Lewis, der Schattenminister für Wirtschaft, der gestern von seinem Posten zurücktrat. Sein Entscheid ist insofern bedeutend, als er wie der Parteichef dem linken Flügel zugerechnet wird und lange Zeit als Verbündeter Corbyns galt.

Weshalb hat Corbyn überhaupt seine MPs angewiesen, für das Gesetz zu stimmen, wo doch alle Änderungsvorschläge gescheitert waren?

Er hat wohl kalkuliert, dass Labour andernfalls die Unterstützung der Brexit-Anhänger verlieren würde. Die Rechtspopulisten von Ukip versuchen derzeit, die Stimmen ehemaliger Labour-Wähler zu gewinnen, und eine Weigerung der Labour-Führung, sich dem Brexit-Entscheid zu fügen, hätte ihnen jede Menge Munition geliefert. Doch Corbyns Strategie ist riskant, denn sie stösst die vielen europafreundlichen Parteimitglieder vor den Kopf, mit deren Stimmen er zum Parteichef gewählt wurde. Als er nach der Abstimmung twitterte: «Der wirkliche Kampf beginnt jetzt», zog er bissigen Spott auf sich. Der Tenor in den sozialen Medien lautete: Du hast doch eben gerade kampflos aufgegeben. Gerüchte, dass er zurücktreten wird, wies Corbyn jedoch als «Unsinn» zurück.

Gibt es jetzt noch eine Möglichkeit, das Gesetz zu stoppen und den Brexit zu verhindern?

Nur theoretisch. Übernächste Woche wird die Vorlage ins Oberhaus kommen, wo die Lords der Opposition und der Liberaldemokraten ihrerseits versuchen werden, der Regierung Konzessionen abzuringen. Weil das Unterhaus dem Gesetz jedoch in solcher Deutlichkeit zustimmt hat und alle amendments abgeschmettert wurden, wird der Druck gross sein, die Vorlage in der jetzigen Form abzusegnen – das ungewählte House of Lords stellt sich in der Regel nicht gegen die Entscheide des House of Commons. Möglich ist allerdings, dass die Lords die vom Unterhaus zurückgewiesene Garantie für die heutigen EU-Bürger durchsetzen, denn hier wissen sie die Mehrheit der britischen Wähler hinter sich: Laut Umfragen würden es rund 80 Prozent der Briten befürworten, dass die über 3 Millionen EU-Bürger im Land ihr Bleiberecht behalten dürfen.

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